Leitsatz (amtlich)
a) Erbringt eine Handwerkskammer für ein Mitglied Beratungsdienste – hier: Erstellung eines Wertgutachtens anläßlich der beabsichtigten Veräußerung des Betriebsgrundstücks des Mitglieds –, so handelt sie in Ausübung eines öffentlichen Amtes.
b) Zur Frage, inwieweit ein Kaufinteressent, gegenüber dem bei den Kaufverhandlungen das von der Handwerkskammer erstellte Gutachten verwendet wird, geschützter Dritter im Sinne des § 839 BGB ist.
Normenkette
BGB § 839; Handwerksordnung § 90 Abs. 1, § 91 Abs. 1 Nrn. 1, 9
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 11. April 2000 – 3 U 1843/98 – wird nicht angenommen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Streitwert: 105.000,00 DM
Gründe
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 554 b ZPO). Die Revision hat im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg (BVerfGE 54, 277).
1. Aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann der Kläger nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG von der Beklagten Ersatz des Schadens verlangen, der ihm durch die schuldhaft unrichtige Erstellung eines Gutachtens über den Verkehrswert des von ihm erworbenen Grundstücks entstanden ist.
a) Die beklagte Handwerkskammer, die von der früheren Grundstückseigentümerin, die auf dem Kaufgrundstück eine Bäckerei betrieben hatte und in dieser Eigenschaft Mitglied der Beklagten war, um die Erstellung eines Verkehrswertgutachtens ersucht worden war, hat für Fehler bei der Begutachtung des Grundstücks nach Amtshaftungsgrundsätzen einzustehen.
Nach §§ 90 Abs. 1, 91 Abs. 1 Nr. 1 und 9 der Handwerksordnung ist es Aufgabe der Handwerkskammern, die wirtschaftlichen Interessen des Handwerks zu fördern. Hierzu gehört es, den Mitgliedern der Kammer bei allen mit ihrem Beruf zusammenhängenden Fragen beratend und helfend zur Seite zu stehen (BGH, Urteil vom 12. Juli 1990 – I ZR 278/88 – WM 1990, 1839, 1840; OVG Lüneburg, GewArch 1986, 201, 202 m.Nachw.; Aberle, Die Deutsche Handwerksordnung, § 91 [Stand: September 1998] Rn. 59 ff). Die Durchführung dieser den Handwerkskammern von Gesetzes wegen obliegenden Beratungsdienste stellt sich dabei als Ausübung eines öffentlichen Amtes dar (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1955 – VI ZR 100/54 – NJW 1956, 711; Webers, GewArch 1997, 405 f).
b) Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß die Amtspflicht, das von der Verkäuferin in Auftrag gegebene Verkehrswertgutachten mit der erforderlichen Sorgfalt zu erstellen, vorliegend auch den Grundstückskäufern, nämlich dem Kläger und seiner Ehefrau, gegenüber bestanden hat.
aa) Ungeachtet des den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen innewohnenden weiten Begriffsverständnisses ist die den Handwerkskammern zugewiesene Aufgabe und Befugnis zur Hilfeleistung dadurch gekennzeichnet, daß sie auf den selbständigen Handwerker in seiner Eigenschaft als (Mit-)Inhaber eines Handwerksbetriebs ausgerichtet ist (BGH, Urteil vom 11. Juli 1990 aaO). Diese gesetzliche Ausformung und zugleich Begrenzung des Tätigkeitsbereichs einer Handwerkskammer ist bei der Beurteilung der Frage, ob derjenige, der im Zuge einer fehlerhaften Beratungsleistung einen Schaden erleidet, „Dritter” im Sinne des § 839 BGB ist, von besonderer Bedeutung. Daraus folgt, daß die mit der Beratungstätigkeit der Handwerkskammern einhergehenden Amtspflichten vor allem den Zweck haben, die berufsbezogenen Interessen des Kammermitglieds zu schützen und zu fördern, das „fragend” an die Kammer herangetreten ist. Dies zwingt allerdings nicht zu dem Umkehrschluß, daß die Belange aller anderen Personen, für die sich eine fehlerhafte Beratungstätigkeit nachteilig auswirken kann, von vornherein außer Betracht zu bleiben haben. Vielmehr ist auch hier einzelfallbezogen zu prüfen, ob zwischen dem Geschädigten und der verletzten Amtspflicht eine besondere Beziehung besteht, aufgrund derer es geboten ist, das konkret berührte Interesse dem Schutzbereich des § 839 BGB zu unterstellen (vgl. nur Senatsurteil BGHZ 140, 380, 382 m.w.N.).
bb) In der Rechtsprechung des Senats spielt bei der Bestimmung des „Dritten” und des Schutzzwecks der verletzten Amtspflicht der Aspekt des Vertrauensschutzes eine maßgebliche Rolle. Zu fragen ist dabei, ob und inwieweit jemand auf die Richtigkeit und Verläßlichkeit behördlicher Entscheidungen, Erklärungen und Auskünfte vertrauen und diese zur Grundlage von Vermögensdispositionen machen durfte (vgl. Senatsurteile BGHZ 134, 268, 276 ff; 137, 11, 15 ff; vom 5. Mai 1994 – III ZR 78/93 – NJW 1994, 2415, 2417). Dabei liegt es nahe, daß bei der Vereinbarung des Kaufpreises ein vorliegendes Wertgutachten einer Handwerkskammer die Wertvorstellungen beider Vertragspartner beeinflußt, also nicht nur die Preisvorstellung und -erwartung des Vertragsteils, der als Kammermitglied das Gutachten erbeten hat. Allerdings ist bei der Frage, ob geschützte Dritte auch Personen sein können, die nicht Mitglied der beratenden Handwerkskammer sind, auch zu bedenken, daß es angesichts der Vielfalt denkbarer Beratungsleistungen und Hilfestellungen durch eine Handwerkskammer und der Vielzahl von außenstehenden Dritten, die mit dieser Beratungsleistung in Berührung kommen können, der Gefahr entgegenzuwirken gilt, daß für die Handwerkskammern unberechenbare und unüberschaubare Haftungsrisiken entstehen.
