Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzverfahren. Verlust der Verfügungsbefugnis. Zwangsversteigerungsverfahren. Gefahr der Selbsttötung. Zuschlagsbeschluss
Leitsatz (redaktionell)
Der mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens verbundene Verlust der Verfügungsbefugnis lässt grundsätzlich die Befugnis des Schuldners entfallen, die Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts im Zwangsversteigerungsverfahrens anzufechten. Dies ist nicht der Fall, wenn mit dem Rechtsmittel die Einstellung des Verfahrens im Hinblick auf die Gefahr der Selbsttötung des Schuldners oder eines nahen Angehörigen erstrebt wird, da nur so dem Bedeutungsgehalt des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rechnung getragen werden kann.
Normenkette
GG Art. 2
Verfahrensgang
LG Essen (Beschluss vom 02.10.2008; Aktenzeichen 7 T 470/08) |
AG Bottrop (Entscheidung vom 19.08.2008; Aktenzeichen 16 K 40/05) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldner wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 2. Oktober 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Die Vollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Bottrop vom 19. August 2008 (16 K 40/05) wird bis zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde der Schuldner gegen den Zuschlagsbeschluss eingestellt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 175 000 EUR.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Die Schuldner sind Eigentümer des im Eingang bezeichneten Grundstücks. Das Grundstück ist mit einem Einfamilienhaus bebaut, in welchem sie leben. Am 18. September 2006 wurde über das Vermögen beider Schuldner ein Insolvenzverfahren eröffnet. Der Beteiligte zu 3 wurde in beiden Verfahren zum Verwalter ernannt.
Rz. 2
Die Beteiligten zu 4 und 5 betreiben aus dinglichen Rechten die Zwangsversteigerung des Grundstücks. Im Versteigerungstermin vom 15. Juli 2008 blieb die Beteiligte zu 7 Meistbietende. Mit Beschluss vom 19. August 2008 hat das Amtsgericht ihr den Zuschlag erteilt.
Rz. 3
Gegen diesen haben sich die Schuldner mit der sofortigen Beschwerde gewandt. Sie machen geltend, psychisch erkrankt zu sein und sich selbst töten zu wollen, sollten sie aufgrund des Zuschlags ihr Heim verlieren. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Das Landgericht hat sie als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Schuldner mit der von dem Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht meint, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen hätten die Schuldner die Befugnis zur Verfügung über dieses verloren. Das schließe auch die Befugnis der Schuldner aus, den Zuschlagsbeschluss anzufechten.
Rz. 5
Dem ist der Senat in dem nach der Entscheidung des Beschwerdegerichts getroffenen Beschluss vom 18. Dezember 2008, V ZB 57/08, zur Veröffentlichung vorgesehen, entgegengetreten. Der mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens verbundene Verlust der Verfügungsbefugnis lässt zwar grundsätzlich die Befugnis des Schuldners entfallen, die Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts im Zwangsversteigerungsverfahren anzufechten (vgl. Senat, Beschl.v. 18. Oktober 2007, V ZB 141/06, ZfIR 2008, 150; Beschl.v. 29. Mai 2008, V ZB 3/08, ZinsO 2008, 741). Das gilt jedoch insoweit nicht, als mit dem Rechtsmittel die Einstellung des Verfahrens im Hinblick auf die Gefahr der Selbsttötung des Schuldners oder eines nahen Angehörigen des Schuldners erstrebt wird, weil nur so dem Bedeutungsgehalt des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Rechnung getragen werden kann (Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2008, aaO, Umdruck S. 6 f.; ferner BGH, Beschl.v. 16. Oktober 2008, IX ZB 77/08, NJW 2009, 78 f.).
Rz. 6
So verhält es sich hier. Die sofortige Beschwerde der Schuldner ist darauf gestützt, dass ihr Leben durch den Verlust ihres Hauses gefährdet sei. Mit diesem Vortrag hat sich das Beschwerdegericht, aus seiner Sicht folgerichtig, nicht auseinandergesetzt. Dies ist nachzuholen.
Rz. 7
2. Da aus dem Zuschlagsbeschluss bereits vor dem Eintritt der Rechtskraft vollstreckt werden kann (Böttcher, ZVG 4. Aufl. § 93 Rdn. 2; Stöber, ZVG 18. Aufl. § 93 Rdn. 2.1) und die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts dem Zuschlagsbeschluss die Vollstreckbarkeit nicht nimmt, ist die Aussetzung der Vollstreckung bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts gemäß §§ 575 Abs. 5, 570 Abs. 3 ZPO durch das Rechtsbeschwerdegericht auszusprechen (Senat, Beschl.v. 18. Dezember 2008, aaO, Umdruck S. 8).
Fundstellen