Leitsatz (amtlich)
Dass der von einer Freiheitsentziehung Betroffene an einer ansteckenden Krankheit leidet, ist kein Grund, von seiner persönlichen Anhörung abzusehen, wenn ausreichende Möglichkeiten zum Schutz der Gesundheit der anhörenden Richter bestehen. Eine Infektionsgefahr, die eine Anhörung ausschließt, ist durch ein ärztliches Gutachten zu belegen.
Normenkette
FamFG § 420 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Bochum (Beschluss vom 10.08.2016; Aktenzeichen I-7 T 234/16) |
AG Bochum (Beschluss vom 13.06.2016; Aktenzeichen 16 XIV(L) 70/16 D) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Bochum vom 10.8.2016 und der Beschluss des AG Bochum vom 13.6.2016 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Bochum auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene leidet u.a. an einer offenen Lungentuberkulose. Wegen dieser Erkrankung befand er sich vom 20.1.2016 bis zum 24.3.2016 und vom 15.5.2016 bis zum 17.5.2016 sowie seit dem 10.6.2016 in stationärer Behandlung.
Rz. 2
Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 13.6.2016 hat das AG mit Beschluss vom gleichen Tag ohne Anhörung des Betroffenen angeordnet, dass dieser in einem näher bezeichneten Lungenfachkrankenhaus geschlossen unterzubringen ist. Zudem hat es einen Verfahrenspfleger bestellt.
Rz. 3
Am 14.6.2016 ist der Betroffene in dem Fachkrankenhaus stationär aufgenommen worden. Nachdem er Beschwerde eingelegt hat, ist er richterlich und im Beisein eines Sachverständigen angehört worden. Das AG hat sodann mit Beschluss vom 13.7.2016 die Unterbringung des Betroffenen bis zum 21.10.2016 befristet und im Übrigen der Beschwerde nicht abgeholfen.
Rz. 4
Das LG hat den Beschluss des AG vom 13.6.2016 in Verbindung mit dem Beschluss vom 13.7.2016 hinsichtlich der Unterbringungsanordnung aufgehoben und angeordnet, dass der Betroffene längstens bis zum 12.9.2016 in der Fachklinik unterzubringen ist. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt, will der Betroffene die Feststellung erreichen, dass der Beschluss des LG und die Unterbringung im Lungenfachkrankenhaus bis zum 12.9.2016 ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II.
Rz. 5
Das Beschwerdegericht meint, der Unterbringungsantrag vom 13.6.2016 sei nicht zulässig gewesen, da er keine Angaben zu der erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung enthalten habe. Dieser Mangel sei erst durch das Schreiben der beteiligten Behörde vom 9.8.2016 geheilt worden. Daher sei der Unterbringungsbeschluss aufzuheben und über den ergänzten Antrag neu zu entscheiden gewesen. In der Sache sei die Unterbringung des Betroffenen bis zum 12.9.2016 anzuordnen. Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Infektionsschutzgesetz (IfSG) seien gegeben.
III.
Rz. 6
Die gem. § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Antrag ist dem Rechtsschutzziel entsprechend dahingehend auszulegen, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidungen des AG und des Beschwerdegerichts verlangt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 11.5.2011 - V ZB 265/10, FGPrax 2011, 201 Rz. 6). Die Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung durch das Beschwerdegericht beseitigt nicht das Interesse an der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit, da das Ziel eines solchen Antrages die Rehabilitierung des Betroffenen ist (vgl. Senat, Beschl. v. 6.3.2014 - V ZB 17/14, juris Rz. 6).
Rz. 7
1. Die von dem AG angeordnete Unterbringung des Betroffenen war - was auch das Beschwerdegericht erkannt hat - rechtswidrig, weil der Antrag der beteiligten Behörde unter Verstoß gegen § 417 Abs. 2 Nr. 4 FamFG keine Angaben zur erforderlichen Dauer der Unterbringung enthielt. Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags. Dieser Mangel kann nur mit Wirkung für die Zukunft geheilt werden (st.Rspr., vgl. nur Senat, Beschl. v. 16.7.2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rz. 23). Auch zum Zeitpunkt der Nichtabhilfeentscheidung des AG, mit der es die Unterbringung des Betroffenen zeitlich beschränkt hat, lag ein zulässiger Antrag der beteiligten Behörde nicht vor.
