Verfahrensgang
LG Rostock (Urteil vom 12.12.2017) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 12. Dezember 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Rz. 2
Der Angeklagte macht zu Recht geltend, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 247 StPO gegeben ist. Er war von der Verhandlung während der Vernehmung der Nebenklägerin in gesetzeswidriger Weise ausgeschlossen.
Rz. 3
1. Der Formalrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
Rz. 4
In der Hauptverhandlung vom 6. Dezember 2017 wurde auf Antrag des Nebenklagevertreters die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin S., dem Opfer der verfahrensgegenständlichen Taten, ausgeschlossen. Ein Beschluss über den Ausschluss des Angeklagten wurde nicht gefasst. Die Vernehmung der Zeugin fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit und in Abwesenheit des Angeklagten statt.
Rz. 5
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Rz. 6
a) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts bedurfte es keiner Ausführungen zum Aussageinhalt der in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Vernehmung der Nebenklägerin. Bei der Vernehmung der Opferzeugin als zentraler Belastungszeugin bedarf es – selbst im Falle ihrer wiederholten Vernehmung – keiner Darlegungen zum wesentlichen Aussageinhalt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – 1 StR 711/13, NStZ 2014, 532, 533; Beschluss vom 23. September 2014 – 4 StR 302/14, NStZ 2015, 104, 105). Anderes folgt auch nicht – wie der Generalbundesanwalt meint – aus dem Umstand, dass das Landgericht das Verfahren im Hinblick auf die dem Angeklagten zur Last liegenden Tatvorwürfe des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Bruders der Zeugin gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verpflichtet auch in einer solchen Verfahrenskonstellation nicht zu der (pauschalen) Mitteilung, dass die in Abwesenheit des Angeklagten erfolgte Vernehmung der Zeugin jedenfalls auch auf die später zur Verurteilung gelangten Fälle bezogen war (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Mai 2018 – 2 StR 543/17). Im Übrigen entnimmt der Senat den Urteilsgründen, die er auf die zulässig erhobene Sachrüge zur Kenntnis zu nehmen hat, dass die Zeugin am 6. Dezember 2017 zu den sie selbst betreffenden Tatvorwürfen vernommen worden ist.
Rz. 7
b) § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verpflichtete auch nicht zu dem Vortrag, dass der Angeklagte den Sitzungssaal freiwillig verlassen und zuvor keine Einwände gegen den von dem Nebenklagevertreter gestellten Ausschließungsantrag erhoben hat.
Rz. 8
Der zeitweise Ausschluss des Angeklagten ist stets durch förmlichen Gerichtsbeschluss anzuordnen, der zu begründen und zu verkünden ist. Ein Beschluss wird nicht entbehrlich, weil alle Verfahrensbeteiligten mit der Anordnung einverstanden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2001 – 3 StR 225/01, NStZ 2002, 44, 45). Soweit der 5. Strafsenat in seinem Urteil vom 30. August 2000 (5 StR 268/00, NStZ 2001, 48) erwogen hat, dass anderes in Fallkonstellationen gelten könnte, in denen die Voraussetzungen für eine Abwesenheitsverhandlung zweifelsfrei vorliegen und das Einverständnis des Angeklagten auf der Anerkennung dieser verfahrensrechtlich eindeutigen Situation beruht, könnte der Senat dem nicht folgen. Der Angeklagte kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzurücken kein Anlass besteht, nicht wirksam auf seine vom Gesetz vorgeschriebene Anwesenheit verzichten (BGH, Beschluss vom 15. August 2001 – 3 StR 225/01, NStZ 2002, 44, 45 – für den Fall einer fehlenden Begründung des Beschlusses; siehe auch Urteil vom 30. August 2000 – 5 StR 268/00, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 22; Senat, Urteil vom 6. Dezember 1967 – 2 StR 616/67, BGHSt 22, 18, 20).
Rz. 9
c) Anhaltspunkte für ein gezielt auf die vorsorgliche Schaffung eines Revisionsgrundes gerichtetes und dem Angeklagten zurechenbares Verhalten, das Anlass geben könnte, die Zulässigkeit der Rüge unter dem Gesichtspunkt arglistigen Verhaltens in Zweifel zu ziehen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Rz. 10
3. Der absolute Revisionsgrund liegt vor. Der Beschwerdeführer war entgegen § 247 StPO von der Vernehmung der Zeugin ausgeschlossen, ohne dass dies durch einen durch den gesamten Spruchkörper gefassten und mit Gründen versehenen Beschluss angeordnet worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2014 – 3 StR 194/14, NStZ 2015, 103, 104; LR-StPO/Becker, 26. Aufl., § 247 Rn. 28). Ein begründeter Beschluss ist auch dann erforderlich, wenn alle Beteiligten einschließlich des Angeklagten mit seiner Entfernung einverstanden sind; die notwendige Anwesenheit des Angeklagten während wesentlicher Teile der Hauptverhandlung steht nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten (BGH, Beschluss vom 6. Februar 1993 – 4 StR 35/91, NStZ 1991, 296; Beschluss vom 15. August 2001 – 3 StR 225/01, NStZ 2002, 44, 45).
Rz. 11
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
Unterschriften
Schäfer, Appl, Eschelbach, Bartel, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 12089168 |
NStZ 2018, 739 |
NStZ-RR 2018, 5 |
NJW-Spezial 2018, 697 |
StRR 2018, 2 |
StV 2019, 166 |