Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmittelzuständigkeit. Landesgesetzliche Konzentration für Urheberrechtsstreitigkeiten. Unzutreffende Rechtsmittelbelehrung. Fristwahrende Rechtsmitteleinlegung. Plattform für Digitalvertrieb. Aloha Heya He 2011. Holger Krüger. Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Ersatz der Rechtsanwaltskosten. Urheberrechtsstreitsache

 

Leitsatz (amtlich)

Besteht für eine Rechtsmittelzuständigkeit eine landesgesetzliche Konzentration nach § 105 UrhG für Urheberrechtsstreitsachen und erteilt das erstinstanzliche Gericht eine unzutreffende Belehrung über das für das Rechtsmittelverfahren zuständige Gericht, kann die Partei bei dem in der Rechtsmittelbelehrung angeführten Gericht fristwahrend Rechtsmittel einlegen, auch wenn dessen Zuständigkeit für das Rechtsmittelverfahren tatsächlich nicht gegeben ist.

 

Normenkette

ZPO § 233 Abs. 1, § 519 Abs. 1, § 520 Abs. 3 S. 1; UrhG § 104 S. 1, § 105 Abs. 1; ZivilZustV RP § 6 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Frankenthal (Pfalz) (Beschluss vom 27.04.2015; Aktenzeichen 6 S 9/15)

AG Koblenz (Urteil vom 06.08.2014; Aktenzeichen 142 C 2279/13)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Frankenthal (Pfalz) vom 27.4.2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 1.383,60 EUR

 

Gründe

Rz. 1

I. Die Klägerin betreibt unter ihrer Internetadresse eine Plattform für den Digitalvertrieb, auf der sie Künstler deren Musiktitel vertreiben lässt.

Rz. 2

Der Beklagte ist ein Sänger, der sich am 3.10.2010 als Nutzer im Internetportal der Klägerin anmeldete. Am 7.10.2011 stellte er die Aufnahme des Musiktitels "Holger Krüger: Aloha Heya He 2011" in das Internetportal ein. Am 31.1.2013 fertigte die Klägerin eine sog. Kompilation, die diesen Musiktitel enthielt. Nach Veröffentlichung der Kompilation ließ der Beklagte am 13.5.2013 die Amazon EU sarl und die Deutsche Telekom AG als Betreiberin des Internetportals "Musicload" wegen angeblicher rechtswidriger Verbreitung seines Musiktitels im Rahmen der von der Klägerin erstellten Kompilation abmahnen. Die Klägerin, die Vertriebspartnerin der beiden vom Beklagten abgemahnten Unternehmen ist, beauftragte daraufhin einen Rechtsanwalt, die vom Beklagten mit seiner Abmahnung geltend gemachten Ansprüche zurückzuweisen. Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt sie den Beklagten unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auf Ersatz der ihr dadurch entstandenen Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

Rz. 3

Das von der Klägerin angerufene AG Koblenz hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe nicht bewiesen, dass der Beklagte die Rechtslage in fahrlässiger Weise verkannt und sich damit wegen eines Eingriffs in den eingerichteten Gewerbebetrieb der Klägerin schadensersatzpflichtig gemacht habe. Dem Urteil ist eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt. Danach ist die Berufung gegen das Urteil beim LG Koblenz einzulegen.

Rz. 4

Die Klägerin hat gegen das ihr am 8.8.2014 zugestellte Urteil des AG am 8.9.2014 Berufung eingelegt, die sie an das LG Koblenz gerichtet und nach entsprechender Fristverlängerung am 10.11.2014 begründet hat. Der Vorsitzende der Berufungskammer des LG Koblenz hat die Klägerin mit Schreiben vom 11.12.2014 darauf hingewiesen, dass es sich bei der Sache um eine Urheberrechtsstreitsache handele, für die nach § 6 der rheinland-pfälzischen Landesverordnung über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivilsachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 22.11.1985 (GVBl. 1985, S. 267 - ZivilZustV RP) im zweiten Rechtszug das LG Frankenthal zuständig sei. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin sind mit Schriftsatz vom 17.12.2014, der am selben Tag bei Gericht eingegangen ist, der Ansicht entgegengetreten, es liege eine Urheberrechtsstreitsache vor; zugleich haben sie hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das LG Frankenthal und weiter hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Berufungskammer des LG Koblenz hat hierauf mit Schreiben ihres Vorsitzenden vom - richtig - 29.12.2014 darauf hingewiesen, dass sie derzeit keine Erforderlichkeit sehe, bereits jetzt vor dem LG Frankenthal einen mit einer Berufungseinlegung verbundenen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen. Mit Beschluss vom 13.1.2015 hat sich das LG Koblenz für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Frankenthal verwiesen. Dieses hat die Berufung der Klägerin mit Beschluss als unzulässig verworfen und den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 17.12.2014 als unzulässig zurückgewiesen.

