Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 09.06.2017) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten B. und P. wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 9. Juni 2017 – soweit es sie betrifft – mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben:
- hinsichtlich des Angeklagten B. im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall B. II. 7 der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe;
- hinsichtlich des Angeklagten P. im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall B. II. 8 der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revision des Angeklagten M. und die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten B. und P. werden verworfen.
4. Der Angeklagte M. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Diebstahls in drei Fällen und Brandstiftung in drei Fällen, davon in einem Fall im besonders schweren Fall, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Den Angeklagten B. hat es unter Freisprechung im Übrigen wegen Beihilfe zum Diebstahl, Wohnungseinbruchdiebstahls, Diebstahls und Brandstiftung in zwei Fällen, davon in einem Fall im besonders schweren Fall, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Gegen den Angeklagten P. hat das Landgericht wegen Diebstahls in zwei Fällen und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten festgesetzt. Außerdem hat es den Angeklagten P. betreffend Betäubungsmittel und weitere Gegenstände eingezogen sowie den „Verfall eines Betrages in Höhe von 1.900 Euro” angeordnet. Mit den Revisionen wenden sich die Angeklagten gegen ihre Verurteilungen. Die Rechtsmittel der Angeklagten B. und P. haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet. Die Revision des Angeklagten M. bleibt insgesamt erfolglos.
Rz. 2
1. Die Verfahrensrügen des Angeklagten B. bleiben aus den vom Generalbundesanwalt angeführten Gründen ohne Erfolg. Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
Rz. 3
Die Rüge, das Landgericht habe bei der Ablehnung der Beweisanträge auf Einvernahme der Zeuginnen Ba. und T. sowie der Zeugen V. und D. R. gegen § 244 Abs. 3 StPO verstoßen, weil es keine über die einzelnen Beweistatsachen hinausgehende Gesamtwürdigung vorgenommen habe, ist jedenfalls unbegründet.
Rz. 4
a) Der Revision ist zuzugeben, dass es bei einer auf § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO (tatsächliche Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache) gestützten Ablehnung einer Mehrzahl von Beweisanträgen, die das gemeinsame Ziel verfolgen, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen in Frage zu stellen, auch erforderlich sein kann, eine über die isolierte Bewertung der einzelnen Beweistatsachen hinausgehende Gesamtwürdigung vorzunehmen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn nach den konkreten Umständen nicht nur den einzeln unter Beweis gestellten möglichen unwahren Angaben des Zeugen, sondern auch deren Vielzahl eine entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen kann. Würde sich der Tatrichter in einem solchen Fall bei der Ablehnung der einzelnen Beweisanträge auf eine isolierte Betrachtung beschränken, hätte dies zur Folge, dass der im Rahmen der Beweiswürdigung gebotenen Gesamtabwägung ein wichtiger zugunsten des Angeklagten sprechender Umstand entzogen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2011 – 3 StR 44/11, StV 2011, 646; Beschluss vom 21. Juni 2006 – 2 StR 57/06, wistra 2006, 385, 386).
Rz. 5
b) Daran gemessen hat die Strafkammer aber nicht gegen § 244 Abs. 3 StPO verstoßen. Bei der Ablehnung des Beweisantrages auf Einvernahme der Zeuginnen Ba. und T., der auf die Widerlegung von Tatsachenbehauptungen der Zeugin O. gerichtet war, hat das Landgericht beide Beweisbehauptungen im Blick gehabt und zusammen bewertet. Die weiteren Beweisanträge bezogen sich lediglich auf die Stichhaltigkeit einer von der Zeugin O. auch als solche gekennzeichneten Schlussfolgerung (Einvernahme des Zeugen V. R.) und die inhaltliche Richtigkeit von allgemeinen Äußerungen Dritter, die die Zeugin O. wiedergegeben hat (Einvernahme des Zeugen D. R.). Diese beiden Beweistatsachen waren für die Beurteilung der persönlichen Zuverlässigkeit der Zeugin O. von so geringer Bedeutung, dass für eine Gesamtwürdigung kein Anlass bestand.
Rz. 6
2. Die Schuldsprüche weisen keinen Rechtsfehler auf (§ 349 Abs. 2 StPO). Dies gilt auch, soweit die Angeklagten M. und B. in den Fällen B. II. 2 (M.) und B. II. 7 (B.) der Urteilsgründe wegen einer tatmehrheitlich begangenen vorsätzlichen Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 4 StGB) schuldig gesprochen worden sind. Der Umstand, dass sie die von ihnen in Brand gesetzten Fahrzeuge zuvor gestohlen hatten, führt hier nicht dazu, dass die Brandstiftungen hinter die vorangegangenen Diebstähle als sog. mitbestrafte Nachtat zurücktreten.
