Tenor
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Die Angeschuldigten wurden am 6. und 7. Oktober 2015 festgenommen und befinden sich seitdem auf Grund der Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 22. September 2015 (2 BGs 439/15 betreffend den Angeschuldigten S.) bzw. 2. Oktober 2015 (5 BGs 158/15 betreffend den Angeschuldigten A. und 5 BGs 156/15 betreffend den Angeschuldigten P.) in Untersuchungshaft.
Rz. 2
Gegenstand des Haftbefehls betreffend den Angeschuldigten S. ist der Vorwurf, er habe sich von Anfang Oktober bis Mitte November 2013 und sodann von Mitte November bis Mitte Dezember 2013 durch zwei selbständige Handlungen zunächst als Mitglied an der Junud al-Sham sowie anschließend an der Gruppierung Islamischer Staat im Irak und Großsyrien und damit jeweils an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 53 StGB).
Rz. 3
Den Angeschuldigten A. und P. legen die sie betreffenden Haftbefehle jeweils zur Last, sich von Ende Oktober 2013 bis Mitte Januar 2014 (der Angeschuldigte A.) bzw. von Juli bis Mitte November 2013 (der Angeschuldigte P.) an der Junud al-Sham und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt zu haben, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB).
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
Rz. 5
1. Die Angeschuldigten sind der ihnen in den Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.
Rz. 6
a) Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
Rz. 7
aa) Die Vereinigung Junud Al-Sham
Rz. 8
Bei der Organisation Junud al-Sham (auch „Junud ash-Sham”, übersetzt: „Soldaten Syriens”) handelt es sich um eine Gruppierung, die im August 2013 erstmals medial in Erscheinung trat und die auf Seiten der islamistischen Gegner des Assad-Regimes in den syrischen Bürgerkrieg eingriff. Ihr Anführer ist der Tschetschene Muslim Margoshvili alias Muslim Abu Walid, der über Kampferfahrung aus den russischen Tschetschenienkriegen verfügt und als lokaler Emir einer in Dagestan operierenden Gruppierung fungiert hatte. Da ihm die Rückkehr nach Tschetschenien nicht gelang, entschloss er sich im Jahr 2012 zusammen mit einem Teil seiner Kämpfer, überwiegend Tschetschenen, aber auch Angehörige westlicher Staaten, zur Auswanderung nach Syrien, um dort am Kampf gegen das Assad-Regime teilzunehmen.
Rz. 9
Er sah seine Verbündeten vor allem in weiteren in Syrien kämpfenden Gruppierungen kaukasischer Herkunft und unterhielt unter anderem enge Beziehungen zu Saifullah Al-Shishani, der sich im Juli 2013 mit mehrheitlich nordkaukasischen Kämpfern von einer anderen jihadistischen Organisation, der „Jaish al-Muhajirin wal-Ansar” (kurz: JAMWA) getrennt hatte, nachdem diese sich dem ISIG zugewandt hatte. Die Junud al-Sham führte mit Saifullah Al-Shishani und seinen Anhängern sowie mit einer Gruppierung um Abu Musa Al-Shishani gemeinsame Operationen durch und blieb – trotz enger Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen wie etwa der Jabhat al-Nusra, der sich wiederum Saifullah Al-Shishani angeschlossen hatte, oder gemeinsamen Aktionen mit dem ISIG – selbständig, ohne sich einer anderen Organisation unterzuordnen. Die Eigenständigkeit der Organisation bekräftigte Abu Walid mit einer am 30. Juni 2014 über Twitter veröffentlichten Audiobotschaft, in der er erklärte, Emir einer eigenen Gruppe zu sein, die sich schon seit zwei Jahren in Syrien aufhalte und auch Kämpfer aus Deutschland in ihren Reihen habe. Die Junud al-Sham bekennt sich zudem dazu, „junge Mujahidin, die aus der ganzen Welt zum Jihad kommen”, zu trainieren.
Rz. 10
Anführer der Vereinigung ist – wie dargelegt – Muslim Abu Walid, dem sein Stellvertreter Abu Turab Shishani sowie mehrere Kommandeure zur Seite stehen. Die Stärke der Gruppierung ist nicht bekannt. Die Anzahl der Kämpfer wird auf mehrere Hundert geschätzt.
