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BGH Beschluss vom 21.05.2003 - VIII ZB 10/03

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendungsbereich des § 9 ZPO. Klage auf Erhöhung oder Herabsetzung von Mieten und Nebenkostenpauschalen

Leitsatz (redaktionell)

Unter § 9 ZPO fallen auch Klagen auf Erhöhung oder Herabsetzung von Mieten und Nebenkostenpauschalen. Die generelle Bemessung der Beschwer nach dem 3,5-fachen Jahresbetrag des streitigen Betrags stellt eine für Wohnraummietverhältnisse angemessene Grundlage für die Rechtsmittelfähigkeit amtsgerichtlicher Entscheidungen dar.

Normenkette

ZPO § 9; ZPO § 3; GKG § 16

Verfahrensgang

LG Köln (Beschluss vom 07.01.2003)

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluß der 12. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 7. Januar 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 858,82 EUR festgesetzt.

Tatbestand

I.

Die Klägerin hat der Beklagten eine Wohnung für eine monatliche Miete von 950 DM zuzüglich einer Nebenkostenpauschale von 250 DM vermietet. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2001 forderte sie die Beklagte auf, ab dem 1. Februar 2002 eine um 50 DM erhöhte Nebenkostenpauschale zu zahlen; dies lehnte die Beklagte ab. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet ist, ab dem Monat Februar 2002 eine um 50 DM (25,56 EUR) erhöhte Betriebskostenpauschale von nunmehr 300 DM (153,39 EUR) zu zahlen.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Landgericht durch Beschluß vom 7. Januar 2003 wegen Nichterreichens der Berufungssumme (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) als unzulässig verworfen, wobei es von einem Wert des Beschwerdegegenstandes für das Berufungsverfahren von (15 × 25,56 EUR =) 383,40 EUR ausgegangen ist. Dabei hat es auf seinen Beschluß vom 2. September 2002 Bezug genommen und dort zur Begründung ausgeführt: Nach seiner ständigen Rechtsprechung sei bei Streitigkeiten über regelmäßige Zahlungen im Zusammenhang mit einem Wohnraummietverhältnis in analoger Anwendung des § 16 GKG aus sozialen Gründen zur Vermeidung unbilliger Kostenlasten für die Mietvertragsparteien ein Streitwert in Höhe des zwölffachen Wertes des streitigen monatlichen Differenzbetrages angemessen. Allerdings sei bei der Berechnung der Beschwer der fünfzehnfache Wert des streitigen Differenzbetrages zu Grunde zu legen, um – wiederum im Interesse der Parteien – die Einschränkung der Rechtsmittelfähigkeit entsprechender amtsgerichtlicher Urteile weniger einschneidend zu gestalten. Dies gelte auch bei einem Streit über Betriebskostenvorauszahlungen.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO); sie ist auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO).

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des Landgerichts übersteigt die Beschwer der Klägerin den Betrag von 600 EUR (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Das Landgericht hätte deshalb die Berufung der Klägerin nicht mit der gegebenen Begründung als unzulässig verwerfen dürfen.

a) Soweit es – wie hier – nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung auf den Wert des Beschwerdegegenstandes ankommt, ist dieser nach den §§ 3-9 ZPO zu bestimmen (§ 2 ZPO). Für Klagen auf künftig wiederkehrende Leistungen gilt § 9 ZPO; darunter fallen auch Klagen auf Erhöhung oder Herabsetzung von Mieten und Nebenkostenpauschalen. Das dem Richter nach § 3 ZPO grundsätzlich zustehende Ermessen bei der Wertfestsetzung ist insoweit durch die Sonderregelung des § 9 ZPO eingeschränkt. Den vom Berufungsgericht angeführten sozialen Gründen für die Gestaltung des Kostenrechts in Wohnraummietsachen wird durch die gebührenrechtliche Vorschrift des § 16 GKG Rechnung getragen, der die Bemessung des Streitwertes auf das einjährige Entgelt begrenzt und dadurch – mittelbar – die anfallenden gerichtlichen und außergerichtlichen Gebühren in einem vertretbaren Rahmen hält. Für den Zugang zur Berufungsinstanz sind sie ohne Bedeutung; insofern kann sich im Gegenteil die vom Landgericht entgegen § 9 ZPO vorgenommene „Kappung” des Wertes des Beschwerdegegenstandes gerade unsozial auswirken, wenn sie dazu führt, daß der unterlegenen Partei aus formellen Gründen die Möglichkeit einer Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils genommen wird. Für eine analoge Anwendung des § 16 GKG auf die Bemessung des Wertes des Beschwerdegegenstandes besteht daher kein Anlaß und keine Rechtfertigung.