Rz. 7
a) Die mitbestrafte Nachtat ist eine selbstständige, den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllende rechtswidrige und schuldhafte Handlung, durch die der Täter den Erfolg der Vortat oder die durch diese erlangte Position sichert, ausnutzt oder verwertet. Sie bleibt straflos, wenn die Bewertung des konkreten Sachverhalts ergibt, dass dieser nachfolgenden, an sich strafbaren Handlung wegen ihres inneren – funktionalen – Zusammenhangs mit der (Vor-) Haupttat kein eigener Unwertgehalt zukommt, so dass auch kein Bedürfnis besteht, sie neben der Haupttat selbstständig zu bestrafen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. August 2008 – 2 StR 329/08, NStZ 2009, 38; Urteil vom 18. Juli 2007 – 2 StR 69/07, NStZ 2008, 396; Beschluss vom 17. Oktober 1992 – 5 StR 517/92, BGHSt 38, 366, 368 f.; Urteil vom 11. Januar 1955 – 5 StR 468/54, MDR 1955, 269 bei Dallinger; RG, Urteil vom 2. März 1928 – I 139/28, RGSt 62, 61, 62). Voraussetzung für die Straflosigkeit der Nachtat ist, dass die Geschädigten der beiden Straftaten identisch sind, die Nachtat kein neues Rechtsgut verletzt und der Schaden qualitativ nicht über das durch die Haupttat verursachte Maß hinaus erweitert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 30. September 2010 – 5 StR 259/10, NStZ 2011, 160, 161; Urteil vom 18. Juli 2007 – 2 StR 69/07, aaO; Beschluss vom 1. November 1995 – 5 StR 535/95, NStZ 1996, 136, 137). Die Rechtsprechung hat in Anwendung dieser Grundsätze angenommen, dass ein Dieb, der die gestohlene Sache später beschädigt oder zerstört, nur wegen Diebstahls zu bestrafen ist und die Sachbeschädigung straflos bleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 1998 – 4 StR 137/98, NStZ-RR 1998, 294; Schönke/Schröder/Stree/Hecker, StGB, 29. Aufl., § 303 Rn. 25).
Rz. 8
b) Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei den von den Angeklagten begangenen Brandstiftungen nicht um mitbestrafte Nachtaten. Die zu der Beschädigung einer gestohlenen Sache durch den Dieb entwickelte Rechtsprechung, die in dieser Allgemeinheit möglicherweise zweifelhaft ist, ist auf diese Fallgestaltung jedenfalls nicht übertragbar. Anders als § 303 StGB, der lediglich das Interesse des Eigentümers an der körperlichen Unversehrtheit seiner Sache schützt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 1979 – 5 StR 166/79, BGHSt 29, 129, 133; Müko-StGB/Wieck-Noodt, 2. Aufl., § 303 Rn. 1 mwN), handelt es sich bei § 306 Abs. 1 StGB nicht um ein bloßes Eigentumsdelikt. Zur Schutzrichtung dieser vom Gesetzgeber in den Abschnitt über die gemeingefährlichen Straftaten eingeordneten Vorschrift gehört es vielmehr auch, brandbedingten Gemeingefahren entgegenzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2018 – 5 StR 603/17, Rn. 6; Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 487/15, NJW 2016, 2349, 2350; Beschluss vom 21. November 2000 – 1 StR 438/00, NJW 2001, 765; Gesetzentwurf BT-Drucks. 13/8587, S. 87; Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, 1998, S. 372 ff.; ders. ZStW 110 [1998], 848, 861). Dies hat zur Folge, dass ein Dieb, der ein vom ihm gestohlenes Kraftfahrzeug gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 4 StGB in Brand setzt, dadurch nicht nur die von ihm bereits begangene Eigentumsverletzung vertieft, sondern darüber hinaus durch die Verwirklichung eines Verbrechenstatbestands auch noch weiteres strafbares Unrecht begeht. Dieser zusätzliche in der Brandstiftung liegende eigene Unwertgehalt begründet schon für sich genommen das Bedürfnis nach einer eigenständigen Bestrafung, sodass die Annahme einer mitbestraften Nachtat nicht in Betracht kommt.
