Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerhinterziehung
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist Voraussetzung für ein Verschaffen von Erzeugnissen oder Waren i. S. einer Steuerhehlerei, dass der Täter oder der Dritte, dem die Erzeugnisse oder Waren verschafft werden, dadurch Verfügungsgewalt erlangt. Damit ist Steuerhehlerei nicht gegeben, wenn die Aufgabe des Angeklagten nur darin bestand, unmittelbar im Produktionsprozess an den Maschinen zu arbeiten, die Maschinen mit Feinschnitt zu bestücken, den Produktionsablauf zu überwachen und die produzierten Zigaretten zu verpacken, er aber an der Beschaffung und Einlagerung des Tabaks nicht beteiligt war (Anm. der Red.: zur Steuerhinterziehung eines Produktionshelfers vgl. BGH Beschluss vom 28.07.2022 1 StR 470/22).
2. Auch die Tatvariante der Absatzhilfe oder einer versuchten Absatzhilfe liegt nicht vor, wenn der Tabakfeinschnitt zum Zeitpunkt der Beschlagnahme noch unbearbeitet auf dem Gelände lagerte. Im Streitfall hatten insoweit weder andere Bandenmitglieder Absatzbemühungen entfaltet noch der Angeklagte mit der ihm zugewiesenen Arbeit begonnen.
Normenkette
AO § 374 Abs. 1-2, § 370; TabStG § 1 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Der Vorwurf der Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Gemeinschaftsmarken (richtig: Unionsmarken) wird von der Strafverfolgung ausgenommen.
2. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 5. Mai 2021, soweit es diese beiden Angeklagten betrifft, aufgehoben,
a) soweit die Angeklagten wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt worden sind; insoweit werden die Angeklagten freigesprochen und hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten zu tragen;
b) im Übrigen mit den zugehörigen Feststellungen.
3. Im Umfang der Aufhebung zu 2. b) wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Steuerhinterziehung, wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei sowie wegen Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Gemeinschaftsmarken (Unionsmarken) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt; zudem hat es die Angeklagten nicht betreffende Einziehungen angeordnet. Die gegen ihre Verurteilungen im nach einer Verfahrensbeschränkung verbliebenen Umfang gerichteten Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung materiellen und formellen Rechts beanstanden, führen mit der Sachrüge zum Teilfreispruch, mit der Verfahrensrüge zur Urteilsaufhebung im Übrigen (§ 349 Abs. 4 StPO).
Rz. 2
1. Die Verfahrensbeschränkung bezüglich des Vorwurfs der Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Unionsmarken (§ 143a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 143 Abs. 2, 5 MarkenG, Art. 9 Abs. 1, 2, Buchst. a, Abs. 3 Buchst. a Unionsmarkenverordnung; § 27 StGB) trägt wie im Verfahren 1 StR 470/21 dem Umstand Rechnung, dass die Würdigung des Landgerichts, die Marken R., Ri. und Ma. seien unionsweit geschützt (UA S. 18), nicht belegt ist (insbesondere UA S. 30). Damit kann auch hier offenbleiben, ob infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs Großbritannien aus der Europäischen Union die Gesamtrechtslage für die Angeklagten günstiger ist und dies einer Bestrafung entgegensteht (§ 2 Abs. 3 StGB).
Rz. 3
2. Im verbliebenen Verfahrensumfang ist die Revision begründet.
Rz. 4
a) Die Verurteilung wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1, 2 AO, § 1 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 TabStG) hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; die Angeklagten sind insoweit aus tatsächlichen Gründen freizusprechen (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO). Der Generalbundesanwalt hat - im Wesentlichen gleich - in den jeweiligen Antragsschriften zur Tatvariante des Sichverschaffens (§ 374 Abs. 1 Variante 1 AO) bzw. der Beihilfe hierzu (§ 27 StGB) zutreffend ausgeführt:
aa) ʺDie Steuerhehlerei bezieht sich nach den Urteilsgründen auf den Feinschnitttabak, der auf dem Fabrikgelände sichergestellt worden ist (UA S. 39).
[…]
Der Angeklagte hat den Feinschnitt auch nicht sich oder einem Dritten verschafft gemäß § 374 Abs. 1 AO.
Unerheblich ist, ob der Angeklagte selbst, die zehn Mitangeklagten und der gesondert Verfolgte H. oder die unbekannten Hintermänner durch die Anlieferung und Einlagerung des Feinschnitts auf dem Fabrikgelände Besitz an dem Feinschnitt erlangt haben. Zwar ist es Voraussetzung für ein Verschaffen von Erzeugnissen oder Waren gemäß § 374 Abs. 1 AO, dass der Täter oder der Dritte, dem die Erzeugnisse oder Waren verschafft werden, dadurch Verfügungsgewalt erlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2016 - 1 StR 108/16 -, Rn. 33; Urteil vom 7. November 2007 - 5 StR 371/07 -, Rn. 15). Die Urteilsgründe belegen jedoch nicht, dass der Angeklagte in irgendeiner Form als Täter (§ 25 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) zur Anlieferung oder Einlagerung des Feinschnitts beigetragen hat.