Rz. 11
Ziel der Junud al-Sham ist der Kampf gegen die „Ungläubigen” in Syrien und die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates dort und in den angrenzenden Ländern sowie darüber hinaus letztlich auch im Kaukasus. Dieses Ziel sucht sie durch militärische Operationen zu erreichen. Im August 2013 beteiligte sich die Gruppierung an den Kämpfen gegen die Regierungstruppen um die Hügelkette von Durin nahe Latakia. Im Februar 2014 nahm sie gemeinsam mit der Jabhat al-Nusra am Angriff auf das Zentralgefängnis in Aleppo teil, den Muslim Abu Walid befehligte. Im März 2014 führte die Vereinigung eine weitere Operation in der Nähe von Latakia namens „Anhöhe Turm 45” durch.
Rz. 12
bb) Die Vereinigung Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (ISIG) bzw. Islamischer Staat (IS)
Rz. 13
Der „Islamische Staat im Irak und in Großsyrien” (im Folgenden: ISIG) bzw. nunmehr der „Islamische Staat” (im Folgenden: IS) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham” – die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina – umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat” zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam” begreift; die Tötung solcher „Feinde” oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.
Rz. 14
Die Organisation geht zurück auf die als „al-Qaida im Irak (AQI)” bekannt gewordene, von Abu Musab al-Zarqawi geführte Gruppierung „Tanzim Qa'idat al-Jihad fi Bilad ar-Rafidain” („Organisation der Basis des Jihad im Zweistromland”) und deren Vorgängerorganisationen. Im Jahr 2006 schloss sich diese Vereinigung mit anderen Gruppierungen unter der Dachorganisation „Schura-Rat der Mudschaheddin im Irak” zusammen, aus der nach dem Tod al-Zarqawis im Juni 2006 der „Islamische Staat im Irak” (ISI) unter der Führung von Abu Ayyub al-Masri hervorging. Nachdem dieser im Frühjahr 2010 bei einer Operation der US-Armee getötet worden war, übernahm Abubakr al-Baghdadi die Führung des ISI und griff ab dem Jahr 2012 – einem Aufruf des Anführers der al-Qaida, al-Zawahiri, folgend – in den syrischen Bürgerkrieg ein, indem er Kämpfer dorthin entsandte. Nach internen Auseinandersetzungen insbesondere mit der Jabhat al-Nusra, mit der al-Baghdadi zunächst zusammen arbeitete, die er aber als untergeordnete Organisation ansah und deren Zusammenschluss mit dem ISI zum ISIG er im April 2013 verkündete, kam es Anfang des Jahres 2014 zum Bruch al-Baghdadis sowohl mit al-Qaida als auch mit der Jabhat al-Nusra, der im April 2014 mit einer öffentlichen Lossagung des ISIG vom al-Qaida-Netzwerk bestätigt wurde.
Rz. 15
Dem ISIG gelang es, sich in einigen Regionen Nordsyriens als Ordnungsmacht festzusetzen. Aus dem Kampf gegen das Assad-Regime zog sich die Organisation in der Folge weitgehend zurück und konzentrierte sich auf die Machterhaltung in den von ihr beherrschten Gebieten. Angehörige anderer Oppositionsgruppen sowie die Teile der Zivilbevölkerung, die den Herrschaftsanspruch des ISIG in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Im August 2013 kam es bei Operationen mehrerer Gruppen in der Provinz Latakia unter der Führung des ISIG zu Massakern unter der regierungstreuen alawitischen Zivilbevölkerung, denen 190 Menschen zum Opfer fielen; weitere ca. 200 wurden entführt. Zur Taktik des ISIG gehörte auch die Entführung von ausländischen Journalisten, Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen oder sonstigen Dritten, die grausam getötet und dabei gefilmt werden, um diese Aufnahmen später medienwirksam zu Zwecken der Einschüchterung zu verbreiten.
Rz. 16
Wegen der Parteinahme der libanesischen „Hizbollah” für das Assad-Regime verübte der ISIG ferner am 2. Januar 2014 einen Bombenanschlag in einem schiitischen Wohngebiet in Beirut, der vier Menschen tötete und 77 verletzte. Daneben kam es zu weiteren Aktionen im Irak, so zu dem Überfall auf die Gefängnisse in Abu Ghuraib und Tadshi am 22. Juli 2013 sowie einem Selbstmordanschlag in Arbil am 29. September 2013 mit jeweils mehreren Todesopfern.
Rz. 17
In der Folge verlagerte der ISIG seine Aktivitäten zunehmend in den Irak, wo es ihm Anfang Juni 2014 u.a. gelang, die Stadt Mossul unter seine Gewalt zu bringen. Die Angriffe richteten sich zudem gegen die im Norden des Irak ansässige Minderheit der Jesiden; im August 2014 kam es dabei zu Massenhinrichtungen.
