Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 27.01.2003; Aktenzeichen StB 3/03) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts wird der Beschluß des Kammergerichts in Berlin vom 27. Januar 2003 aufgehoben, soweit es abgelehnt hat, das Hauptverfahren gegen die Angeklagten R. und M. hinsichtlich des Tatvorwurfs zu eröffnen, diese Angeklagten hätten im Jahre 1993 eine kriminelle Vereinigung gegründet und sich an dieser bis März 1996 mitgliedschaftlich beteiligt, der Angeklagte R. als Rädelsführer.
Die Anklage des Generalbundesanwalts vom 9. September 2002 wird auch zu diesem Tatvorwurf unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Kammergericht in Berlin zur Hauptverhandlung zugelassen.
Gründe
Der Generalbundesanwalt hat in seiner unter dem 9. September 2002 zum Kammergericht erhobenen Anklage den Angeklagten R. und M. unter anderem zur Last gelegt, sie hätten im Jahre 1993 eine kriminelle Vereinigung gegründet und sich an dieser bis März 1996 mitgliedschaftlich beteiligt (§ 129 Abs. 1 StGB), der Angeklagte R. in der Form der Rädelsführerschaft (§ 129 Abs. 4 StGB). Das Kammergericht hat insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts abgelehnt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts hat Erfolg.
1. Der Generalbundesanwalt wirft den Angeklagten R. und M. in diesem Anklagepunkt vor, sie hätten zusammen mit dem anderweitig verfolgten … S. als Mitglieder der im Jahr 1992 entstandenen Skinhead-Musikgruppe „Landser” ab 1993 das Ziel verfolgt, aus dem Verborgenen heraus durch die Produktion und den Vertrieb von Musik-CDs politische Botschaften in der rechtsradikalen Jugendszene zu verbreiten. Hierbei sei es ihnen vor allem darauf angekommen, die Bundesrepublik Deutschland und ihre pluralistische Ordnung als untragbar zu diffamieren, Juden und Ausländer, vor allem solche mit dunkler Hautfarbe, zu minderwertigen Haßobjekten herabzuwürdigen und ihre „Beseitigung” durch Mord und Vertreibung zu propagieren. In Umsetzung dieser Idee habe die Band ab 1993 auf öffentliche Auftritte verzichtet, sei in den Untergrund abgetaucht und habe heimlich, konspirativ und nach außen abgeschottet an der Verfolgung ihrer Ziele gearbeitet. Unter der Leitung des Angeklagten R. … sei sodann bei interner Aufgabenverteilung das CD-Album „Republik der Strolche” produziert worden. Der gesamte Herstellungsprozeß, das Verfassen der Liedtexte durch den Angeklagten R., das Einüben der Stücke ab 1993 in einem Kellerraum in B., die Aufnahme und Verbreitung eines „Demo-Tapes”, die Einschaltung eines Produzenten, die Einspielung eines Masterbandes Ende 1995 in einem Tonstudio in Schweden, die Fertigung der CDs in einem ausländischen Preßwerk in zunächst 5000 Exemplaren und deren spätere Nachpressung, die Lagerung der CDs in Schweden, die Gestaltung und der Druck von Booklet und Cover nach Vorgaben der Band, die Einfuhr der CDs und deren Absatz in der Bundesrepublik über ein entsprechendes Vertriebsnetz, seien in konspirativer Weise arbeitsteilig organisiert worden.
In verschiedenen Liedern der CD „Republik der Strolche” werde die Vernichtung des politischen Gegners im Stile der NSDAP propagiert und zum Aufstand gegen die Repräsentanten der als „irre” und „korrupt” geschmähten Bundesrepublik Deutschland aufgefordert. Die hier lebenden Vietnamesen und Menschen mit dunkler Hautfarbe würden als kriminell und minderwertig verunglimpft. Es werde dazu aufgefordert, sie zu ermorden.
Die Aktivitäten der Band seien dann zunächst zum Erliegen gekommen, als der anderweitig verfolgte … S. im März 1996 bei der Einfuhr von 2000 Exemplaren der CD verhaftet worden sei und sich daraufhin von der Band gelöst habe.