Rz. 9
3. Der Strafausspruch bei dem Angeklagten M. weist keinen Rechtsfehler auf. Die Aussprüche über die gegen den Angeklagten B. im Fall B. II. 7 der Urteilsgründe und den Angeklagten P. im Fall B. II. 8 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen können dagegen nicht bestehen bleiben. Dies zieht bei diesen beiden Angeklagten auch die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
Rz. 10
a) Der Einzelstrafausspruch gegen den Angeklagten B. im Fall B. II. 7 der Urteilsgründe ist rechtsfehlerhaft, weil die Strafkammer das Geständnis des Angeklagten in den Strafzumessungsgründen nicht angeführt und auch sonst nicht erkennbar berücksichtigt hat.
Rz. 11
aa) Das Geständnis eines Angeklagten ist ein bestimmender Strafzumessungsgrund gemäß § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 – 4 StR 502/13, wistra 2014, 180 [insoweit in NStZ-RR 2014, 106 nicht abgedruckt]; Beschluss vom 13. November 1997 – 4 StR 539/97, StV 1998, 481). Ihm kann eine strafmildernde Bedeutung nur abgesprochen werden, wenn es ersichtlich nicht aus einem echten Reue- und Schuldgefühl heraus abgegeben worden ist, sondern auf „erdrückenden Beweisen” beruht (vgl. BGH, Urteil vom 28. August 1997 – 4 StR 240/97, BGHSt 43, 195, 209).
Rz. 12
bb) Danach war das Geständnis des Angeklagten B. – anders als die Angaben des Angeklagten M. – hier nicht bedeutungslos und deshalb zu seinen Gunsten in die Strafzumessung einzustellen.
Rz. 13
Die Strafkammer hat ihre Überzeugung im Fall B. II. 7 der Urteilsgründe ausdrücklich auf die „geständige Einlassung” des Angeklagten B. gestützt und diese als nachvollziehbar und glaubhaft bewertet (UA 66). Dass dieses Geständnis auf erdrückenden Beweisen beruhte, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Danach hat der Zeuge H. über eine eigenhändige Brandlegung des Angeklagten B. nur vom Hörensagen berichtet (UA 66). Der Angeklagte M. hat sich zu dieser Tat erst nach den ihn belastenden Angaben des Angeklagten B. und des Zeugen H. eingelassen und dabei eine eigene vorsätzliche Brandlegung – für die Strafkammer nicht glaubhaft – in Abrede gestellt (UA 67).
Rz. 14
Zwar kann aus der Tatsache, dass ein für die Strafzumessung bedeutsamer Punkt nicht ausdrücklich angeführt worden ist, nicht ohne Weiteres geschlossen werden, der Tatrichter habe ihn überhaupt nicht gesehen oder nicht gewertet. Der Umstand, dass die Strafkammer gegen den Angeklagten B. trotz seines umfassenden und glaubhaften Geständnisses bei sonst vergleichbaren Strafzumessungssachverhalten die gleiche Einzelstrafe verhängt hat wie gegen den Angeklagten M., lässt jedoch auf eine unterbliebene Bewertung zugunsten des Angeklagten B. schließen.
Rz. 15
b) Der Einzelstrafausspruch gegen den Angeklagten P. im Fall B. II. 8 der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil die Strafkammer dem Angeklagten bei der Strafbemessung zu Unrecht einen Bewährungsbruch (UA 91) angelastet hat.
Rz. 16
Nach den Feststellungen wurde die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hof vom 15. November 2011 (zwei Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.) vom Landgericht Halle am 2. April 2013 bis zum 30. April 2016 zur Bewährung ausgesetzt. Andere Bewährungsstrafen werden nicht angeführt. Der dem Angeklagten im Fall B. II. 8 der Urteilsgründe als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last gelegte Erwerb von Marihuana und Methamphetamin zu Handelszwecken fand „an einem nicht näher bestimmbaren Tag vor dem 23. Juni 2016” und damit möglicherweise auch erst nach dem 30. April 2016 statt. Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht nach dem auch insoweit anwendbaren Zweifelsgrundsatz (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2000 – 4 StR 305/00, StV 2000, 656) von einer Tatbegehung nach dem 30. April 2016 ausgehen müssen, sodass die Annahme eines Bewährungsbruchs nicht in Betracht kam.
Rz. 17
Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Bemessung der Einzelstrafe auf diesem Rechtsfehler beruht.
Unterschriften
Sost-Scheible, RinBGH Roggenbuck ist im Urlaub und daher gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible, Quentin, Feilcke, Paul
Fundstellen
Haufe-Index 11799316 |
RÜ 2018, 578 |