Rz. 18
Die Führung des ISIG bestand aus dem „Emir” Abu Bakr al-Baghdadi, dem „Minister” als Verantwortliche für einzelne Bereiche unterstellt waren, so ein „Kriegsminister” und ein „Propagandaminister”. Der Führungsebene zugeordnet waren beratende „Shura-Räte” sowie „Gerichte”, die über die Einhaltung der Regeln der Sharia wachten. Veröffentlichungen wurden in der Medienabteilung „Al-Furqan” produziert und über die Medienstelle „al-I'tisam” verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung bestand aus dem „Prophetensiegel”, einem weißen Oval mit der Inschrift: „Allah – Rasul – Muhammad”, auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer waren dem „Kriegsminister” unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
Rz. 19
Im Juni 2014 rief der offizielle Sprecher des ISIG das „Kalifat” aus und erklärte al-Baghdadi zum „Kalifen”, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Zugleich wurde die Umbenennung des ISIG in „Islamischer Staat” (IS) verkündet. Dadurch verdeutlichte die Vereinigung – bei Beibehaltung der bisherigen ideologischen Ausrichtung – eine Abkehr von der regionalen Selbstbeschränkung auf ein „Großsyrien” und erhob einen Führungs- und Herrschaftsanspruch in Bezug auf das gesamte „Haus des Islam”. Zugleich eingeleitete organisatorische Veränderungen, so die Bildung von „Räten” für Einzelressorts, die Einteilung der besetzten Gebiete in Gouvernements und die Einrichtung eines Geheimdienstapparates zielen auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen.
Rz. 20
cc) Die Tathandlungen der Angeschuldigten
Rz. 21
(1) Der Angeschuldigte S., der es aufgrund seines Verständnisses vom Islam als seine persönliche Pflicht ansieht, im Bürgerkrieg in Syrien auf Seiten der Gruppierungen, deren Ziel die Errichtung eines islamischen Staates ist, zu kämpfen, reiste Anfang Oktober 2013 auf nicht näher bekannte Weise über die Türkei nach Syrien; noch aus dem Grenzgebiet teilte er seinem Vater mit, in den Krieg ziehen zu wollen. In Syrien angekommen wurde er von der Junud al-Sham in ein sogenanntes Überwachungshaus aufgenommen, das von einem Tschetschenen geleitet wurde, dessen Befehlsgewalt sich der Angeschuldigte unterstellte. Er trainierte körperlich, erhielt Arabischunterricht, nahm an den Gebeten teil und übernahm täglich für die Aufrechterhaltung des Gemeinschaftslebens notwendige Dienste. Nach einiger Zeit erhielt er von der Vereinigung ein Schnellfeuergewehr AK 47, in dessen Gebrauch er unterwiesen wurde.
Rz. 22
Ende Oktober / Anfang November 2013 wurde er mit anderen Gruppenmitgliedern in das sogenannte deutsche Haus der Junud al-Sham gebracht, in dem sich neben arabischen Kämpfern vorwiegend aus Deutschland stammende Jihadisten aufhielten und das unter dem Kommando des aus Ingolstadt stammenden C. alias T. stand. Auch hier ordnete sich der Angeschuldigte in die Gemeinschaft ein; er übernahm Putz- und Kochdienste, nahm an Gebeten und am Koranunterricht sowie am täglich stattfindenden Training teil, das der körperlichen Ertüchtigung sowie der Unterweisung im Umgang mit Waffen diente. Er übernahm zudem regelmäßig Wachdienste, bei denen er mit einer AK 47 bewaffnet war.
Rz. 23
Mitte November 2013 wechselte der Angeschuldigte aus Enttäuschung über das Ausbleiben von Kampfeinsätzen und im Zuge einer Auseinandersetzung innerhalb der Junud al-Sham über deren künftige Ausrichtung zu einer Kampfeinheit des ISIG, die im gleichen Gebiet operierte und aktiv um Kämpfer anderer Vereinigungen warb. Dieser Vereinigung stellte er sich nunmehr als ausgebildeter Kämpfer zur Verfügung und hielt sich jedenfalls bis Mitte Dezember 2013 zu militärischen Einsätzen bereit. Alsdann entschied er sich aus unbekannten Gründen, Syrien zu verlassen und kehrte am 23. Dezember 2013 über die Türkei in die Bundesrepublik Deutschland zurück.