2. Das Kammergericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens zu diesem Anklagevorwurf aus tatsächlichen Gründen abgelehnt. Durch die in der Anklageschrift benannten Beweismittel werde ein hinreichender Tatverdacht, daß es sich bei der Musikband „Landser” um eine kriminelle Vereinigung gehandelt habe, nicht begründet. Es fehle an hinreichenden Belegen für einen verbindlichen Gemeinschaftswillen sowie für eine festgefügte Organisationsstruktur innerhalb der Gruppe, die für die Annahme einer Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB erforderlich seien. Dies beanstandet der Generalbundesanwalt im Ergebnis mit Recht.
a) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Kammergerichts. Eine Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB ist ein auf Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluß von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame kriminelle Ziele verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, daß sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; vgl. die Nachw. bei Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 129 Rdn. 2). Soweit das Kammergericht jedoch den danach erforderlichen gemeinsamen Gruppenwillen und ein darauf aufbauendes Mindestmaß an fester Organisation durch das Ermittlungsergebnis nicht als hinreichend belegt erachtet, vermag ihm der Senat nicht zu folgen.
b) Für die Prüfung des dringenden Tatverdachts durch den Senat ist hier ohne Belang, ob an der Rechtsprechung festgehalten werden kann, daß bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen einen Beschluß des erstinstanzlich tätig werdenden Oberlandesgerichts, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird, der vom Oberlandesgericht angelegte – rechtlich unbedenkliche – Maßstab tatrichterlicher Überzeugungsbildung nicht außer Betracht gelassen werden kann (BGHSt 25, 39). Ihr könnte nunmehr bereits § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG entgegenstehen. Als Folge dieser Vorschrift ist heute nicht mehr gewährleistet, daß die Besetzung des Strafsenats des Oberlandesgerichts bei der Entscheidung über die Zulassung der Anklage mit derjenigen in der Hauptverhandlung identisch ist. Gerade auf die Identität der Besetzung bei der Eröffnungsentscheidung und in der Hauptverhandlung, wie sie nach damaliger Gerichtsverfassung vorgesehen war, sowie auf die nach dem Urteil des Oberlandesgerichts allein mögliche rechtliche Überprüfung der von diesem vorgenommenen Beweiswürdigung in der Revision hat der Senat in der genannten Entscheidung jedoch maßgeblich abgehoben (vgl. BGHSt 35, 39, 40 ff.).
Das Kammergericht hat bei seiner Eröffnungsentscheidung wesentliche Besonderheiten des ermittelten Sachverhalts außer Betracht gelassen und die Anforderungen überspannt, die an die Bejahung des hinreichenden Tatverdachts im Sinne des § 203 StPO zu stellen sind. Schon sein Prüfungsmaßstab unterliegt daher rechtlichen Bedenken.
c) Hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung (BGHSt 23, 304, 306) auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist (BGH NJW 1970, 1543, 1544). Hierbei wird ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt, als dies beim dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 oder § 126 a Abs. 1 StPO der Fall ist (BGH aaO; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 203 Rdn. 2 m. w. N.). Nach diesen Maßstäben sind die Angeklagten R. und M. hinreichend verdächtig, sich im Zeitraum von 1993 bis März 1996 nach § 129 StGB strafbar gemacht zu haben; denn das Ermittlungsergebnis liefert hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei den Mitgliedern der Musik-Band „Landser” um eine kriminelle Vereinigung handelte, insbesondere der hierfür erforderliche gemeinsame Gruppenwille und das Mindestmaß an fester Organisation vorlagen.
Für diese, das Tatbestandsmerkmal der Vereinigung konkretisierenden Kennzeichen wird im Regelfall ein direkter Beweis nicht vorhanden sein. Sie können daher im allgemeinen nur aus anderweitigen (Indiz-)Tatsachen erschlossen werden. Derartige Indizien können dem ermittelten Sachverhalt hier in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Umfang entnommen werden.
