Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 07.06.2010) |
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 7. Juni 2010 wird als unzulässig verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht Aachen hatte den Angeklagten am 10. Dezember 2008 wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Auf seine Revision hatte der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom 26. August 2009 (2 StR 302/09) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Das Landgericht hat nunmehr von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen. Mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision beanstandet der Angeklagte nunmehr, dass das Landgericht es rechtsfehlerhaft abgelehnt habe, wegen einer nach Aufhebung durch den Bundesgerichtshof eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einen Teil der bereits rechtskräftigen Strafe für vollstreckt zu erklären. Die Nichtanordnung der Unterbringung hat der Angeklagte von seinem Revisionsangriff ausdrücklich ausgenommen. Die Revision war auf Antrag des Generalbundesanwalts im Ergebnis als unzulässig zu verwerfen.
Rz. 2
1. Das Rechtsmittel ist allerdings entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht bereits deshalb unzulässig, weil es sich weder gegen den Schuldspruch noch gegen den Rechtsfolgenausspruch im eigentlichen Sinne richtet. Zulässiges Ziel der Revision kann es vielmehr auch sein, wenn der Beschwerdeführer – wie hier – allein die Kompensation einer nach Aufhebung der erstinstanzlichen Verurteilung und Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung begehrt. Dies folgt aus Sinn und Zweck sowie systematischer Stellung der so genannten Vollstreckungslösung, welche die frühere Strafabschlagslösung abgelöst hat (BGHSt 52, 124). Bei der Vollstreckungslösung wird der Ausgleich für einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot aus dem Vorgang der Strafzumessung herausgelöst, bleibt aber Teil des Rechtsfolgenausspruchs im weiteren Sinne (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2010 – 5 StR 489/10). Sie konstituiert die notwendige Kompensation für rechtsstaatswidrige Verzögerungen des zugrunde liegenden Verfahrens als eigenständigen, allein an den Maßstäben des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK orientierten Prüfungsvorgang, der Unrecht, Schuld- und Strafhöhe unberührt lässt. Ein erklärtes Ziel der Vollstreckungslösung ist es, auf diese Weise in allen Fällen konventionswidriger Verfahrensverzögerungen einen Ausgleich zu ermöglichen (BGH aaO 129 Tz 15). Daraus ergibt sich, das eine unterbliebene Kompensation isoliert mit der Revision angefochten werden kann, wenn die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof eingetreten ist, ohne dass das Rechtsmittel sich zugleich gegen den Schuldspruch oder gegen den Rechtsfolgenausspruch richten muss.
Rz. 3
2. Das Rechtsmittel ist jedoch aus den anderen in der Zuschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen unzulässig. Die für die Geltendmachung einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes grundsätzlich erforderliche Verfahrensrüge (vgl. BGH StV 2009, 118; NJW 2007, 2647) ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer die die Verzögerung begründenden Tatsachen nur unvollständig mitteilt. Sie wäre entsprechend den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts auch unbegründet, weil unter Würdigung des Verfahrensgangs nach Aufhebung und Zurückverweisung eine rechtsstaatswidrige, kompensationspflichtige Verletzung des Beschleunigungsgebotes nicht vorliegt.
Rz. 4
Soweit die Revision im Übrigen allgemein auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützt ist, ist sie unzulässig, weil sie kein auf den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch im engeren Sinn bezogenes Ziel mehr verfolgt.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Appl, Schmitt, Eschelbach, Ott
Fundstellen
Haufe-Index 2601595 |
NStZ-RR 2011, 169 |
NStZ-RR 2013, 193 |