Rz. 24
(2) Der Angeschuldigte A. umgab sich im Laufe des Jahres 2013 zunehmend mit Personen aus dem salafistischen Umfeld und radikalisierte sich unter dem Einfluss des Predigers G.. Spätestens im Herbst 2013 entschloss er sich, am bewaffneten Kampf in Syrien teilzunehmen und reiste unter dem Vorwand, in Marokko Urlaub machen zu wollen, über die Türkei nach Syrien. Dort schloss er sich der Junud al-Sham an und wurde ebenfalls dem „deutschen Haus” zugewiesen, in dem er sich – wie der Angeschuldigte S. – dem Kommando von T. unterwarf und auf Anweisung notwendige tägliche Arbeiten wie Kochen oder Putzen verrichtete. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Türkei Mitte November 2013 kehrte A. in das „deutsche Haus” zurück, leistete mit einem AK 47 bewaffnet Wachdienste und erhielt eine Ausbildung zum Kämpfer, in deren Rahmen er infanteristische Kenntnisse erlangte, militärische Kommandos einübte, körperlich ertüchtigt und im Umgang mit Waffen unterwiesen wurde. Da der Angeschuldigte aus unbekannten Gründen nicht an dem oben genannten Angriff auf das Zentralgefängnis in Aleppo teilnehmen durfte, war er enttäuscht und verließ mit Zustimmung seines Vorgesetzten T. Mitte Januar 2014 die Vereinigung und kehrte nach Deutschland zurück.
Rz. 25
(3) Der Angeschuldigte P. sieht den Jihad ebenfalls als bewaffneten Kampf an. Er verfuhr im Wesentlichen wie der Angeschuldigte A., reiste aber schon im Juli 2013 nach Syrien und wurde innerhalb der Junud al-Sham dem „deutschen Haus” zugeteilt. Auch er gliederte sich T. unter, erledigte die anfallenden allgemeinen Arbeiten und Wachdienste und erhielt ebenfalls die beschriebene Ausbildung zum Kämpfer. Als äußeres Zeichen seiner Unterwerfung gab er seinen Pass ab und leistete den Treueeid auf Muslim Abu Walid.
Rz. 26
Mitte November 2013 entschloss er sich, vorübergehend nach Deutschland zurückzukehren. Obwohl er ursprünglich seine Rückkehr nach Syrien geplant hatte, blieb er aus unbekannten Gründen hier und schickte seinen früheren Mitkämpfern per SMS die Nachricht, sie könnten seine Sachen unter sich aufteilen.
Rz. 27
b) Zum dringenden Tatverdacht:
Rz. 28
aa) Die Erkenntnisse zur Struktur und Entstehung der Vereinigungen Junud al-Sham und ISIG bzw. IS ergeben sich im Wesentlichen aus Folgendem:
Rz. 29
(1) Zur Junud al-Sham liegen ein Sachverständigengutachten des Islamwissenschaftlers Dr. St. und Auswerteberichte des Bundeskriminalamtes vor, die die fortbestehende Eigenständigkeit der Organisation, ihre Entwicklung, die Beteiligung an einzelnen Operationen und ihr Verhältnis zu anderen jihadistischen Gruppierungen in Syrien belegen. Entgegen dem Vorbringen der Verteidigung des Angeschuldigten P. ist die Vereinigung nach dem derzeitigen Ermittlungsstand eindeutig und nicht nur wegen früherer Kontakte ihres Anführers oder ihrer Teilnahme an der „Latakiaoffensive” als terroristisch einzustufen. Dem entspricht im Übrigen auch die Einschätzung des Sachverständigen Dr. St..
Rz. 30
(2) Zu der Organisation ISIG bzw. IS folgen die den dringenden Tatverdacht begründenden Erkenntnisse ebenfalls aus einem Gutachten von Dr. St., Behördenerklärungen des Bundesnachrichtendienstes und Auswerteberichten des Bundeskriminalamtes, die – jeweils mit Ergänzungen – die Entwicklung der Vereinigung jedenfalls bis September 2014 darstellen.
Rz. 31
bb) Der Verdacht betreffend die Tathandlungen der Angeschuldigten folgt vornehmlich aus den Angaben des vom Oberlandesgericht München wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in drei Fällen und weiterer Straftaten rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren Verurteilten Pa., der ebenfalls zunächst im „Überwachungshaus” und sodann im „deutschen Haus” untergebracht war und die Angeschuldigten dort getroffen und kennen gelernt hat.