Rz. 5

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses des LG Frankenthal und die Zurückverweisung der Sache, hilfsweise unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Berufung und weiter hilfsweise auch unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung wegen der versäumten Fristen beantragt.

Rz. 6

II. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausgeführt:

Rz. 7

Die für die Einlegung der Berufung einzuhaltende Monatsfrist sei durch die Einlegung des Rechtsmittels bei dem für Berufungen in Urheberrechtsstreitsachen funktionell nicht zuständigen LG Koblenz nicht gewahrt worden. Der Umstand, dass sich die Unzuständigkeit des LG Koblenz erst aus der besonderen Zuweisung der funktionellen Zuständigkeit in Urheberrechtsstreitsachen ergebe, erlaube keine Abweichung von dem Grundsatz, dass die Einlegung der Berufung beim unzuständigen Gericht nicht fristwahrend sei. Die der Klägerin erteilte falsche Rechtsmittelbelehrung sei unerheblich, weil es Sache des Prozessbevollmächtigten einer Partei sei, die Voraussetzungen einer Berufung und die Zuständigkeit des dabei anzurufenden Gerichts zu prüfen.

Rz. 8

Der von der Klägerin gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zulässig, weil es an dem dafür erforderlichen fristgerecht gestellten Wiedereinsetzungsantrag gegenüber dem erkennenden Gericht fehle. Mit dem Hinweis in dem Schreiben vom 29.12.2014 habe die Berufungskammer des LG Koblenz lediglich eine unverbindliche und vorläufige Rechtsansicht geäußert, die angesichts ihres eindeutigen Hinweises in dem Schreiben ihres Vorsitzenden vom 11.12.2014 nicht geeignet gewesen sei, ein Vertrauen in die Fristwahrung der Berufungseinlegung beim unzuständigen Gericht zu schaffen.

Rz. 9

III. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist zulässig (dazu unter III 1) und hat auch in der Sache Erfolg. Das LG Frankenthal hat im angefochtenen Beschluss zwar mit Recht angenommen, dass es sich bei der vorliegenden Sache um eine Urheberrechtsstreitsache handelt (dazu unter III 2). Gleichwohl hat die Klägerin mit der Einlegung der Berufung gegen das Urteil des AG und seiner nachfolgenden Begründung bei dem LG Koblenz die Fristen zur Einlegung und Begründung des Rechtsmittels gewahrt (dazu unter III 3).

Rz. 10

1. Die nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig, weil der Sache aufgrund der nachfolgenden Ausführungen grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Rz. 11

2. Bei der vorliegenden Sache handelt es sich um eine Urheberrechtsstreitsache i.S.v. § 104 Satz 1 UrhG, für die in der Berufungsinstanz nach § 105 Abs. 1 UrhG i.V.m. § 6 der rheinland-pfälzischen Landesverordnung vom 22.11.1985 das LG Frankenthal funktionell zuständig ist.

Rz. 12

a) Nach § 6 Abs. 1 der Verordnung werden die Urheberrechtsstreitsachen für die Bezirke mehrerer AG dem AG Koblenz für den Bezirk des OLG Koblenz und dem AG Frankenthal (Pfalz) für den Bezirk des OLG Zweibrücken zugewiesen. § 6 Abs. 2 der Verordnung sieht vor, dass die Urheberrechtsstreitsachen, für die das LG in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz zuständig ist, dem LG Frankenthal (Pfalz) für die Bezirke der OLG Koblenz und Zweibrücken zugewiesen werden. Die Voraussetzungen der Zuständigkeit des LG Frankenthal (Pfalz) nach § 6 Abs. 2 der Verordnung sind im Streitfall erfüllt, weil es sich um eine Berufung gegen eine Entscheidung des AG Koblenz in einer Urheberrechtsstreitsache handelt.

