Leitsatz (amtlich)
Die Drohung mit einer gefährlichen Körperverletzung reicht als Tatmittel für eine Geiselnahme gem. § 239b StGB nicht aus.
Verfahrensgang
LG Duisburg (Entscheidung vom 20.01.1989) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 20. Januar 1989 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme nach § 239 b StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
Das Landgericht hat festgestellt: Einen Tag nach der letzten Haftentlassung faßte der wohnungslose Angeklagte im Zustand nicht auszuschließender erheblich verminderter Schuldfähigkeit die Kassiererin eines Kaufhauses an ihrem Kittel, zog sie aus ihrem Stuhl hoch, hielt ihr einen abgebrochenen Flaschenhals mit der scharfkantigen Seite an den Hals und rief laut mehrmals: "Sie sind meine Geisel. Keiner soll näher kommmen, rufen Sie die Feuerwehr, ich möchte in die Psychiatrie!" Einem Kaufhausdetektiv und einem Kunden gelang es, den Angeklagten zu überwältigen.
Entgegen der nicht näher begründeten Ansicht des Landgerichts erfüllt dieser Sachverhalt nicht den Tatbestand der Geiselnahme. Hier kommt nur die erste Alternative des § 239 b StGB a.F. in Betracht. Danach wird bestraft, wer einen anderen entführt oder sich eines anderen bemächtigt, um einen Dritten durch die Drohung mit dem Tode oder einer schweren Körperverletzung (§ 224 StGB) des Opfers zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen. Der Angeklagte hatte sich zwar der Kassiererin im Sinne dieser Vorschrift bemächtigt. Unklar geblieben ist aber, wen er durch Drohung mit welcher Straftat zu welcher Handlung nötigen wollte.
Als abzunötigende Handlung kommt zunächst der Telefonanruf bei der Feuerwehr in Betracht. Hierzu wollte der Angeklagte möglicherweise das Tatopfer selbst zwingen, dann nämlich, wenn mit "Sie" nicht irgendwelche anwesenden Personen, sondern die Kassiererin gemeint gewesen war. Bei dieser Absicht ist § 239 b StGB bisheriger Fassung nicht erfüllt, weil die Vorschrift die Nötigung eines Dritten, also einer anderen Person als des Opfers, voraussetzte (vgl. BGHR StGB § 239 a Abs. 1 Ausnutzen 1; Schäfer in LK, 10. Aufl. § 239 b StGB Rdn. 6; Müller-Emmert/Maier MDR 1972, 97; anders jetzt die Neufassung durch Gesetz vom 9. Juni 1989, BGBl. I S. 1059).
Als abzunötigende Handlung kommt auch das Verbringen des Angeklagten in die "Psychiatrie" in Betracht. Daß die Bedrohung der Kassiererin auch noch nach dem möglichen Erscheinen der Feuerwehrleute fortgesetzt und auch ihnen gegenüber als Nötigungsmittel eingesetzt werden sollte, ist aber nicht festgestellt.
Im übrigen scheidet § 239 b StGB nach den bisherigen Feststellungen schon deshalb aus, weil - unabhängig davon, zu welcher Handlung genötigt werden sollte - nicht dargetan ist, daß der Angeklagte mit dem Tode der Kassiererin oder deren schweren Körperverletzung (§ 224 StGB) gedroht hat. Nachgewiesen ist bisher nur die Drohung mit einer gefährlichen Körperverletzung nach § 223 a StGB. Diese reicht als Tatmittel für § 239 b StGB nicht aus (vgl. Horn in SK StGB - Lieferung Februar 1987 - § 239 b Rdn. 5).
In der neuen Hauptverhandlung wird auch - gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen - der Geisteszustand des Angeklagten zur Tatzeit näher zu klären sein. Insbesondere müssen die Umstände dargetan werden, aufgrund derer die Strafkammer von einer abnormen Persönlichkeit des Angeklagten dergestalt ausgeht, daß bereits eine Blutalkoholkonzentration von 1,57Promille zur erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führen kann. Eine genauere Prüfung ist schon im Hinblick auf das ungewöhnliche Tatziel - die Verbringung in "die Psychiatrie" - und die Gehirnerschütterung im Jahre 1973, die möglicherweise zu bleibenden Gehirnschäden geführt hat, aus materiellrechtlichen Gründen veranlaßt. Das Verbot der Schlechterstellung steht einer Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht entgegen, wenn die Voraussetzungen des § 63 StGB in der neuen Hauptverhandlung festgestellt werden können, § 358 Abs. 2 StPO.
Fundstellen
Haufe-Index 3018876 |
NJW 1990, 57 (Volltext mit red. LS) |
JuS 1990, 331 |