Rz. 8
2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil es - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - dessen persönliche Anhörung unterlassen hat. Diese ist in Freiheitsentziehungssachen grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren vorgeschrieben (§ 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG).
Rz. 9
a) Von einer erneuten Anhörung des Betroffenen in der Beschwerdeinstanz kann zwar unter den in § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG genannten Voraussetzungen abgesehen werden. Diese Ausnahmevorschrift kommt aber dann nicht zur Anwendung, wenn die erneute Anhörung zwingend geboten ist. Dies ist hier der Fall. Der Mangel des Unterbringungsantrages ist erst während des Beschwerdeverfahrens behoben worden. Zwingende weitere Voraussetzung für eine rechtmäßige Unterbringungsanordnung ist, dass der Betroffene zu dem nunmehr zulässigen Unterbringungsantrag persönlich angehört wird. Dass dieser sich zu der Länge seiner Absonderung bei seiner richterlichen Anhörung im Rahmen des Nichtabhilfeverfahrens bereits geäußert hat, ändert daran nichts. Die nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG zu beachtende Verfahrensvorschrift des § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG erfordert eine Anhörung des Betroffenen zu ergänzenden Angaben der Behörde, die Lücken des Antrages auf eine freiheitsentziehende Maßnahme schließen (vgl. BGH, Beschl. v. 3.5.2011 - V ZA 10/11, juris Rz. 11; Beschl. v. 27.4.2011 - V ZB 71/11, juris Rz. 10; Beschl. v. 21.10.2010 - V ZB 96/10 juris Rz. 13; Beschl. v. 29.4.2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 f. Rz. 25; vgl. auch Beschl. v. 18.12.2014 - V ZB 192/13, juris Rz. 9 zu entsprechenden richterlichen Tatsachenfeststellungen).
Rz. 10
b) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts folgt aus § 420 Abs. 2 FamFG nichts anderes. Allerdings sieht diese Regelung vor, dass die persönliche Anhörung unterbleiben kann, wenn der Betroffene - wie hier - an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes leidet. Der Wortlaut stellt zwar lediglich auf das Vorliegen der Erkrankung und nicht darauf ab, ob eine Anhörungsmöglichkeit besteht, die eine Übertragung der Krankheit ausschließt. Es besteht aber Einigkeit, dass die Vorschrift im Hinblick auf den schwerwiegenden Grundrechtseingriff einer Freiheitsentziehung einschränkend auszulegen ist (Heinze in Bork/Jacoby/Schwamb, FamFG, 2. Aufl., § 420 Rz. 5; Bumiller/Harders/Schwab, FamFG, 11. Aufl., § 420 Rz. 8; MünchKomm/ZPO/Wendtland, 2. Aufl., § 420 FamFG Rz. 9; Keidel/Budde, FamFG, 18. Aufl., § 420 Rz. 11; Jennissen in Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl., § 420 Rz. 18). Dass der von einer Freiheitsentziehung Betroffene an einer ansteckenden Krankheit leidet, ist kein Grund, von seiner persönlichen Anhörung abzusehen, wenn ausreichende Möglichkeiten zum Schutz der Gesundheit der anhörenden Richter bestehen (vgl. BT-Drucks. 16/6308, 292). Zudem muss der Betroffene in der Lage sein, sich einer Anhörung zu stellen; auch dürfen keine Nachteile für seine Gesundheit zu befürchten sein. Eine Infektionsgefahr, die eine Anhörung ausschließt, ist durch ein ärztliches Gutachten zu belegen (Keidel/Budde, FamFG, 18. Aufl., § 420 Rz. 11; MünchKomm/ZPO/Wendtland, 2. Aufl., § 420 FamFG Rz. 9).
Rz. 11
An letzterem fehlt es vorliegend. Auch wurde der Betroffene trotz seiner infektiösen Erkrankung in der ersten Instanz durch einen Richter persönlich angehört, was nahelegt, dass ein ausreichender Gesundheitsschutz für die anhörenden Personen gewährleistet werden konnte.
Rz. 12
2. Im Übrigen wird gem. § 74 Abs. 7 FamFG von einer Begründung abgesehen.
Fundstellen