b) Soweit § 9 ZPO früher von einem Teil der Rechtsprechung und der Literatur trotz seines klaren Wortlauts auf Mieterhöhungsklagen nicht angewandt worden ist, beruhte dies im wesentlichen auf der Erwägung, daß die langen Zeiträume, auf die die Vorschrift in ihrer damaligen Fassung abstellte – zwölfeinhalbfacher Jahresbetrag bei ungewisser Dauer des Klageanspruchs – jedenfalls bei Wohnraummietverhältnissen nicht der Realität entsprächen und die Vorschrift daher für solche Ansprüche nicht passe. Dieser Auffassung ist jedoch durch die Änderung des § 9 ZPO durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl. I, 50) die Grundlage entzogen; die generelle Bemessung der Beschwer lediglich nach dem 3 ½-fachen Jahresbetrag des streitigen Betrages stellt eine auch für Wohnraummietverhältnisse angemessene Grundlage für die Rechtsmittelfähigkeit amtsgerichtlicher Entscheidungen dar (vgl. dazu BVerfG, NJW 1996, 1531 unter II 1 b; Senatsbeschluß vom 13. Dezember 1965 – VIII ZR 287/63, NJW 1966, 778; BGH, Beschluß vom 17. Mai 2000 – XII ZR 314/99, NJW 2000, 3142). Die vom Landgericht praktizierte Nichtanwendung der Vorschrift ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht gerechtfertigt.

c) Der Umstand, daß im vorliegenden Fall die Klage nicht als Antrag auf künftige Leistung, sondern auf Feststellung einer solchen Verpflichtung gerichtet ist, ist für die Frage der Anwendbarkeit des § 9 ZPO ohne Bedeutung; er hat lediglich zur Folge, daß von dem rechnerischen Betrag – wie auch sonst regelmäßig bei positiven Feststellungsklagen – ein Abzug in Höhe von 20 % vorzunehmen ist (Schmidt-Futterer/Börstinghaus, Mietrecht, 7. Aufl., § 2 MHG, Rdnr. 610). Die Beschwer der Klägerin beläuft sich demnach auf 42 × 25,56 EUR = 1.073,52 EUR ./. 20 % (214,70 EUR) = 858,82 EUR und übersteigt somit die nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO für die Zulässigkeit der Berufung maßgebende Wertgrenze von 600 EUR.

3. Dementsprechend ist der Beschluß des Landgerichts Köln vom 7. Januar 2003 aufzuheben. Das Landgericht wird nunmehr unter Beachtung der vorstehenden rechtlichen Beurteilung erneut über die Zulässigkeit der Berufung der Klägerin zu entscheiden haben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 und 4 ZPO).

Unterschriften

Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Dr. Leimert, Wiechers, Dr. Frellesen

Fundstellen

  • Haufe-Index 952498
  • BGHR 2003, 1036
  • JurBüro 2004, 207
  • NZM 2004, 617
  • AnwBl 2003, 597
  • MK 2003, 117
  • BRAGOreport 2003, 181
  • BRAGO prof. 2003, 134
  • NJOZ 2003, 3008

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