Entscheidungsstichwort (Thema)
Beachtung des Willens des Betroffenen bei Auswahl des Betreuers
Leitsatz (amtlich)
a) Das Beschwerdegericht darf in einem Betreuungsverfahren dann nicht gem. § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Betroffene nicht mehr an seinem bei der erstinstanzlichen Anhörung geäußerten Wunsch, eine bestimmte Person zum Betreuer zu bestellen, festhält und die Bestellung eines Berufsbetreuers vorzieht.
b) Erklärt der Betroffene, dass eine bestimmte Person nicht zum Betreuer bestellt werden soll, ist dieser Wille bei der Auswahl des Betreuers zu berücksichtigen.
Normenkette
FamFG § 68 Abs. 3 S. 2, § 278 Abs. 1; BGB § 1897 Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
LG Bonn (Beschluss vom 11.06.2012; Aktenzeichen 4 T 143/12) |
AG Waldbröl (Entscheidung vom 11.01.2012; Aktenzeichen 10 XVII 198/11) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 4) wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Bonn vom 11.6.2012 aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 3.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Beteiligte zu 4) wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Anordnung einer Betreuung für ihren Vater, soweit diese sich auf den Aufgabenkreis "Vermögensangelegenheiten" erstreckt.
Rz. 2
Der Betroffene leidet unter Demenz vom Typ Alzheimer. Das AG hat nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen die Betreuung u.a. für den Aufgabenkreis "Vermögensangelegenheiten" angeordnet und den Beteiligten zu 1) zum Betreuer, die Beteiligte zu 2) zur "Zusatzbetreuerin" sowie die Beteiligte zu 3) zur "Ergänzungsbetreuerin" bestellt.
Rz. 3
Hiergegen hat die Beteiligte zu 4) Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, dass die Übertragung des Aufgabenkreises "Vermögensangelegenheiten" auf die Beteiligten zu 1) und 2) aufgehoben wird. Das LG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Beteiligte zu 4) ihr Beschwerdeziel weiter.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insb. gem. § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthaft. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 4) ergibt sich aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Das Rechtsmittel ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
Rz. 5
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass eine Aufhebung der rechtlichen Betreuung für den Aufgabenkreis "Vermögensangelegenheiten" nicht in Betracht komme, weil der Betroffene an einer psychischen Erkrankung in Form einer fortgeschrittenen senilen Demenz vom Alzheimer-Typ leide und daher außer Stande sei, seine Vermögensangelegenheiten selbst wahrzunehmen. Weder die vom Betroffenen erteilte privatschriftliche Vollmacht vom 4.7.2001 noch die notariell beurkundete Vollmacht vom 21.2.2011 reichten zur Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten des Betroffenen aus. Die vom Verfahrenspfleger mitgeteilten Äußerungen des Betroffenen, er wünsche eine Kontrolle der Beteiligten zu 1) und 2), weil er selbst dazu nicht mehr in der Lage sei, stünden der Aufrechterhaltung der rechtlichen Betreuung nicht entgegen. Die Ausübung des Betreueramtes werde durch das Betreuungsgericht kontrolliert.
Rz. 6
Von einer erneuten Anhörung des Betroffenen sei abgesehen worden, da nach dem Ergebnis der amtsgerichtlichen Anhörung und im Hinblick darauf, dass die Beschwerde Art und Ausmaß der dementiellen Erkrankung des Betroffenen nicht in Abrede stelle, von einer erneuten Anhörung durch die Kammer keine zusätzlichen entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien.
Rz. 7
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 8
Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falls hätte das Beschwerdegericht nicht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen absehen dürfen.
Rz. 9
a) Nach § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren (BGH v. 11.8.2010 - XII ZB 171/10, FamRZ 2010, 1650 Rz. 5). Allerdings darf das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Diese Voraussetzung ist insb. dann erfüllt, wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtliche Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt (BGH v. 2.3.2011 - XII ZB 346/10, FamRZ 2011, 805 Rz. 13 m.w.N.). Von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren sind in der Regel jedoch dann neue Erkenntnisse zu erwarten, wenn der Betroffene an seinem in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnis mit einer Betreuung im Beschwerdeverfahren nicht mehr festhält oder er im Beschwerdeverfahren erstmals den Wunsch äußert, ihm einen bestimmten Betreuer zu bestellen (BGH v. 16.3.2011 - XII ZB 601/10, FamRZ 2011, 880 Rz. 16). Gleiches gilt, wenn sich für das Beschwerdegericht Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Betroffene eine andere Person zum Betreuer bestellt haben möchte, als diejenige, die er bei der erstinstanzlichen Anhörung benannt hat.
