Verfahrensgang
LG Regensburg (Urteil vom 20.05.2020; Aktenzeichen 133 Js 95199/18 5 KLs) |
Tenor
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 20. Mai 2020 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten ist im Umfang der Beschlussformel erfolgreich (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen bestehen bei dem bereits aufgrund Urteils des Amtsgerichts Nürnberg – Jugendschöffengericht – vom 24. September 2008 gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Beschuldigten eine chronifizierte Schizophrenie mit Minussymptomatik, eine stark ausgeprägte Persönlichkeitsfehlentwicklung sowie eine komplexe Suchtproblematik. Anlasstaten der früheren Unterbringung waren eine Körperverletzung mit nachfolgendem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung sowie eine Sachbeschädigung. Die vom Amtsgericht festgestellte Schuldunfähigkeit wurde damals auf eine entweder drogeninduzierte oder schizophrene Psychose zurückgeführt.
Rz. 3
Trotz der mehrjährigen Unterbringungszeit trat beim Beschuldigten kein „nennenswerter” Behandlungserfolg ein und es konnten ihm keine „namhaften” Lockerungen zugestanden werden. Zur Zeit der hiesigen Anlasstaten befand er sich in einer hochgesicherten „subakuten Station” des Bezirkskrankenhauses. Dort verletzte er am 4. August 2018 und am 25. Januar 2019 jeweils einen Mitpatienten mit mehreren Faustschlägen in das Gesicht. Die Geschädigten erlitten Hautabschürfungen, Schädelprellungen und Hämatome. Am 30. März 2019 wollte ein Sicherheitsmitarbeiter den Beschuldigten auffordern, die Musik im Gemeinschaftsraum leiser zu stellen. Als er die Tür zu dem Raum öffnete, versetzte der Beschuldigte ihm mit der Folge einer Bewusstlosigkeit unvermittelt einen Kopfstoß. Nachdem dieser wieder zu sich gekommen war, trat der Beschuldigte ihm mehrfach ins Gesicht; der Sicherheitsmitarbeiter verlor erneut das Bewusstsein. Als er es wiedererlangt hatte und sich zu wehren versuchte, schleuderte ihn der sehr kräftige Beschuldigte „durch die Luft”, sodass der Geschädigte mit dem Nacken auf einer Tischkante aufkam und ein drittes Mal bewusstlos wurde. Mitpatienten versuchten, den Beschuldigten von weiteren Angriffen abzuhalten. Mit dem hinzugeeilten Sicherheitspersonal gelang es letztlich 15 Personen, ihn zu überwältigen. Der Geschädigte erlitt Prellungen, Verstauchungen, Schürfwunden sowie eine Handverletzung, die zweifach operativ versorgt werden musste. Er war lange Zeit arbeitsunfähig und bedurfte psychologischer Hilfe.
Rz. 4
2. Die sachverständig beratene Strafkammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten in den Tatzeitpunkten jeweils krankheitsbedingt aufgehoben war (§ 20 StGB). Er habe sich bei den Taten im Zustand einer Psychose befunden und seinen aggressiven Impulsen nichts entgegensetzen können. Wesentlicher Grund für die fehlende Impulskontrolle und handlungsleitendes Motiv sei ein psychotisches Erleben gewesen (UA S. 23).
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
Die Anordnung der Maßregel hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Rz. 6
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruhte. Das Tatgericht hat dies in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2020 – 2 StR 43/20 Rn 6; vom 23. Januar 2019 – 2 StR 523/18, BGHR StGB § 63 S. 2 Besondere Umstände 1; vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76, und vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75).
Rz. 7
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Rz. 8
a) Das Bestehen einer chronifizierten Schizophrenie hätte vertiefter Erörterung bedurft.
Rz. 9
Der Senat verkennt nicht, dass dem Sachverständigen und der Strafkammer zur diagnostischen Beurteilung des Beschuldigten nur beschränkte Erkenntnisquellen zur Verfügung standen, nachdem dieser eine Exploration abgelehnt und auch seine behandelnden Ärzte nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden hatte. Auch vor diesem Hintergrund hätten sich der Sachverständige und ihm folgend das Landgericht indessen nicht auf eine knappe Skizzierung des Zustandsbildes des Beschuldigten beschränken dürfen. Etwa aus früheren Begutachtungen (vgl. § 463 Abs. 4 StPO) ersichtliche konkrete Umstände, die die Diagnose schlüssig belegen, insbesondere frühere produktiv psychotische Manifestationen, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die nach den Feststellungen beim Beschuldigten dominierende „Minussymptomatik mit fehlendem Antrieb und mangelndem Durchhaltevermögen” ist unspezifisch und nicht ausschließlich an Schizophrenien gebunden (vgl. Klosterkötter/Albers, Klinische Differentialdiagnostik schizophrener Minussymptomatik, in: Möller/Laux, Fortschritte in der Diagnostik und Therapie schizophrener Minussymptomatik, 1994, S. 1 ff.; Maneros/Deister/Rohde, Möglichkeiten und Grenzen der Positiv-Negativ-Dichotomie der Schizophrenie, in: Möller/Laux, aaO, S. 15, 20). Das Landgericht hätte sich in diesem Zusammenhang überdies eingehender als geschehen mit der Frage befassen müssen, ob das Zustandsbild des Beschuldigten im Zeitpunkt der Taten etwa wesentlich durch die mehr als zehnjährige Unterbringung ohne absehbare Entlassungsperspektive bedingt sein kann.