Rz. 13

b) Urheberrechtsstreitsachen sind nach der Legaldefinition des § 104 Satz 1 UrhG alle Rechtsstreitigkeiten, durch die ein Anspruch aus einem der im Urheberrechtsgesetz geregelten Rechtsverhältnisse geltend gemacht wird. Zweck der Konzentration von Urheberrechtsstreitsachen auf den ordentlichen Rechtsweg (§ 104 Satz 1 UrhG) und der Ermächtigung zur Konzentration solcher Streitsachen bei bestimmten AG (§ 105 Abs. 2 UrhG) und LG (§ 105 Abs. 1 UrhG) ist die besondere Sachkunde des auf Urheberrechtsstreiten spezialisierten Gerichts (BGH, Beschl. v. 17.1.2013 - I ZR 194/12, GRUR 2013, 757 Rz. 7 = WRP 2013, 811 m.w.N.). Wegen dieses Zwecks ist der Begriff der Urheberrechtsstreitsache weit auszulegen (BGH GRUR 2013, 757 Rz. 7; Wild in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., § 104 UrhG Rz. 3; J. B. Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 11. Aufl., § 104 UrhG Rz. 1; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 5. Aufl., § 104 Rz. 2). Unter den Begriff fallen daher außer Streitigkeiten über Anspruchsgrundlagen aus dem Urheberrechtsgesetz, aus dem Urheberrechtswahrnehmungsgesetz und aus dem Verlagsgesetz auch Streitigkeiten über Angelegenheiten aus anderen Gesetzen oder Rechtsquellen, die unter Anwendung der genannten drei Gesetze zu entscheiden sind, so dass urheberrechtlichen Rechtsquellen zumindest mittelbare Relevanz zukommt (vgl. BGH GRUR 2013, 757 Rz. 8; BGH, Beschl. v. 4.3.2004 - I ZR 50/03, GRUR 2004, 622 zum Begriff der Kennzeichenstreitsache in § 140 Abs. 1 MarkenG; J. B. Nordemann in Fromm/Nordemann, a.a.O., § 104 UrhG Rz. 1 m.w.N.).

Rz. 14

c) Nach diesem Maßstab handelt es sich bei der vorliegenden Sache um eine Urheberrechtsstreitsache, auch wenn die Klägerin den Beklagten unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auf Ersatz der ihr entstandenen Rechtsanwaltskosten in Anspruch nimmt.

Rz. 15

Die Klägerin hat im ersten Rechtszug und mit der Berufungsbegründung geltend gemacht, dass für die Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Abmahnungen die Beauftragung der Klägerin mit der Auswertung der Aufnahme des Beklagten im Wege der digitalen Distribution und Verbreitung nach Nr. 1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen maßgeblich sei. Nach Nr. 3 Abs. 3 Satz 2 und Nr. 3 Abs. 4 Satz 1 dieser Allgemeinen Geschäftsbedingungen habe der Beklagte der Klägerin zu diesem Zweck das ausschließliche und übertragbare Recht, seine Musikaufnahmen für den digitalen Download durch den Endverbraucher im Internet in den digitalen Verkaufsplattformen anzubieten, in den hierzu erforderlichen Datenbanken abzuspeichern und zum Abruf bereitzustellen, sowie das Recht übertragen, alle eingestellten Files und Bundles, d.h. alle vom Lizenzgeber angebotenen und eingestellten Musikaufnahmen in jeder Art und Weise zu veröffentlichen oder mit anderen Projekten (z.B. Kompilation) zu kombinieren. Nach diesem Vortrag der Klägerin war die Klage begründet, weil die vom Beklagten ausgesprochenen Abmahnungen eine rechtswidrige Reaktion auf ein urheberrechtskonformes Verhalten der Klägerin darstellten und diese dadurch einen Schaden erlitten hatte, den der Beklagte unter dem Gesichtspunkt eines schuldhaften Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu ersetzen hatte.

Rz. 16

3. Die von der Klägerin danach gegenüber dem LG Frankenthal einzuhaltenden Fristen zur Einlegung der Berufung (§ 519 Abs. 1 ZPO) und zu deren Begründung (§ 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO) sind vorliegend durch die Einreichung der Berufung und der Berufungsbegründung bei dem funktionell unzuständigen LG Koblenz gewahrt.