Schon allgemein setzt das Zusammenwirken in einer Musikband mit der Absicht, in Eigenregie CDs zu produzieren und auf den Markt zu bringen, ein nicht unbeträchtliches Maß an organisatorischem Aufwand und an gemeinschaftlicher Willensbildung unter Hintanstellung der jeweiligen Vorstellungen des einzelnen Bandmitgliedes voraus, da ansonsten das gemeinsame Ziel nicht erreichbar ist. Dies allein reicht zwar nicht aus, um eine Musikgruppe, die ein derartiges Ziel verfolgt, generell als Organisation einzuordnen, die – abgesehen von ihrem legalen Verbandszweck – die Merkmale einer Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB erfüllen würde. Insoweit ist dem Kammergericht beizupflichten. Es hat jedoch die hier vorliegenden Besonderheiten nur unzureichend bedacht:
Nach dem Ermittlungsergebnis tauchten die Angeklagten R. und M. sowie der anderweitig verfolgte … S. als Musikband „Landser” im Jahre 1993 in den Untergrund ab, um unbehelligt von strafrechtlicher Verfolgung CDs mit Liedern produzieren zu können, die in erheblichem Maße strafbaren, insbesondere volksverhetzenden und die Bundesrepublik Deutschland verleumdenden Charakter hatten. Die Wahrung der Heimlichkeit der Aktivitäten der Band erforderte ein hohes Maß an Konspiration, das von der Komposition der Lieder und den ersten Proben im Jahre 1993 bis zu dem Vertrieb der ersten CD „Republik der Strolche” im Jahre 1996 aufrechterhalten wurde. Darüber hinaus verband die Gruppenmitglieder nicht nur das gemeinsame Interesse an der Musikproduktion, sondern die gemeinschaftliche rechtsradikale Ideologie, deren Verbreitung ihr musikalisches Wirken als Endzweck dienen sollte.
All dies unterscheidet die Musik-Band „Landser” in hohem Maße von sonstigen Musikgruppen und liefert zwar keine zwingenden, jedoch hinreichende Indizien dafür, daß es sich bei ihr um einen organisatorisch festgefügten, auf Dauer angelegten Zusammenschluß handelte. Ebenso ergeben sich aus dem mehrjährigen erfolgreichen konspirativen Zusammenwirken und der ideologischen Übereinstimmung durchaus Anhaltspunkte dafür, daß sich die Bandmitglieder einem gemeinsamen Gruppenwillen unterordneten und sich als einheitlicher Verband fühlten. Soweit das Kammergericht hier allein darauf abhebt, es fehle an ausreichenden Beweisen dafür, daß ein Gruppenwille in der Form der absprachegemäßen Unterordnung unter den Willen des Angeklagten R. als „Bandleader” bestanden habe, greift seine Prüfung zu kurz. Der Umstand, daß der Angeklagte R. wegen seiner herausgehobenen Position innerhalb der Gruppe als Rädelsführer nach § 129 Abs. 4 StGB in Betracht kommt, bedeutet nicht, daß der gemeinschaftliche Gruppenwille nur in der Form einvernehmlicher Unterordnung unter die „Leitungsgewalt” R.s hätte gebildet werden können. In diesem Sinne ist auch die Anklageschrift nicht zu verstehen. Vielmehr kann auch dann, wenn in einer Organisation ein Rädelsführer vorhanden ist, die Willensbildung in anderer Weise als durch das von allen Gruppenmitgliedern anerkannte Prinzip von Befehl und Gehorsam stattfinden. Denn die Existenz eines Rädelsführers schließt nicht aus, daß dieser die Verbandstätigkeit zwar maßgeblich beeinflußt, sich aber ebenfalls beispielsweise der Entscheidung der Mehrheit unterwirft, die aufgrund entsprechender Vereinbarung der Gruppenmitglieder von allen als maßgeblich akzeptiert wird.
Bei Würdigung aller ermittelten Indiztatsachen ist demgemäß nach Ansicht des Senats ein hinreichender Tatverdacht dafür vorhanden, daß die Angeklagten R. und M. sowie der anderweitig verfolgte … S. mit dem Abtauchen der Band „Landser” in den Untergrund im Jahre 1993 eine kriminelle Vereinigung gründeten und sich an dieser bis zum Ausscheiden des S. im März 1996 mitgliedschaftlich – der Angeklagte R. als Rädelsführer – beteiligten. Hierbei hat der Senat auch berücksichtigt, daß die Band „Landser”, nachdem der Mitangeklagte W. Anfang 1997 für S. in die Gruppe eingetreten war, ihre früheren Aktivitäten sofort unverändert fortführte und bis zum September 2001 mehrere weitere CDs mit Liedern strafbaren Inhalts produzierte; denn auch hieraus lassen sich Schlüsse auf den Organisationsgrad der Gruppe im Zeitraum bis März 1996 ziehen. Ob sich der Tatverdacht zu einer für die Verurteilung der Angeklagten erforderlichen Überzeugung verdichten läßt, wird das Kammergericht nunmehr auf Grundlage der durchzuführenden Beweisaufnahme zu entscheiden haben.
Unterschriften
Tolksdorf, Winkler, Pfister, Richter am Bundesgerichtshof von Lienen ist krankheitsbedingt an der Unterzeichnung gehindert. Tolksdorf, Becker
Fundstellen