Nach den Urteilsfeststellungen steuerten unbekannte Hintermänner die Belieferung der illegalen Fabrik mit den zur Herstellung der Zigaretten erforderlichen Materialien, die Produktion der Zigaretten und deren Abtransport (UA S. 12). Aufgabe des Angeklagten war es, unmittelbar im Produktionsprozess an den Maschinen zu arbeiten, die Maschinen mit Feinschnitt zu bestücken, den Produktionsablauf zu überwachen und die produzierten Zigaretten zu verpacken (UA S. 15). Für die Belieferung mit den zur Herstellung erforderlichen Materialien und den Abtransport der Zigaretten waren demgegenüber die Mitangeklagten O., Ry. und Krz. zuständig, denen es auch oblag, den verwendeten Lastkraftwagen zu be- und entladen (UA S. 15 ff.; vgl. auch UA S. 34 f. zur Hierarchie unter den Beteiligten). Der Angeklagte [Kr. ] war lediglich in einem Fall gemeinsam mit dem Mitangeklagten an der Be- (!) ladung eines Transportfahrzeugs beteiligt (UA S. 16). Da die Fabrik über einen Gabelstapler verfügte (vgl. ebd.), scheint die Beteiligung einer größeren Anzahl von Personen an den Ladearbeiten auch nicht notwendig gewesen zu sein. Die dennoch getroffene Feststellung, dass der Feinschnitt vom Angeklagten in der Fabrikhalle eingelagert worden sei (UA S. 18), wird jedenfalls nicht von der Beweiswürdigung getragen. Eine Beteiligung des Angeklagten an der Einlagerung ergibt sich insbesondere nicht aus seiner Einlassung […].ʺ
Rz. 5
bb) Auch auf die Tatvariante der Absatzhilfe (§ 374 Abs. 1 Variante 3 AO) oder einer versuchten Absatzhilfe (§ 374 Abs. 3 AO, § 22 StGB) kann die Verurteilung nicht gestützt werden. Denn der Tabakfeinschnitt lagerte zum Zeitpunkt der Beschlagnahme am 18. August 2020 noch unbearbeitet auf dem Gelände. Mithin hatten insoweit weder andere Bandenmitglieder Absatzbemühungen entfaltet noch die Angeklagten mit der ihnen zugewiesenen Arbeit begonnen. Neue Feststellungen zu bestimmten Tatbeiträgen der Angeklagten, die eine Verurteilung wegen Steuerhehlerei oder zumindest der Beihilfe hierzu tragen könnten, sind nach alledem von einem zweiten Rechtsgang nicht zu erwarten. Auch die Voraussetzungen der Ordnungswidrigkeitstatbestände der § 381 AO, §§ 36 f. TabStG sind nicht erfüllt. Der Senat entscheidet daher selbst auf Freispruch (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO).
Rz. 6
b) Im nach Teilbeschränkung und -freispruch verbliebenen Urteilsumfang, der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, greift jeweils die - übereinstimmend erhobene - Rüge durch, die dem Urteil zugrundeliegende Verständigung habe einen unzulässigen Inhalt (§ 257c Abs. 2 Satz 1 StPO).
Rz. 7
aa) Nach dem Vorschlag des Landgerichts sollten die Angeklagten die Tatvorwürfe nicht nur - für sich genommen freilich bedenkenfrei - gestehen (vgl. § 257c Abs. 2 Satz 2 StPO), sondern auch „Beweisanträge und Anträge, die zu einer Verzögerung eines Verfahrensabschlusses führen würden“, nicht stellen. Im Gegenzug sicherte die Kammer zu, die Strafen aus einem Strafrahmen von zwei Jahren sechs Monaten bis zu zwei Jahren zehn Monaten zu verhängen. Diesem Vorschlag stimmten die beiden Angeklagten zu.
Rz. 8
bb) Damit hat das Landgericht die Zusage eines bestimmten Strafrahmens unsachgemäß mit dem von ihm erwarteten Prozessverhalten der Angeklagten verknüpft: Den umfassenden Verzicht auf Prozessanträge gegen die Zusicherung eines Strafrahmens hat der Gesetzgeber als zu weitgehend erachtet (BT-Drucks. 16/12310, S. 13). Allenfalls einzelne Anträge können zum Gegenstand der Verständigung gemacht werden (vgl. § 257c Abs. 2 Satz 1 Variante 3 StPO). Anderenfalls wäre die Verletzung der Aufklärungspflicht zu besorgen, die der Verständigung entzogen ist (§ 257c Abs. 1 Satz 2, § 244 Abs. 2 StPO). Eine solch weitgehende Unterwerfung ist zudem mit der Subjektstellung der Angeklagten unvereinbar, die auch bei Urteilsabsprachen zu wahren ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2005 - 4 StR 153/06).
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Fundstellen
Dokument-Index HI15407294 |