Rz. 17

a) In der Rechtsprechung (vgl. OLG Koblenz, ZUM-RD 2001, 392, 393; LG München I, UFITA 87 [1980], 338, 340; a.A. LG Hechingen GRUR-RR 2003, 168; LG Mannheim, Beschl. v. 5.11.2008 - 2 S 3/08, InstGE 11, 52 = juris Rz. 32 ff.) und im Schrifttum (vgl. Schulze in Dreier/Schulze, a.a.O., § 105 Rz. 7; Wild in Schricker/Loewenheim, a.a.O., § 105 UrhG Rz. 7) wird die Ansicht vertreten, dass die Rechtsmittelfristen bei einer aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung wie der des § 105 Abs. 1 UrhG in einer (landesrechtlichen) Vorschrift bestimmten Spezialzuständigkeit auch durch die rechtzeitige Einreichung der Schriftsätze bei dem ohne diese Spezialzuständigkeit zuständigen Gericht eingehalten werden. Dies wird damit begründet, dass es sich bei den nach § 105 UrhG zulässigen Konzentrationsregelungen nicht um gesetzliche Zuständigkeitsregelungen handelt, sondern - wie bei der Konzentration von Kartellsachen - um eine von den einzelnen Ländern unterschiedlich wahrgenommene Ermächtigung zur Konzentration. Es gehe zu weit, einer Partei die Unkenntnis einer speziellen Zuständigkeitsregelung anzulasten, die einer Geschäftsverteilung gleichkomme, und deshalb dürfe eine fristwahrende Verweisung nicht abgelehnt werden (Wild in Schricker/Loewenheim, a.a.O., § 104 UrhG Rz. 7).

Rz. 18

b) Eine solche Sichtweise ist in Fällen gerechtfertigt, in denen die gesetzliche Regelung der Zuständigkeit für das Rechtsmittel nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen lässt, ob über das Rechtsmittel das allgemein zuständige Rechtsmittelgericht oder aber das Rechtsmittelgericht zu entscheiden hat, das nach einer Spezialregelung zuständig ist, durch die die Zuständigkeit bei einem bestimmten Rechtsmittelgericht konzentriert worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 30.5.1978 - KZR 12/77, BGHZ 71, 367, 371 ff. zu § 92 Satz 2 GWB a.F.). Wenn dagegen die gesetzliche Regelung zur Zuständigkeit für das Rechtsmittelverfahren eindeutig ist, kann die Berufung fristwahrend nur bei dem nach der Zuständigkeitskonzentration zuständigen Gericht eingereicht werden (vgl. BGH, Urt. v. 9.12.1999 - III ZR 73/99, NJW 2000, 1574, 1576 zu der nordrhein-westfälischen Regelung, mit der die Berufungszuständigkeit in Baulandsachen beim OLG Hamm konzentriert worden ist; Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 519 Rz. 7).

Rz. 19

c) Die Regelung zur Zuständigkeit für die Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung in Urheberrechtsstreitsachen ließ nicht hinreichend erkennen, ob über das Rechtsmittel der von der Klägerin gegen das Urteil des AG eingelegten Berufung das LG Koblenz oder - was nach den Ausführungen zu vorstehend III 2 zutrifft - das LG Frankenthal zu entscheiden hatte. Mit der Frage, ob eine Urheberrechtsstreitsache vorliegt, können schwierige Abgrenzungsprobleme verbunden sein. Diese können dazu führen, dass für die Parteien die Beurteilung, bei welchem Gericht Berufung einzulegen ist, zweifelhaft erscheinen kann. Eine Partei kann sich deshalb in einem Fall, in dem die Zuständigkeit nach § 105 UrhG in Verbindung mit landesrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften in Rede steht, grundsätzlich darauf verlassen, dass die vom erstinstanzlichen Gericht erteilte Rechtsmittelbelehrung zutreffend ist. Dementsprechend sind mit den von der Klägerin innerhalb der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels und innerhalb der - verlängerten - Frist zu dessen Begründung beim LG Koblenz eingereichten Schriftsätzen diese Fristen nach dem Grundsatz der Rechtsmittelklarheit, nach dem für die Parteien zweifelsfrei erkennbar sein muss, welches Rechtsmittel für sie in Betracht kommt und unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist (vgl. BVerfGE 108, 341, 349; BGH, Beschl. v. 19.11.2015 - I ZR 58/14, juris Rz. 3), als gewahrt anzusehen.