cc) Bei der hier vorliegenden Fallgestaltung ist es nach Meinung des Senats sach- und interessengerecht, bei der Bestimmung des nicht zu den Kammermitgliedern gehörenden, aber gleichwohl nach Amtshaftungsgrundsätzen geschützten „Dritten” dieselben Kriterien zugrunde zu legen, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Frage heranzuziehen sind, ob ein Käufer in den Schutzbereich eines vom Verkäufer abgeschlossenen Gutachtenvertrages über den Wert der Kaufsache einbezogen ist (Senatsurteil BGHZ 127, 378; vgl. auch Senatsurteil vom 1. Februar 2001 – III ZR 193/99 –, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Genau das hat das Berufungsgericht getan und im Ergebnis zutreffend eine Haftung der Beklagten dem Kläger gegenüber bejaht. Die von der Revision dagegen erhobenen Rügen greifen nicht durch.
(1) Bei dem von dem für die Beklagte tätig gewordenen Technischen Berater S. erstellten „Beratungsbericht” handelt es sich objektiv um ein – auch als solches gekennzeichnetes – Verkehrswertgutachten, wie es üblicherweise von berufsmäßig als Bausachverständige auftretenden Personen erstellt zu werden pflegt. Dies kommt insbesondere darin zum Ausdruck, daß als Vorgaben für die Ermittlung des Verkehrswertes die Wertermittlungsverordnung, das Baugesetzbuch und „einschlägige Rechtsprechung” angeführt werden. Das Berufungsgericht ist nach Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, daß dem Berater S. auch bekannt war, daß das Wertgutachten für Verkaufszwecke benötigt werde. Die Einlassung des Beraters, nach seinem Verständnis habe die Ermittlung des Verkehrswertes nur einer Bewertung des Anlagevermögens dienen sollen, hat es als bloße Schutzbehauptung zurückgewiesen. Diese Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe nicht hinreichend beachtet, daß eine Vermutung dafür spreche, ein Berater wolle seine Kompetenzen nicht überschreiten, geht fehl. Denn es ist schon nicht einsichtig, warum die Befugnis einer Handwerkskammer, einem Mitglied bei der geplanten Aufgabe des Handwerksbetriebs Beratung und Hilfe zuteil werden zu lassen, davon abhängen soll, ob nach dem Willen des bisherigen Inhabers der Handwerksbetrieb endgültig aufgegeben oder – wie hier geschehen – kaufweise in andere Hände übergehen soll. Auf bloße Steuerfragen ist, entgegen der Auffassung der Revision, die Beratung einer Handwerkskammer ohnehin nicht beschränkt; dieser Bereich stellt vielmehr nur einen Ausschnitt der allgemeinen Beratungstätigkeit dar (vgl. insbesondere Aberle aaO Rn. 59 ff; Musielak/Detterbeck, Das Recht des Handwerks, 3. Aufl., § 91 Rn. 46 ff).
(2) Die Haftung der Beklagten scheitert auch nicht daran, daß der Berater S. kein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger im Sinne des § 36 der Gewerbeordnung ist. Zwar ist der Revision zuzugeben, daß die besondere, durch staatliche Anerkennung oder einen vergleichbaren Akt nachgewiesene Sachkunde des Gutachters nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter trotz der – auch hier gegebenen – Gegenläufigkeit der Interessen des „Auftraggebers” und des Dritten ist (Senatsurteil BGHZ 127, 378, 380 f). Der dahinterstehende Gedanke, daß der Rechtsverkehr einem solchen „ausgewiesenen” Sachverständigen hervorgehobene Sachkunde und Zuverlässigkeit zutraut und dieses Vertrauen besonders schutzwürdig ist, gebietet jedoch eine großzügigere Betrachtungsweise, wenn – wie hier – ein „gutachterlicher” Beratungsbericht durch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts erstellt wird. Denn hier kommt der allgemeinere Grundsatz zum Tragen, daß der Bürger darauf vertrauen darf, daß sich eine Behörde bei der Erfüllung der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben nur solcher Amtswalter bedient, die die zur sachgerechten Erledigung der jeweils in Rede stehenden Verwaltungsaufgabe notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen.
2. Auch im übrigen weist das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten auf.
Unterschriften
Rinne, Wurm, Streck, Schlick, Dörr
Fundstellen
Haufe-Index 547500 |
NWB 2001, 1354 |
BGHR 2001, 323 |
BGHR |
NVwZ-RR 2001, 441 |
EWiR 2001, 419 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 876 |
DÖV 2002, 88 |
MDR 2001, 749 |
NJ 2002, 32 |
VersR 2001, 1287 |
DVBl. 2001, 811 |
RdW 2001, 272 |
GuG 2001, 377 |
ThürVBl. 2001, 159 |