Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 11. Juli 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten der Vergewaltigung in zwei Fällen und der versuchten Vergewaltigung für schuldig befunden und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
1. Das Urteil kann keinen Bestand haben, soweit das Landgericht den Angeklagten der versuchten Vergewaltigung für schuldig befunden hat; denn der Ausschluß eines strafbefreienden Rücktritts hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Nach den Feststellungen kam, bevor der Angeklagte in seinem Pkw mit Auschra M. den Geschlechtsverkehr vollziehen konnte, „ein anderer Autofahrer vorbei und hupte, da er an dem Auto des Angeklagten nicht vorbeifahren konnte. So gestört nahm der Angeklagte von der weiteren Tatausführung Abstand, … . Er befürchtete, daß der andere Autofahrer zu seinem Fahrzeug kommen würde und sehen würde, was der Angeklagte tat” (UA 8). Hierauf gestützt meint das Landgericht, der Angeklagte habe von der weiteren Tatausführung „nicht freiwillig” Abstand genommen.
Das Landgericht hat sich dabei schon nicht damit auseinandergesetzt, warum der Angeklagte seine Tat nicht fortführte, nachdem sich der andere Autofahrer entfernt hatte. Im übrigen ist nicht erkennbar, worauf es seine Überzeugung gründet, der Angeklagte habe aus „Angst, der Autofahrer würde zu seinem Fahrzeug kommen und seine Tat erkennen” (UA 23), von der weiteren Tatausführung abgesehen: Der Angeklagte selbst hat dazu angegeben, es sei – allerdings freiwillig – zuvollendetem Geschlechtsverkehr gekommen (UA 14). Diese Einlassung hält das Landgericht zwar durch die entgegenstehende Bekundung der Nebenklägerin mit der – schon für sich rechtlich nicht unbedenklichen – Erwägung für widerlegt, „vermutlich” sei es für den Angeklagten mit „seinem männlichen Stolz nicht zu vereinbaren, daß er durch einen anderen Autofahrer gestört wurde” (UA 15/16). Daraus ergibt sich aber nicht, daß die Nebenklägerin auch Angaben zu einer den Angeklagten beherrschenden Angst vor Entdeckung gemacht hat. Die Erwägungen des Landgerichts sind damit bisher nicht mehr als eine Vermutung, daß ein emotionaler Zwang den Angeklagten zu der Tatvollendung unfähig gemacht haben könnte (vgl. BGHSt 21, 216; 35, 184, 186; Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 24 Rdn. 16, 17 m.w.N.).
Allerdings lassen die bisher getroffenen Feststellungen die Möglichkeit offen, daß der Angeklagte sein Ziel, den Geschlechtsverkehr mit Auschra M. zu vollziehen, nicht endgültig aufgegeben hatte, vielmehr die Tat im Hotel, das er zusammen mit ihr gleich anschließend aufsuchte, fortsetzten wollte, zumal es dort zum gewaltsam vollzogenen Geschlechtsverkehr kam. Dies könnte das Geschehen im Auto und das im Hotel zueiner Tat im Rechtssinne verknüpfen (vgl. BGHSt 33, 142, 144 f.; 39, 244, 247 f.; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Rücktritt 4). Dazu bedurfte es schon deshalb näherer Erörterung, weil der Angeklagte die Nebenklägerin zwischenzeitlich nicht aus seinem Einflußbereich entlassen hat (vgl. BGHSt 39, 244, 247 f.).
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler betrifft zwar nur die Verurteilung des Angeklagten wegen des Geschehens im PKW. Der Senat hebt aber wegen des hier gegebenen Zusammenhangs mit der Bewertung der Aussage der Nebenklägerin als einziger Tatzeugin das Urteil insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter eine widerspruchsfreie Würdigung zu ermöglichen, zumal die Beweiswürdigung zur Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin und Glaubhaftigkeit ihrer Angaben auch für sich genommen nicht frei von rechtlichen Bedenken ist.
Das Landgericht glaubt den Angaben der Nebenklägerin zum engeren Tatgeschehen. Dagegen hält es ihre Angaben für widerlegt, soweit diese noch in der Hauptverhandlung „bei ihrer eindringlichen Befragung durch die Kammer und Gegenüberstellung mit anderen Zeugen den Austausch von Intimitäten mit dem Angeklagten ≪erg.: vor den Vorfällen≫ bis auf den Austausch flüchtiger Wangenküsse vehement abstreitet” (UA 19, 20). Gleichwohl erachtet das Landgericht die Zeugin für glaubwürdig und das Aussageverhalten „ohne weiteres für plausibel”. Stellt sich objektiv die Unwahrheit der Aussage eines Belastungszeugen heraus, so muß der Tatrichter aber, wenn er der Zeugenaussage im übrigen dennoch glaubt, regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe hierfür nennen (st. Rspr.; BGH StV 1998, 580, 581). Daran fehlt es hier. Zudem stützt sich das Landgericht bei seiner Beurteilung auf die Erwägung, „daß es sich die Zeugin M. heute schlicht und einfach nicht vorstellen kann, für jemanden, der ihr derart Gewalt angetan hat, zuvor einmal Sympathie empfunden zu haben” (UA 20). Diese Darlegungen begründen die Gefahr, daß das Landgericht einem Zirkelschluß erlegen ist; denn die Strafkammer begründet die ihr nachvollziehbar erscheinende fehlende Erinnerung der Nebenklägerin an den früheren Austausch von Zärtlichkeiten mit dem Angeklagten, und damit ihre Glaubwürdigkeit, letztlich mit der Glaubhaftigkeit ihrer eigenen Bekundungen zu der dem Angeklagten angelasteten Gewalthandlungen.