Rz. 20

aa) Dabei ist zu berücksichtigen, dass das AG Koblenz bereits in der Verfügung vom 10.10.2013, mit der es nach Eingang der Anspruchsbegründung die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens angeordnet hat, darauf hingewiesen hat, der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gem. §§ 823, 678 BGB sei keine Urheberrechtsstreitigkeit i.S.v. § 104 UrhG, sondern sei nur die mittelbare Folge einer derartigen Verletzung, so dass eine (örtliche) Zuständigkeit des AG Koblenz nicht gegeben erscheine. In Übereinstimmung damit hat das AG in der Rechtsmittelbelehrung in seinem Urteil das LG Koblenz als für die Entscheidung über eine Berufung zuständiges Rechtsmittelgericht bezeichnet.

Rz. 21

bb) In dem der Klägerin am 15.12.2014 zugestellten Schreiben des Vorsitzenden der Berufungskammer des LG Koblenz vom 11.12.2014 wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei der Sache um eine Urheberrechtsstreitsache handelte, für die nach der einschlägigen landesrechtlichen Regelung im zweiten Rechtszug das LG Frankenthal zuständig war; dieser Umstand sei bei der Terminsbestimmung gemäß Verfügung vom 5.12.2014 übersehen worden. Zugleich wurde in dem Schreiben vom 11.12.2014 bei der Klägerin angefragt, ob sie die Verweisung der Sache an das LG Frankenthal beantrage.

Rz. 22

Nachdem die Klägerin mit am 17.12.2014 beim LG Koblenz eingegangenem Schreiben vom selben Tag der Ansicht entgegengetreten war, dass eine Urheberrechtsstreitsache vorlag, und hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das LG Frankenthal und weiter hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hatte, hat die Berufungskammer des LG Koblenz mit Schreiben ihres Vorsitzenden vom 29.12.2014 der Klägerin mitgeteilt, dass sie derzeit kein Erfordernis sehe, bereits jetzt vor dem LG Frankenthal einen mit einer Berufungseinlegung verbundenen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen. Mit Beschluss vom 13.1.2015 hat das LG Koblenz den Rechtsstreit an das LG Frankenthal verwiesen, wo die Akten am 20.1.2015 eingegangen sind.

Rz. 23

cc) Unter den vorstehend dargestellten Umständen ließ die gesetzliche Regelung der Rechtsmittelzuständigkeit im Streitfall nicht mit der gebotenen Klarheit erkennen, bei welchem Gericht die Klägerin Berufung einlegen müsste. Ursächlich hierfür sind der unrichtige Hinweis und die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Gerichts und die Schwierigkeiten, die mit der Einordnung einer Urheberrechtsstreitsache verbunden sein können. Diese vom Berufungsgericht der Klägerin angesonnene Verfahrensweise, nach dem Hinweis des Vorsitzenden der Berufungskammer des LG Koblenz, beim LG Frankenthal (Pfalz) Berufung einzulegen und Wiedereinsetzung zu beantragen, hätte zu zwei Berufungsverfahren geführt, von denen eines unzulässig gewesen wäre. Für eine derartige Handhabung der Verfahrensvorschriften zu Lasten der Klägerin bestand in Anbetracht der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Gerichts nach dem bei der Einordnung des Rechtsstreits als Urheberrechtsstreitsache bestehenden Zweifelsfragen kein Anlass. Da die Einlegung und Begründung der Berufung beim LG Koblenz die Rechtsmittelfristen wahrte, kommt es nicht mehr darauf an, dass andernfalls der von der Klägerin vor dem LG Koblenz am 17.12.2014 gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als fristwahrend und damit zulässig sowie als begründet hätte angesehen werden müssen. Ein durch eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung hervorgerufener Rechtsirrtum einer anwaltlich vertretenen Partei ist als nicht schuldhaft anzusehen, wenn die Rechtsmittelbelehrung nicht offenkundig fehlerhaft und der durch sie verursachte Irrtum nachvollziehbar und verständlich ist (BGH, Beschl. v. 12.1.2012 - V ZB 198/11 und 199/11, NJW 2012, 2443 Rz. 11; Beschl. v. 18.12.2013 - XII ZB 38/13, NJW-RR 2014, 517 Rz. 20, jeweils m.w.N.). Davon ist vorliegend auszugehen.

Rz. 24

IV. Nach allem kann der mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Beschluss des LG keinen Bestand haben; er ist deshalb aufzuheben.

Rz. 25

Da davon auszugehen ist, dass die Klägerin die Berufung rechtzeitig eingelegt und begründet hat, wird das LG im Weiteren zu prüfen haben, ob dieses Rechtsmittel in der Sache Erfolg hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 9397903

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