Rz. 10
b) Auf dieser rechtlichen Grundlage hätte das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall nicht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen absehen dürfen.
Rz. 11
Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass der Betroffene an dem bei seiner erstinstanzlichen Anhörung geäußerten Wunsch, die Beteiligten zu 1) und 2) als Betreuer einzusetzen, im Laufe des Beschwerdeverfahrens nicht mehr festgehalten hat. Der Verfahrenspfleger hat nach einem mit dem Betroffenen geführten Gespräch dem Beschwerdegericht mitgeteilt, der Betroffene habe nach reiflicher Überlegung erklärt, es sei ihm doch wichtig, dass sich ein neutraler Berufsbetreuer der Sache annehme. Es solle jemand eingesetzt werden, der unbefangen sei. Aufgrund dieser Mitteilung des Verfahrenspflegers hatte das Beschwerdegericht konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene mit der Bestellung der Beteiligten zu 1) und 2) als Betreuer nicht mehr einverstanden war und einen Berufsbetreuer vorziehen würde. Dadurch hat sich die zu beurteilende Sachlage signifikant verändert, so dass von einer erneuten Anhörung des Betroffenen zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten waren. Über die Ernsthaftigkeit des gegenüber dem Verfahrenspfleger geäußerten Wunsches hätte sich das Beschwerdegericht durch die Anhörung des Betroffenen selbst ein Bild verschaffen müssen.
Rz. 12
c) Schließlich ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts rechtsfehlerhaft, weil es sich nicht mit dem Wunsch des Betroffenen auseinandergesetzt hat, statt den Beteiligten zu 1) und 2) einen Berufsbetreuer zu bestellen.
Rz. 13
aa) Nach § 1897 Abs. 4 Satz 2 FamFG soll darauf Rücksicht genommen werden, wenn der Betroffene vorschlägt, eine bestimmte Person nicht als Betreuer zu bestellen. Anders als bei positiven Vorschlägen des Betroffenen gem. § 1897 Abs. 4 Satz 1 FamFG zu einer Person, die zum Betreuer bestellt werden kann, ist das Gericht an die Ablehnung einer Person als Betreuer nicht gebunden (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 71. Aufl., § 1897 Rz. 17; NK-BGB/Heitmann 2. Aufl., § 1897 Rz. 43; Jürgens/Jürgens Betreuungsrecht 4. Aufl., § 1897 BGB Rz. 16). Um eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Betroffenen und seinem Betreuer zu gewährleisten, hat das Gericht jedoch den Wunsch des Betroffenen bei seiner Auswahlentscheidung zu berücksichtigen (vgl. BGH v. 27.7.2011 - XII ZB 118/11, FamRZ 2011, 1577 Rz. 24).
Rz. 14
bb) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das Beschwerdegericht hat sich nicht ausreichend mit dem Wunsch des Betroffenen, einen Berufsbetreuer zu bestellen, befasst, was den Schluss nahelegt, dass es den entsprechenden Vortrag des Verfahrenspflegers übersehen hat.
Rz. 15
3. Die angefochtene Entscheidung kann danach nicht bestehen bleiben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Die Sache war deshalb an das LG zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 FamFG). Dies gibt dem Beschwerdegericht Gelegenheit, im Rahmen der persönlichen Anhörung die Willenskundgabe des Betroffenen zu überprüfen und wegen der Frage, ob die Bestellung eines Berufsbetreuers angezeigt ist, weitere Ermittlungen anzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 3545837 |
EBE/BGH 2013 |
FamRZ 2013, 286 |
NJW-RR 2013, 643 |
FGPrax 2013, 66 |
BtPrax 2013, 24 |
JZ 2013, 100 |
MDR 2013, 284 |
NJ 2013, 5 |
Rpfleger 2013, 142 |
FF 2013, 85 |
FamFR 2013, 48 |