Rz. 10
Auch jene Tatsachen, die der Feststellung einer schuldausschließenden Psychose beim Beschuldigten im Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 24. September 2008 zugrunde lagen, sind aus dem angefochtenen Urteil nicht ausreichend ersichtlich. Insoweit wird eher beiläufig erwähnt, dass der Angeklagte damals angegeben habe, sich von dem Geschädigten verfolgt gefühlt zu haben. Es hätte der Erörterung bedurft, aufgrund welcher weiteren Anknüpfungstatsachen der frühere Gutachter zu der Diagnose einer entweder drogeninduzierten oder schizophrenieförmigen Psychose gelangt ist.
Rz. 11
b) Gegen die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der für den Tatzeitpunkt angenommenen Psychose und den Anlasstaten bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Juli 2020 – 2 StR 121/20 Rn. 9 ff., und vom 5. Februar 2019 – 2 StR 505/18 Rn. 5, NStZ-RR 2019, 134, 135, jeweils mwN).
Rz. 12
aa) Der Sachverständige, dem die Strafkammer folgt, hat ausgeführt, dass der Beschuldigte seit seiner frühen Kindheit durch „soziale Randgruppenverhältnisse” geprägte Entwicklungsdefizite aufweise. Konfliktsituationen und Kränkungen begegne er „aufgrund seiner defizitären Persönlichkeitsstruktur und fehlender Kompetenz zur emotionalen Reflexionsfähigkeit sowie mangelnder Empathie mit spontanen und impulsiv-aggressiven Verhaltensstrategien” (UA S. 19). Wenngleich sich bezogen auf die Anlasstaten ein „konkreter Wahn” mangels Bereitschaft des Beschuldigten, sich explorieren zu lassen, nicht beschreiben lasse, „müsse man jedoch davon ausgehen, dass ein Wahn vorliege, welcher sich in der deutlichen Diskrepanz zwischen Anlass und Folge” seines Verhaltens zeige (UA S. 21). Dieses Missverhältnis lasse sich nicht allein mit der „schwierigen Persönlichkeit” des Beschuldigten oder einer Störung der Impulssteuerung erklären (UA S. 22).
Rz. 13
bb) Damit wird der einzige Beleg für einen psychosebedingten Wahn, der nach der Überzeugung der Strafkammer als wesentlicher Grund für die fehlende Impulskontrolle und handlungsleitendes Motiv den symptomatischen Zusammenhang zwischen Krankheit und Tat begründet, aus dieser selbst gefolgert. Das erscheint zwar, z.B. bei einem sehr bizarren Tatbild, nicht generell unzulässig. Ein solches liegt hier jedoch nicht vor. Auch angesichts dessen, dass die Taten – was vom Landgericht im Grundsatz bedacht worden ist (UA S. 27) – eine schlüssige Erklärung auch in der problematischen Persönlichkeitsstruktur des Beschuldigten in Verbindung mit der Unterbringungssituation finden können, stellt die Annahme eines die Anlasstaten auslösenden Wahnerlebens letztlich nur eine Mutmaßung dar. Daran vermag auch der Hinweis auf die der Vorverurteilung mitzugrundeliegende – gleichfalls „anlasslose” und anders als hier in Freiheit begangene – Körperverletzung nichts zu ändern.
Rz. 14
3. Die Sache bedarf deshalb, naheliegender Weise unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen, neuer Verhandlung und Entscheidung, wobei die objektiven Feststellungen zu den Tatgeschehen bestehen bleiben können. Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
Rz. 15
Für den Fall, dass das neue Tatgericht wiederum das Bestehen einer chronifizierten Schizophrenie beim Beschuldigten feststellen sollte, weist der Senat darauf hin, dass ein symptomatischer Zusammenhang zwischen Psychose und Taten nicht notwendigerweise deren Zurückführbarkeit auf ein psychotisches Erleben voraussetzt. Auch ein unabhängig hiervon auftretendes Versagen der Impulskontrolle kann den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang begründen, sofern es seinerseits krankheitsbedingt ist.
Unterschriften
Sander, Schneider, RiBGH Prof. Dr. König ist urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert, Sander, Feilcke, von Schmettau
Fundstellen
Haufe-Index 14276603 |
NStZ-RR 2021, 195 |
StV 2021, 233 |