Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 29.09.2016) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. September 2016 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tat- und Nachtatgeschehen (Ziffern II.1 bis II.4 der Urteilsgründe) aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der vorsätzlichen sowie der gefährlichen Körperverletzung und der versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte, der der Prostitution nachgeht, am Tatabend eines vornehmlich von homosexuellen Männern besuchten Lokals verwiesen worden, da dort gegen ihn ein Hausverbot bestand. Nachdem er deswegen zunächst eine verbale Auseinandersetzung mit dem Barkeeper „vom Zaun gebrochen” hatte, ergriff der Angeklagte, der zu dieser Zeit wegen der bei ihm bestehenden akuten schizophrenen Psychose unter wahnhaftem Verfolgungserleben und einem damit einhergehenden pathologisch übersteigerten Argwohn sowie einer erheblichen Aggressionsbereitschaft gegen Menschen in seiner Umgebung litt, einen vor ihm auf dem Tresen stehenden massiven Glasaschenbecher und warf ihn gezielt und mit voller Wucht in Verletzungsabsicht in Richtung des Barkeepers. Der Aschenbecher traf eine oberhalb des Tresens angebrachte Hängekonstruktion zur Aufbewahrung von Gläsern und zerbrach. Eine größere scharfkantige Glasscherbe verletzte den Barkeeper am Kopf, ein weiterer Glassplitter traf einen am Tresen sitzenden Gast, der hierdurch eine stark blutende Schnittwunde an der Nase erlitt.
Rz. 3
Der Angeklagte verließ fluchtartig die Bar und traf vor der Eingangstür auf einen Zeugen, der soeben im Begriff war, das Lokal zu betreten. Immer noch laut fluchend schlug er dem völlig Überraschten im Vorbeigehen anlasslos mit der geballten Faust gegen den Kopf. Auf seinem weiteren Weg kam ihm in unmittelbarer Nähe des Lokals ein weiterer Zeuge entgegen. Ohne dass es einen Blickkontakt oder einen Wortwechsel gab, schlug der Angeklagte unvermittelt mit solcher Wucht in dessen Gesicht, dass dieser zu Boden stürzte. Der Angeklagte trat mehrfach gegen die linke Körperseite des auf dem Boden Liegenden. Sodann tastete er dessen Winterjacke ab und forderte sein Portemonnaie. Weil sich dieses in einer schwer zugänglichen, mit einem Reißverschluss gesicherten Innentasche befand und der Zeuge zudem laut um Hilfe rief, brach der Angeklagte die weitere Ausführung der Tat ab. Unverständliche Worte brüllend und laute Selbstgespräche führend, setzte er seinen Weg fort; unter anderem versuchte er, zwei an ihm vorbeilaufende Frauen zu schlagen und trat einer weiteren Passantin ins Gesäß.
Rz. 4
2. Die Anordnung der Unterbringung hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand, da das Landgericht die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei entschieden hat.
Rz. 5
a) Nach den Darlegungen des sachverständig beratenen Landgerichts war die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten bei den Taten aufgrund seiner paranoiden Schizophrenie mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgehoben, mit Sicherheit aber erheblich vermindert. Zur Steuerungsfähigkeit des Angeklagten verhält sich das Urteil nicht.
Rz. 6
Damit ist nicht belegt, dass der Angeklagte die Taten im Zustand sicher festgestellter zumindest eingeschränkter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begangen hat (§ 63 StGB). Nimmt das Tatgericht eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters an, so muss es darüber befinden, ob diese zum Fehlen der Unrechtseinsicht geführt oder ob der Täter gleichwohl das Unrecht der Tat eingesehen hat (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 13. November 1990 – 1 StR 514/90, BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 3, und vom 25. Januar 1995 – 3 StR 535/94, BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6; Beschlüsse vom 30. Juni 2015 – 3 StR 181/15, und vom 20. Dezember 2007 – 5 StR 513/07, NStZ-RR 2008, 140). Hat dagegen der Angeklagte ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen, so ist seine Schuld nicht gemindert und § 21 StGB nicht anwendbar.
Rz. 7
b) Nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist darüber hinaus die vom Landgericht geteilte Annahme der Sachverständigen, die unvermittelten Gewalttätigkeiten des Angeklagten seien nicht lediglich Ausdruck einer „uneinsichtig wütenden Reaktion” auf das Lokalverbot gewesen, sondern beruhten auf krankheitsbedingter Realitätsverkennung und Verfolgungserleben; der Angeklagte habe sich durch die Geschädigten – bei denen es sich um ältere Männer aus dem homosexuellen Milieu gehandelt habe – angegriffen und verfolgt gefühlt und mit aggressivem Verhalten reagiert. Dies erklärt nicht die nach den Taten verübten Angriffe auf unbeteiligte Frauen. An anderer Stelle wird zudem mitgeteilt, dass die Exploration „nur im Ansatz” Hinweise darauf erbracht habe, welche Wahnsymptomatik den Angeklagten beherrsche; wesentlicher Inhalt des Wahns „schienen” Körperbeeinflussungsideen dergestalt zu sein, dass er von älteren Männern angefasst und sexuellen Handlungen unterworfen werde.
Rz. 8
c) Über den psychischen Zustand des Angeklagten bei den Taten, dessen Einfluss auf die Schuldfähigkeit und gegebenenfalls über die weiteren Voraussetzungen der Unterbringung nach § 63 StGB muss deshalb erneut befunden werden.
Unterschriften
Mutzbauer, Sander, Schneider, Dölp, König
Fundstellen
Dokument-Index HI10608541 |