Leitsatz (amtlich)
a) § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG räumt dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch u.a. voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (im Anschluss an BGH v. 21.6.2017 - XII ZB 45/17, FamRZ 2017, 1610).
b) Wird dem Betroffenen das im Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (im Anschluss an BGH v. 15.8.2018 - XII ZB 10/18, FamRZ 2018, 1770).
Normenkette
FamFG §§ 37, 68 Abs. 3 S. 2, § 278
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 15.01.2018; Aktenzeichen 2-29 T 3/18) |
AG Bad Homburg (Beschluss vom 24.11.2017; Aktenzeichen 42 XVII 179/17 Z) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 29. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. vom 15.1.2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene wendet sich gegen die Einrichtung seiner Betreuung.
Rz. 2
Nachdem das AG zunächst die Schwester des Betroffenen zur vorläufigen Betreuerin bestellt und einen vorläufigen Einwilligungsvorbehalt angeordnet hatte, hat es nach Einholung u.a. eines Sachverständigengutachtens zur Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen und dessen Anhörung den Beteiligten zu 2) zum berufsmäßigen Betreuer des Betroffenen für den Aufgabenkreis "Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen und sonstigen Institutionen, Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post" bestellt. Darüber hinaus hat das AG einen Einwilligungsvorbehalt für die Vermögenssorge angeordnet. Das LG hat die Beschwerde des Betroffenen ohne erneute Anhörung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 4
1. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass das LG nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen hätte absehen dürfen.
Rz. 5
a) Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch u.a. voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (BGH, Beschl. v. 21.6.2017 - XII ZB 45/17, FamRZ 2017, 1610 Rz. 9 m.w.N.; vgl. auch BGH v. 7.2.2018 - XII ZB 334/17, FamRZ 2018, 707 Rz. 15 zur Unterbringung).
Rz. 6
Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage erfordert nach § 37 Abs. 2 FamFG, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Das setzt voraus, dass der Betroffene vor der Entscheidung nicht nur im Besitz des schriftlichen Sachverständigengutachtens ist, sondern auch ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern (BGH, Beschl. v. 6.4.2016 - XII ZB 397/15, FamRZ 2016, 1148 Rz. 11 m.w.N.). Wenn dem Betroffenen das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (BGH, Beschl. v. 15.8.2018 - XII ZB 10/18, FamRZ 2018, 1770 Rz. 14).
Rz. 7
b) Gemessen hieran durfte das LG nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen. Seine Anhörung durch das AG ist mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet, weil dem Betroffenen das eingeholte Sachverständigengutachten zur Betreuungsbedürftigkeit nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist.
Rz. 8
Ausweislich des Anhörungsprotokolls des AG wurde dem Betroffenen erst bei der Anhörung vom 24.11.2017 das Sachverständigengutachten ausgehändigt. Was das AG "nach Rücksprache" mit dem Sachverständigen dazu bewogen hat zu vermerken, das Gutachten dem Betroffenen (nur) zu übersenden, "wenn er dies beantragt", ist nicht ersichtlich. Im Übrigen hatte der Betroffene bereits am 14.8.2017 erfolglos um Übersendung des Sachverständigengutachtens gebeten. Weil er das Gutachten erst im Anhörungstermin ausgehändigt erhalten hat, hatte er keine ausreichende Möglichkeit mehr, etwaige Einwendungen hiergegen zu erheben. Demgemäß wurde das Gutachten, soweit aus dem Protokoll ersichtlich, in der Anhörung auch nicht erörtert.
Rz. 9
Zwar hat das LG im vorangegangenen Beschwerdeverfahren, das die einstweilige Betreuerbestellung zum Gegenstand hatte, die vorläufige Betreuerin am 22.9.2017 gebeten, das Gutachten mit dem Betroffenen zu besprechen. Selbst wenn die Betreuerin mit dem Betroffenen über das Gutachten gesprochen hätte, genügte dies allein indessen nicht, um dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör gerecht zu werden (vgl. BGH v. 7.2.2018 - XII ZB 334/17, FamRZ 2018, 707 Rz. 13) und damit die Voraussetzungen für eine verfahrensordnungsgemäße Anhörung durch das AG zu schaffen. Überdies hat die vorläufige Betreuerin in ihrer anschließenden Stellungnahme darauf hingewiesen, dass der Betroffene inzwischen jeden Kontakt mit ihr ablehne.
Rz. 10
2. Die Zurückverweisung gibt dem LG zugleich Gelegenheit, das Sachverständigengutachten einer inhaltlichen Überprüfung anhand der vom Senat aufgestellten Maßstäbe zu unterziehen (vgl. BGH v. 15.2.2017 - XII ZB 510/16, FamRZ 2017, 648 Rz. 15). Ferner wird es sich die Frage vorzulegen haben, ob die Bestellung des Betreuers für alle vom AG innerhalb des Aufgabenkreises angeordneten Aufgabenbereiche erforderlich ist (vgl. dazu BGH v. 11.7.2018 - XII ZB 399/17, FamRZ 2018, 1601 Rz. 19 m.w.N.). Während sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung zur Vermögenssorge und zu Wohnungsangelegenheiten verhält, fehlt es im landgerichtlichen wie im amtsgerichtlichen Beschluss an einer Begründung zur Erforderlichkeit der übrigen Aufgabenbereiche.
Rz. 11
Außerdem wird das LG zu überprüfen haben, ob die Voraussetzungen für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen (vgl. dazu BGH v. 11.7.2018 - XII ZB 399/17, FamRZ 2018, 1601 Rz. 22 m.w.N.). Zu Recht wendet die Rechtsbeschwerde ein, dass sich das LG nicht mit den Ausführungen des Betroffenen hierzu in seiner Beschwerdebegründung auseinandergesetzt hat.
Fundstellen