Bedenken begegnen auch die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es begründet, es könne „nachvollziehen, daß die Zeugin M. nicht schon nach der ersten Vergewaltigung die Flucht vor dem Angeklagten ergriff” (UA 21). Die Wendungen: „… mag die Zeugin tatsächlich Angst davor gehabt haben, …” und „… dürfte sie gehofft haben, daß …” lassen besorgen, daß sich das Landgericht insoweit lediglich auf nicht durch Aussagen der Nebenklägerin belegte Vermutungen stützt. Jedenfalls aber unterliegt die Strafkammer hier einem weiteren Zirkelschluß; denn sie erklärt den Umstand, daß sich die Nebenklägerin „letztlich doch zur Flucht entschloß und sich an die Polizei wandte”, mit der Tatbegehung, nämlich damit, „daß nunmehr nach der erneuten Vergewaltigung im Hotel W. ihre Leidensfähigkeit so erschöpft war, daß die Befürchtung, eigene Repressalien hinnehmen zu müssen, völlig in den Hintergrund geriet” (UA 21).
Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht ohne die rechtsbedenklichen Erwägungen die Aussage der Nebenklägerin anders gewürdigt und insgesamt zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Ihrem Verhalten, insbesondere zu der Frage nach dem früheren Austausch von Zärtlichkeiten, kam hier schon deshalb besondere Bedeutung zu, weil das Urteil nicht verständlich macht, weshalb sie sich dem Ansinnen gerade des Angeklagten, mit ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, derartig widersetzt habe und dieser deshalb habe Gewalt anwenden müssen; angesichts dessen, daß die Nebenklägerin in der Bundesrepublik als Prostituierte arbeitete, sie auch für den Angeklagten „tätig” war, sie ihm gegenüber erklärte, „sie möge ihn” (UA 4), und sie auch Dritten gegenüber erwähnte, daß sie den Angeklagten „sympatisch finde” (UA 20), hätte dies hier näher erörtert werden müssen.
3. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Paderborn zurück.
Für das weitere Verfahren weist der Senat für den Fall erneuter Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung ergänzend darauf hin, daß auch die Strafrahmenwahl und die Strafzumessungserwägungen im angefochtenen Urteil Bedenken begegnen. Zu Recht hat das Landgericht zu Gunsten des Angeklagten gewertet, daß seine „Hemmschwelle, sich an der Zeugin M. zu vergehen, deutlich herabgesetzt gewesen sein dürfte, da diese für ihn als Prostituierte tätig war” (UA 25). Der Senat hält insoweit – entgegen den vom 2. Strafsenat geäußerten Bedenken (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 326 Nr. 30; BGH, Urteil vom 16. August 2000 – 2 StR 159/00) – an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (BGH StV 1995, 635 ≪nur LS≫; 1996, 26; wie hier auch der 5. Strafsenat, Beschluß vom 19. September 2000 – 5 StR 404/00). Hinzu kommt hier das freundschaftliche Verhältnis des Angeklagten zu der Nebenklägerin, das zumindest aus seiner Sicht – wie das Landgericht selbst erwägt (UA 25) – die Erwartung freiwilliger sexueller Kontakte nahelegte. Bei dieser Sachlage liegen besondere Umstände vor, die es rechtfertigen können, trotz Erfüllung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB besonders schwere Fälle zu verneinen und die Strafen dem Strafrahmen des Absatzes 1 oder – weiter gehend – des Absatzes 5 Halbs. 1 der Vorschrift (zu letzterem BGHR StGB § 177 Abs. 5 Strafrahmenwahl 1, 2) zu entnehmen. Zudem wird die Bewertung, der Angeklagte habe bei den Taten „schon eine gewisse Brutalität walten lassen” (UA 25), den festgestellten Umständen nicht ohne weiteres gerecht. Daß er „nicht völlig unerhebliche … Gewalt” ausgeübt hat (UA 24), gehört zum Regelbild der Vergewaltigung und ist deshalb kein zulässiger Strafschärfungsgrund.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen