Leitsatz (amtlich)
Wird in einer Kindschaftssache durch den Rechtspfleger ein Verfahrensbeistand bestellt, findet gegen diese Entscheidung die befristete Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG statt.
Normenkette
FamFG § 158 Abs. 3 S. 4; RPflG § 11 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Dem Antragsteller wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 11. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG Stuttgart vom 16.3.2016 aufgehoben.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG - FamG - Ulm vom 24.2.2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung über die Erinnerung gegen den Beschluss vom 21.1.2016 und über die Kosten des Verfahrens an das AG - FamG - Ulm zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Bestellung eines Verfahrensbeistands in einer Kindschaftssache durch den Rechtspfleger.
Rz. 2
Der Antragsteller ist der Vater, die Antragsgegnerin die Mutter ihres am 10.2.2003 geborenen Sohnes. Im Oktober 2015 hat der Antragsteller einen Antrag auf Auskunftserteilung über die persönlichen Verhältnisse des gemeinsamen Kindes gem. § 1686 BGB gestellt. Mit Beschluss vom 21.1.2016 hat die Rechtspflegerin des AG für das Kind eine Rechtsanwältin zum berufsmäßigen Verfahrensbeistand bestellt und ihr die weitere Aufgabe übertragen, Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen des Kindes zu führen sowie an einer einvernehmlichen Regelung des Verfahrensgegenstands mitzuwirken.
Rz. 3
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller fristgerecht Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung vom 22.2.2016 hat die Rechtspflegerin die Akten dem zuständigen Richter mit dem Vermerk vorgelegt, dass sie der Erinnerung nicht abhelfe. Mit Beschluss vom 24.2.2016 hat der Richter die Erinnerung mit der Begründung zurückgewiesen, der Beschluss vom 21.1.2016 sei gem. § 158 Abs. 3 Satz 4 FamFG nicht selbständig anfechtbar.
Rz. 4
Die vom Antragsteller hiergegen eingelegte Beschwerde hat das OLG zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das AG.
Rz. 6
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner in FamRZ 2016, 1696 veröffentlichten Entscheidung ausgeführt, die Regelung des § 158 Abs. 3 Satz 4 FamFG, wonach die Bestellung eines Verfahrensbeistands nicht selbständig anfechtbar sei, gelte auch dann, wenn nicht ein Richter, sondern ein Rechtspfleger über die Bestellung entschieden habe. Die Zulassung einer Rechtspflegererinnerung gem. § 11 Abs. 2 RPflG sei zur Gewährleistung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht erforderlich. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands greife grundsätzlich nicht in die Rechte der Eltern ein. Insbesondere werde das bestehende Sorgerecht nicht tangiert. Eine Beeinträchtigung der Eltern ergebe sich lediglich daraus, dass durch die Bestellung des Verfahrensbeistands Kosten entstünden, die unter Umständen in der verfahrensabschließenden Entscheidung den Eltern ganz oder teilweise auferlegt werden könnten. In Kindschaftsverfahren wirke sich diese Kostenbelastung aber frühestens mit der verfahrensabschließenden Entscheidung aus, deren Überprüfung durch den Richter in jedem Fall erreicht werden könne. Da zudem gem. § 58 Abs. 2 FamFG der Beurteilung durch das Beschwerdegericht auch die nicht selbständig anfechtbaren Zwischenentscheidungen unterlägen, sei sichergestellt, dass eine richterliche Kontrolle über die durch die Bestellung des Verfahrensbeistands entstandenen Kosten und deren Verteilung auf die Beteiligten stattfinde. Den Eltern sei zumutbar, die aus ihrer Sicht gegen die Bestellung eines Verfahrensbeistands sprechenden Gründe im Rahmen einer Beschwerde gegen die Endentscheidung vorzubringen. Zudem würde durch die Zulassung der Rechtspflegererinnerung der mit der Regelung des § 158 Abs. 3 Satz 4 FamFG verfolgte Zweck der Verfahrensbeschleunigung erschwert.
Rz. 7
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist die befristete Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG statthaft, wenn in einer Kindschaftssache - wie im vorliegenden Fall - der Rechtspfleger über die Bestellung des Verfahrensbeistands entschieden hat.
Rz. 8
a) Gegen Entscheidungen des Rechtspflegers, gegen die ein Rechtsmittel nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften nicht gegeben ist, findet die Erinnerung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG statt. Die Rechtspflegererinnerung ist danach immer dann eröffnet, wenn die Entscheidung, hätte sie ein Richter erlassen, im konkreten Fall unanfechtbar wäre (vgl. Lipp in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 573 Rz. 11), etwa weil von vornherein kein statthaftes Rechtsmittel gegeben ist oder ein statthaftes Rechtsmittel aus anderen Gründen unzulässig ist (vgl. BGH v. 26.6.2013 - XII ZB 31/13, FamRZ 2013, 1380 Rz. 26). Über die Erinnerung entscheidet dann - im Fall der Nichtabhilfe durch den Rechtspfleger - gem. § 11 Abs. 2 Satz 3 RPflG der Familienrichter. Lediglich gerichtliche Verfügungen des Rechtspflegers, die nach den dafür geltenden Bestimmungen wirksam geworden sind und nicht mehr geändert werden können, unterliegen nach § 11 Abs. 3 RPflG nicht der Erinnerung. Deren Unanfechtbarkeit beruht darauf, dass Dritte auf den Bestand der Verfügung vertrauen und sie deshalb nicht mehr abgeändert werden kann (Lipp in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 573 Rz. 13).
Rz. 9
Danach sind vorliegend die Voraussetzungen für die Statthaftigkeit der Erinnerung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG erfüllt. Nach § 158 Abs. 3 Satz 4 FamFG ist in einer Kindschaftssache die Bestellung eines Verfahrensbeistands oder deren Aufhebung sowie die Ablehnung einer derartigen Maßnahme nicht selbständig anfechtbar. Ein Rechtsmittel gegen die Bestellung, wäre sie vom Richter angeordnet worden, wäre somit nicht statthaft. Daher folgt bereits aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG, dass gegen die durch einen Rechtspfleger gem. § 3 Nr. 2 lit. a RPflG erfolgte Bestellung eines Verfahrensbeistands in einer Kindschaftssache die Rechtspflegererinnerung der statthafte Rechtsbehelf ist.
Rz. 10
Die Ausschlussregelung des § 11 Abs. 3 RPflG greift hier schon deshalb nicht ein, weil die Bestellung des Verfahrensbeistands gem. § 158 Abs. 5 FamFG jederzeit wieder aufgehoben werden kann, wenn die Interessen des Kindes von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten angemessen vertreten werden. Ein schützenswertes Interesse der Beteiligten auf den Bestand der Bestellung besteht daher nicht.
Rz. 11
b) Soweit das Beschwerdegericht die Auffassung vertritt, die Regelung in § 158 Abs. 3 Satz 4 FamFG habe zur Folge, dass auch die Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG nicht statthaft sei, wenn - wie hier - der Rechtspfleger über die Bestellung des Verfahrensbeistands entschieden habe, kann dem nicht gefolgt werden.
Rz. 12
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG einen möglichst lückenlosen Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des Einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt (BVerfG FamRZ 2000, 731, 733 m.w.N.). Die Entscheidungen des Rechtspflegers sind zwar Teil der Rechtspflege, gehören jedoch zur öffentlichen Gewalt i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG (BGH Beschl. v. 10.12.2009 - V ZB 111/09, NJW-RR 2010, 1366 Rz. 17). Soweit sie in Rechte des Bürgers eingreifen, müssen sie daher in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt werden können (BVerfG FamRZ 2000, 731, 733). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des BVerfG hat das BayObLG entschieden, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers durch einen Rechtspfleger, trotz ihres Charakters als einer vorbereitenden Zwischenentscheidung, einer richterlichen Prüfung zu unterstellen und daher die Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG statthaft sei (vgl. BayObLG FamRZ 2003, 189). Auch der Senat hat im Hinblick auf die Rechtschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG bereits mehrfach die Statthaftigkeit einer Rechtspflegererinnerung bei einer ansonsten unanfechtbaren Entscheidung bejaht (vgl. BGH v. 28.5.2008 - XII ZB 104/06, FamRZ 2008, 1433 Rz. 15; v. 15.8.2012 - XII ZB 442/11, NJW-RR 2012, 1476 Rz. 11; v. 26.6.2013 - XII ZB 31/13, FamRZ 2013, 1380 Rz. 26).
Rz. 13
bb) Danach ist es auch im vorliegenden Fall geboten, die Entscheidung des Rechtspflegers über die Bestellung des Verfahrensbeistands einer richterlichen Prüfung zu unterstellen.
Rz. 14
Das Beschwerdegericht meint zwar, dass die Zulassung einer Rechtspflegererinnerung zur Gewährleistung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht erforderlich sei, weil die Bestellung eines Verfahrensbeistands grundsätzlich nicht in die Rechte der Eltern eingreife. Eine Beeinträchtigung der Eltern ergebe sich nur im Hinblick auf das wirtschaftliche Risiko, möglicherweise an den Kosten der Verfahrensbeistandschaft beteiligt zu werden. Dieser Gesichtspunkt rechtfertige eine selbständige Anfechtbarkeit der Bestellung jedoch nicht. Hierbei übersieht das Beschwerdegericht jedoch, dass durch die Bestellung eines Verfahrensbeistands das Elternrecht über die Gefahr einer möglichen Kostenbelastung hinaus berührt wird. Wird in einer Kindschaftssache ein Verfahrensbeistand bestellt, obliegt diesem nach § 158 Abs. 4 Satz 1 FamFG die Aufgabe, das subjektive und objektive Interesse des Kindes zu ermitteln und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen. Hierbei handelt es sich in einem auf die Person bezogenen Kindschaftsverfahren um eine originäre Aufgabe des Verfahrensbeistands (BGH BGHZ 191, 48 = FamRZ 2011, 1788 Rz. 20). Die umfassende Wahrnehmung sämtlicher Belange und Interessen des Kindes ist jedoch Bestandteil der elterlichen Sorge nach § 1626 BGB und des durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Elternrechts. Durch die Bestellung des Verfahrensbeistands werden die Eltern daher in ihrer Rechtsstellung insoweit betroffen, als für das gerichtliche Verfahren einer weiteren Person die Wahrnehmung der Interessen des Kindes übertragen wird. Hinzu kommt, dass der Verfahrensbeistand gem. § 158 Abs. 4 Satz 5 FamFG berechtigt ist, im Interesse des Kindes Rechtsmittel gegen eine in Kindschaftssachen ergangene Entscheidung einzulegen, und er somit eine gerichtliche Entscheidung, mit der die Eltern einverstanden wären, angreifen kann.
Rz. 15
Wird dem Verfahrensbeistand - wie im vorliegenden Fall - gem. § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG zusätzlich die Aufgabe übertragen, Gespräche mit Eltern und weiteren Bezugspersonen des Kindes zu führen sowie am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand mitzuwirken, verstärkt sich der Eingriff in das Elternrecht. Insbesondere ist in Verfahren, die den Umgang oder die Herausgabe des Kindes betreffen, gem. §§ 156 Abs. 2 Satz 1, 158 Abs. 3 Satz 2 FamFG eine einvernehmliche Regelung im Wege eines gerichtlich gebilligten Vergleichs grundsätzlich nur noch mit Zustimmung des Verfahrensbeistands möglich (vgl. Keidel/Engelhardt FamFG 19. Aufl., § 156 Rz. 12 m.w.N.).
Rz. 16
Dieser mit der Bestellung eines Verfahrensbeistands verbundene Eingriff in das Elternrecht wird allerdings dadurch abgemildert, dass der Verfahrensbeistand nach § 158 Abs. 4 Satz 6 FamFG nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes ist. Der Gesetzgeber wollte hierdurch erreichen, dass der Eingriff in das Elternrecht möglichst gering gehalten und in die Befugnisse der Eltern nicht weiter eingegriffen wird, als es zur Erreichung des mit der Bestellung eines Verfahrensbeistands verbundenen Ziels notwendig ist (vgl. BGH BGHZ 191, 48 = FamRZ 2011, 1788 Rz. 22 f.; BT-Drucks. 16/6308, 240). Dies rechtfertigt es, die Entscheidung über die Bestellung eines Verfahrensbeistands dann für nicht selbständig anfechtbar zu erklären, wenn der Richter tätig geworden ist. In diesem Fall ist der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ausreichend durch die Möglichkeit Rechnung getragen, die Bestellung des Verfahrensbeistands im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die in der Hauptsache ergangene Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen. Auch der Gesichtspunkt einer möglichen Kostenbelastung rechtfertigt in diesem Fall eine selbständige Anfechtbarkeit nicht (Schulte-Bunert/Weinreich/Ziegler FamFG 5. Aufl., § 158 Rz. 28; BT-Drucks. 16/6308, 239). Anders verhält es sich jedoch, wenn der Rechtspfleger über die Bestellung des Verfahrensbeistands entschieden hat. In diesem Falle verlangt der von Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt, dass den betroffenen Eltern bereits vor Abschluss des Verfahrens eine Möglichkeit zur Verfügung steht, die Entscheidung des Rechtspflegers gerichtlich überprüfen zu lassen (vgl. auch Bork/Jacoby/Schwab FamFG 2. Aufl., § 158 Rz. 17; Bumiller/Harders/Schwamb FamFG 11. Aufl., § 158 Rz. 19).
Rz. 17
cc) Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass das Gesetz mit dem in § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG enthaltenen Ausschluss der selbständigen Anfechtbarkeit der Entscheidung über die Bestellung eines Verfahrensbeistands das Ziel einer Verfahrensbeschleunigung verfolgt (BT-Drucks. 16/6308, 239). Die Rechtsbeschwerde weist insoweit zutreffend darauf hin, dass die Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG eine Möglichkeit bietet, ohne großen Zeitverlust eine Entscheidung des zuständigen Richters einzuholen. Die Erinnerung ist nach § 11 Abs. 2 Satz 1 innerhalb einer Frist von zwei Wochen einzulegen. Hilft der Rechtspfleger der Erinnerung nicht ab, hat er sie dem Richter vorzulegen (§ 11 Abs. 2 Satz 6 RPflG), so dass zeitnah über den Rechtsbehelf entschieden werden kann.
Rz. 18
3. Die angegriffene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Da bislang über die Erinnerung sachlich noch nicht entschieden worden ist, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, unter Aufhebung der instanzgerichtlichen Beschlüsse das Verfahren zur weiteren Behandlung und Entscheidung über die Erinnerung an das AG zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).
Fundstellen
Haufe-Index 10671493 |
FamRZ 2017, 979 |
FuR 2017, 386 |
FuR 2017, 4 |
NJW-RR 2017, 579 |
JZ 2017, 388 |
MDR 2017, 840 |
Rpfleger 2017, 378 |
FF 2017, 264 |
FamRB 2017, 212 |
NJW-Spezial 2017, 389 |
ZKJ 2017, 273 |
FK 2017, 92 |
FK 2018, 4 |