Verfahrensgang
LG Oldenburg (Urteil vom 22.06.2010) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 22. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen drang der Angeklagte in die Wohnung der als Prostituierte tätigen F. ein und erzwang durch Drohungen und Ausnutzen ihrer „schutz- und ausweglosen Lage” zweimal den vaginalen Geschlechtsverkehr. Dabei verwendete er jeweils ein Kondom. Er hat eingeräumt, mit der Geschädigten den Geschlechtsverkehr ausgeübt zu haben, sich jedoch dahin eingelassen, sie sei hiermit einverstanden gewesen. Er habe jeweils im voraus 80 EUR für Oral- und Vaginalverkehr gezahlt. Das Landgericht hat diese Einlassung als in sich unstimmig gewertet und aufgrund der Aussagen mehrerer Zeugen als widerlegt angesehen; die Geschädigte selbst hat es in der Hauptverhandlung nicht vernommen.
Rz. 3
2. Vor diesem Hintergrund beanstandet die Revision mit Recht, dass das Landgericht einen in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen hat.
Rz. 4
a) Die Verteidigung hatte die Vernehmung der in Litauen befindlichen Geschädigten zum Beweis dafür beantragt, dass der Angeklagte ihr jeweils vor Durchführung des Geschlechtsverkehrs einen Geldbetrag in Höhe von 80 EUR übergeben habe. Diesen Antrag hat die Strafkammer gestützt auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO abgelehnt, „da aufgrund der bisherigen eindeutigen Beweisaufnahme eine Vernehmung der in Litauen aufhältigen Zeugin F. nicht zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist.”
Rz. 5
b) Diese Begründung trägt die Zurückweisung nicht.
Rz. 6
aa) Der Antrag erfüllt die inhaltlichen Voraussetzungen eines Beweisantrags. Mit Blick auf die von der Revision vorgetragenen Umstände des vorliegenden Falles – etwa die in den Akten befindliche Kopie des litauischen Personalausweises der Geschädigten – ist die Angabe des Namens der Zeugin mit dem Zusatz „wohnhaft Litauen in der Gemeinde Jonava” als ausreichend bestimmte Bezeichnung des Beweismittels anzusehen.
Rz. 7
bb) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten ist, richtet sich somit nach der Aufklärungspflicht des Gerichts im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO. Bei deren Prüfung hat der Tatrichter namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. In diesem Rahmen ist er von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit. Daher darf er prognostisch berücksichtigen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu würdigen wären. Kommt er dabei unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse mit rechtsfehlerfreier Begründung zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht werde bestätigen können oder dass ein Einfluss der Aussage auf seine – des Tatrichters – Überzeugungsbildung auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist die Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 13; Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2323 mwN).
Rz. 8
cc) Die auf eine derartige antizipierende Würdigung gestützte Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Auslandszeugen bedarf eines Gerichtsbeschlusses (§ 244 Abs. 6 StPO), der zu begründen ist. Diese Begründung hat die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag bewertet, damit er in der Lage ist, sich in seiner Verteidigung auf die Verfahrenslage einzustellen, die durch die Ablehnung entstanden ist. Zugleich soll durch die Gründe des Ablehnungsbeschlusses dem Revisionsgericht die rechtliche Überprüfung der tatrichterlichen Entscheidung ermöglicht werden. Hieraus folgt, dass das Tatgericht in seinem Beschluss die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihrem wesentlichen Kern nachvollziehbar darlegen muss (BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 63; Beschluss vom 19. Januar 2010 – 3 StR 451/09, StraFo 2010, 155).
Rz. 9
Diesen Anforderungen wird der genannte Beschluss nicht gerecht. Er enthält ausschließlich einen pauschalen Hinweis auf die „bisherige eindeutige Beweisaufnahme” und damit noch nicht einmal im Ansatz eine antizipierende Würdigung des zu erwartenden Beweisergebnisses vor dem Hintergrund der bis dahin erhobenen Beweise. Damit ließ er zum einen den Antragsteller über die Einschätzung der Beweislage durch die Strafkammer und die insoweit bestehende Verfahrenssituation im Ungewissen. Zum anderen ist dem Senat die rechtliche Nachprüfung dahin verwehrt, ob das Landgericht die Voraussetzungen des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO rechtsfehlerfrei angenommen und ohne Rechtsfehler von einer Vernehmung der Geschädigten in der Hauptverhandlung abgesehen hat. Auf diese Rechtsprüfung ist der Senat beschränkt; er kann insbesondere die notwendige vorweggenommene Beweiswürdigung des Tatgerichts nicht durch eine eigene Bewertung ersetzen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2323).
Rz. 10
3. Das Urteil beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer abweichenden Beweiswürdigung gelangt wäre, wenn es die benannte Zeugin vernommen und diese die Beweisbehauptungen bestätigt hätte.
Rz. 11
4. Mit Blick auf die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:
Rz. 12
Die vom Landgericht in beiden Fällen ohne nähere Ausführungen angenommene Tatvariante des Ausnutzens einer Lage, in der das Opfer einer Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), erfasst diejenigen Fälle, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird, dieses aber aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint. Erforderlich ist dabei stets, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung, also vor Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen, nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Furcht vor der Zufügung anderer Übel unterlässt (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2008 – 3 StR 494/08, NStZ 2009, 443; Beschluss vom 7. Juli 2009 – 3 StR 223/09, NStZ 2010, 149 jeweils mwN).
Rz. 13
Da der Angeklagte nach den Feststellungen in dem aufgehobenen Urteil die Geschädigte im ersten Fall auf das Bett drückte und im zweiten Fall zum Bett zerrte, könnte gegebenenfalls eine nähere Betrachtung dahin veranlasst sein, ob der Angeklagte die Geschädigte unter Einsatz von Gewalt nötigte (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Unterschriften
Becker, von Lienen, Hubert, Schäfer, Mayer
Fundstellen
Haufe-Index 2615307 |
NStZ-RR 2011, 116 |
StV 2011, 398 |