Entscheidungsstichwort (Thema)
Glaubhaftmachung von Steuerforderungen im Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Leitsatz (redaktionell)
Der Insolvenzantrag eines Finanzamts ist grundsätzlich nur zulässig, wenn Steuerbescheide und gegebenenfalls Steueranmeldungen des Schuldners vorgelegt werden. Eine Liste der in der Vollstreckung befindlichen Rückstände reicht hierzu nicht aus. Eine Glaubhaftmachung der Forderung des Finanzamts durch Vorlage der Bescheide kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn das Finanzamt die ausstehenden Steuern genau beschreibt und der Schuldner sich lediglich auf Erlassanträge und Gegenansprüche beruft.
Normenkette
InsO § 14; ZPO § 294
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Beschluss vom 10.11.2010; Aktenzeichen 3 T 82/10) |
AG Lüneburg (Entscheidung vom 07.09.2010; Aktenzeichen 46 IN 61/10) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 10. November 2010 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Antrag des Schuldners auf Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts Lüneburg vom 7. September 2010 wird abgelehnt.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 30.288,70 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Die weitere Beteiligte zu 1 (Gläubigerin) hat wegen Steuerrückständen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners beantragt. Zur Glaubhaftmachung ihrer Forderung hat sie eine „Aufstellung von in Vollstreckung befindlichen Rückständen” vorgelegt. Steuerbescheide und Steueranmeldungen sind nicht zu den Akten gelangt. Das Insolvenzgericht hat das Insolvenzverfahren nach Einholung eines Gutachtens zum Vorliegen eines Insolvenzgrundes und zur Deckung der Massekosten eröffnet. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist erfolglos geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Schuldner weiterhin die Abweisung des Insolvenzantrags erreichen. Hilfsweise beantragt er, die Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses bei Zurückverweisung an das Beschwerdegericht auszusetzen.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 2
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 34 Abs. 2, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie führt bereits deshalb zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, weil der angefochtene Beschluss nicht mit Gründen versehen ist. Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand sowie die in den Vorinstanzen gestellten Anträge erkennen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2002 – IX ZB 56/01, ZInsO 2002, 724; vom 14. Juni 2010 – II ZB 20/09, NJW-RR 2010, 1582 Rn. 5; vom 13. Januar 2011 – IX ZB 113/10, juris, Rn. 2). Fehlen die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, ist das Rechtsbeschwerdegericht, das grundsätzlich von dem vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt auszugehen hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO), zu einer rechtlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung nicht in der Lage.
Rz. 3
So liegt der Fall hier. Dem Beschluss des Beschwerdegerichts ist nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Tatsachen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung vorliegen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2006 – IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 Rn. 8 ff), gegeben ist. Wie hoch die fälligen Verbindlichkeiten des Schuldners zu diesem Zeitpunkt waren und welche flüssigen Mittel diesen gegenüberstanden (vgl. zu den Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 137 ff), hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. Die Einwendungen des Schuldners gegen die Forderung des den Antrag stellenden Finanzamts bleiben ebenso unerwähnt, wie der Einwand des Schuldners, über die Forderung der Steuerberatungsgesellschaft sei eine Teilzahlungsvereinbarung getroffen. Hinsichtlich des vorhandenen liquiden Vermögens wird nur ausgeführt, dass Zahlungsunfähigkeit selbst dann vorliege, wenn ein möglicherweise überhöhter Einbehalt aus einem früheren Insolvenzverfahren, in dem die Vergütung noch nicht abgerechnet sei, zur Masse gezählt werde. Wie hoch ein möglicher Rückfluss von Mitteln aus dem früheren Verfahren sein könnte, ist daraus nicht zu entnehmen.
Rz. 4
Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass der Insolvenzantrag eines Finanzamts, mit dessen Voraussetzungen sich das Beschwerdegericht bisher noch nicht befasst hat, grundsätzlich nur zulässig ist, wenn Steuerbescheide und gegebenenfalls etwaige Steueranmeldungen des Schuldners vorgelegt werden (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 – IX ZB 214/05, ZInsO 2006, 828 Rn. 8 ff; vom 9. Juli 2009 – IX ZB 86/09, ZInsO 2009, 1533 Rn. 3). Eine Liste der in der Vollstreckung befindlichen Rückstände reicht hierzu nicht aus. Eine Glaubhaftmachung der Forderung durch das Finanzamt durch Vorlage der Bescheide kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn das Finanzamt die ausstehenden Steuern genau beschreibt und der Schuldner sich lediglich auf Erlassanträge und Gegenansprüche beruft (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009, aaO, Rn. 3). Ob das Beschwerdegericht von einem entsprechenden Ausnahmefall ausgegangen ist, kann der Entscheidung, in der Ausführungen zur Zulässigkeit des Antrags gänzlich fehlen, nicht entnommen werden, obwohl auch das Beschwerdegericht die Zulässigkeit des Antrags zu prüfen hat (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006, aaO Rn. 6).
III.
Rz. 5
Der Antrag des Schuldners auf Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung (§ 4 InsO, § 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO) wird abgelehnt, weil nicht festgestellt werden kann, dass dem Rechtsbeschwerdeführer durch die weitere Vollziehung größere Nachteile drohen als den anderen Beteiligten im Fall der Aussetzung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2002 – IX ZB 48/02, ZInsO 2002, 370 f). Zwar kann das Rechtsbeschwerdegericht die Vollziehung der erstinstanzlichen Entscheidung auch bis zur (erneuten) Entscheidung des Beschwerdegerichts aussetzen (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2006, aaO Rn. 29 ff). Eine Aussetzung der Vollziehung, deren Anordnung im Ermessen des Rechtsbeschwerdegerichts liegt, erscheint hier aber nicht angebracht, weil die Gefahr erheblicher Verschlechterungen für die Gläubiger besteht, wenn der Schuldner bei der Aufklärung der Eröffnungsvoraussetzungen sein bisheriges obstruktives Verhalten fortsetzt.
Unterschriften
Kayser, Raebel, Pape, Grupp, Möhring
Fundstellen
BFH/NV 2011, 1998 |
HFR 2012, 92 |
ZIP 2011, 1971 |
DZWir 2012, 40 |
NZI 2011, 712 |
ZInsO 2011, 1614 |