Rz. 32
Wegen der Einzelheiten der den Tatverdacht begründenden Umstände nimmt der Senat im Übrigen Bezug auf die Darstellungen in den Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs und im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 4. Februar 2016.
Rz. 33
2. Es besteht nach alledem der dringende Tatverdacht, dass sich die Angeschuldigten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, der Angeschuldigte S. gar in zwei tatmehrheitlichen Fällen, strafbar gemacht haben, indem sie sich spätestens mit der Aufnahme in das „deutsche Haus” in die Junud al-Sham eingliederten – der Angeschuldigte S. später auch in den ISIG. Insbesondere das Durchlaufen der militärischen Ausbildung, die zur Erreichung der Ziele der Vereinigung mit terroristischen Mitteln dienen sollte, die bewaffneten Wachdienste und das Bereithalten für Kampfeinsätze stellen sich als schwerwiegende mitgliedschaftliche Betätigungshandlungen für die Junud al-Sham und den ISIG dar.
Rz. 34
Deutsches Strafrecht ist anwendbar: Dies folgt entweder unmittelbar aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2009 – StB 34/09, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 1) oder aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil die Angeschuldigten Deutsche sind und – wenn man nicht ohnehin davon ausgeht, dass das Gebiet, in dem sie sich aufhielten, effektiv keiner staatlichen Strafgewalt unterlag – Personenzusammenschlüsse, die sich terroristischer Akte bedienen, um die grundlegende Gesellschaftsordnung zu ändern, nach Art. 304 bis 306 des syrischen Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht werden.
Rz. 35
Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderlichen Ermächtigungen zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern oder Unterstützern der ausländischen terroristischen Vereinigungen Junud al-Sham und ISIG liegen vor.
Rz. 36
3. Es besteht bei allen Angeschuldigten der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Wegen der Taten, derer sie dringend verdächtig sind, haben sie im Falle ihrer Verurteilung jeweils empfindliche, Fluchtanreiz begründende Freiheitsstrafen zu erwarten. Dieser wird nicht durch fluchthindernde Gründe von Gewicht kompensiert: Die Angeschuldigten sind zwar auch deutsche Staatsangehörige und haben in der Bundesrepublik familiäre Bindungen. Diese und ihre früheren Arbeitsstellen und Ausbildungsplätze haben sie indes nicht davon abgehalten, sich in den bewaffneten Kampf nach Syrien zu begeben. Wie ihre jeweiligen Ausreisen zeigen, verfügen sie über Kontakte ins außereuropäische Ausland, unter anderem zu Personen in der Türkei und in Syrien. Im Fall einer Flucht aus Deutschland können die Angeschuldigten erneut mit Unterstützung durch diese Personen rechnen. Dies gilt letztlich auch für den Angeschuldigten P., der zwar auf Bitten seiner Mutter Syrien verließ, gleichwohl aber dorthin zurückkehren wollte. Dass er dies aus bislang ungeklärten Gründen bisher noch nicht wieder getan hat, belegt eine dauerhafte Abkehr von den terroristischen Zielen der Junud al-Sham nicht.
Rz. 37
Die genannten Gründe wiegen so schwer, dass weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO die Erwartung nicht zu begründen vermögen, der Zweck der Untersuchungshaft könne auch ohne ihren Vollzug erreicht werden. Eine Aussetzung des Vollzugs der Haftbefehle kommt deshalb nicht in Betracht.
Rz. 38
4. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen und ihre besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft:
Rz. 39
Der Generalbundesanwalt hat nach weiteren Ermittlungen im Anschluss an die Verhaftungen, bei denen umfangreiche elektronische Asservate auszuwerten und ergänzend Zeugen zu vernehmen waren, was die drei beteiligten Polizeibehörden zwischen November 2015 und Januar 2016 erledigt hatten, die Anklageschrift unter dem 4. Februar 2016 und damit innerhalb von vier Monaten nach den Festnahmen fertiggestellt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Anklageschrift den Angeschuldigten und ihren Verteidigern unverzüglich zugestellt und eine Einlassungsfrist bis zum 14. März 2016 gesetzt. Die Hauptverhandlung wird – vorbehaltlich der Eröffnungsentscheidung, die zeitnah ergehen soll – am 29. Juni 2016 begonnen werden.
Rz. 40
5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen die Angeschuldigten erhobenen Vorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Unterschriften
Becker, Schäfer, Gericke
Fundstellen