Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 15.04.2005) |
Tenor
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Angeklagte Halil Ibrahim A. im Fall II.15 der Gründe des Urteils des Landgerichts Darmstadt vom 15. April 2005 wegen Betruges verurteilt worden ist; insoweit hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
2. Auf die Revision des Angeklagten Halil Ibrahim A. wird der Schuldspruch des vorbezeichneten Urteils dahin geändert, dass dieser Angeklagte des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in zehn Fällen, des Betruges in vierzehn Fällen und des versuchten Betruges in drei Fällen schuldig ist.
3. Die Revision des Angeklagten Faik A. und die weiter gehende Revision des Angeklagten Halil Ibrahim A. werden verworfen.
4. Der Angeklagte Faik A. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Der Angeklagte Halil Ibrahim A. trägt die übrigen Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten Halil Ibrahim A. wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in zehn Fällen, Betruges in fünfzehn Fällen und versuchten Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Den Angeklagten Faik A. hat es des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in neun Fällen, Betruges in fünfzehn Fällen und versuchten Betruges in zwei Fällen für schuldig befunden und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von gleichfalls drei Jahren verhängt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen.
Rz. 2
Die Revisionen sind trotz des von beiden Angeklagten erklärten Rechtsmittelverzichts zulässig, da die nach einer Urteilsabsprache erforderliche qualifizierte Rechtsmittelbelehrung unterblieben ist (vgl. BGH NStZ 2005, 389, zum Abdruck in BGHSt 50, 40 bestimmt); die Rechtsmittel erweisen sich indes – die Revision des Angeklagten Faik A. insgesamt, die des Angeklagten Halil Ibrahim A. im Wesentlichen – als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 3
1. Ein von beiden Beschwerdeführern nachträglich geltend gemachtes Verfahrenshindernis fehlender Verhandlungsfähigkeit besteht nicht.
Rz. 4
a) Soweit der Angeklagte Faik A. seine Verhandlungsfähigkeit bereits für die Zeit während der insgesamt 34tägigen Hauptverhandlung in Frage stellt, ist zwar belegt, dass sich der Angeklagte am 15. März 2005 – zwischen dem 31. und dem 32. Verhandlungstag – in stationäre psychiatrische Behandlung begeben hat und deshalb an dem für den 16. März 2005 anberaumten Fortsetzungstermin nicht erschienen ist. Die Strafkammer hat deshalb – was die Revision nicht mitteilt – an diesem Tag das Verfahren gegen den Angeklagten abgetrennt (Prot. Bd. II Bl. 279 ff.), es dann jedoch bereits am nächsten (vorletzten) Hauptverhandlungstermin am 6. April 2005, zu dem auch der Angeklagte erneut erschienen war, wieder zum Ursprungsverfahren hinzuverbunden. Zuvor war der Angeklagte psychiatrisch untersucht worden und hatte der an diesem Verhandlungstag gehörte Sachverständige dessen Verhandlungsfähigkeit bestätigt (Prot. Bd. II Bl. 290 ff.). Einwände dagegen wurden weder von dem Angeklagten noch von seinem Verteidiger erhoben. Der Angeklagte hat sodann an der weiteren Hauptverhandlung bis zu deren Ende teilgenommen und sich ausweislich des Protokolls auch durch persönliche Erklärungen beteiligt. Unter diesen Umständen kann, da das Landgericht die Verhandlungsfähigkeit sorgfältig geprüft und sich von deren Gegebensein ohne erkennbaren Rechtsfehler überzeugt hat, auch der Senat von ihrem Vorliegen ausgehen (vgl. BGHR StPO vor § 1/Verfahrenshindernis Verhandlungsfähigkeit 5 m.w.N.).
Rz. 5
b) Nichts anderes gilt im Ergebnis, soweit beide Beschwerdeführer erstmals nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ihre Verhandlungsfähigkeit im Revisionsverfahren unter Hinweis auf nachträglich zutage getretene psychische Auffälligkeiten in Frage gestellt haben. Auch unter Zugrundelegung des Vorbringens der Verteidigung liegen die engen Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung ausnahmsweise eine Einstellung wegen Verhandlungsunfähigkeit im Revisionsverfahren in Betracht zu ziehen sein kann, offensichtlich nicht vor. Der Senat ist vielmehr überzeugt, dass die Beschwerdeführer die Fähigkeit hatten, über die Einlegung ihrer Revisionen verantwortlich zu entscheiden, und sie auch zu einer Grundübereinkunft mit ihren Verteidigern über die Fortführung ihrer Rechtsmittel in der Lage waren, was für die Annahme der Verhandlungsfähigkeit in diesem Verfahrensabschnitt genügt (vgl. BVerfG – Kammer – NStZ 1995, 391; BGHSt 41, 16, 19; BGH, Beschluss vom 18. August 2004 – 3 StR 177/04). Gegenteiliges ist ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen und auch sonst nicht ersichtlich. Unter diesen Umständen bestand für die beantragte freibeweisliche Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Senat kein Anlass.
Rz. 6
2. Die Revision des Angeklagten Halil Ibrahim A. hat nur insoweit Erfolg, als das Verfahren gegen ihn im Fall II. 15 der Urteilsgründe (Unfall vom 26. September 1997) wegen des Verfahrenshindernisses fehlender Anklage einzustellen ist. Die zugelassene Anklage richtet sich in diesem Fall (Fälle 28 der Anklage; SA Bd. III Bl. 444) ausschließlich gegen den Mitangeklagten Faik A.. Auch die Gründe des angefochtenen Urteils weisen insoweit keine Beteiligung des Angeklagten Halil Ibrahim A. aus (UA 38/39).
Rz. 7
3. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben, wie der Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften vom 1. Dezember 2005 zutreffend ausgeführt hat. Soweit der Angeklagte Faik A. mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 27. Januar 2006 auch Ausführungen zum Verfahren gemacht hat, ist dies Vorbringen infolge Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) verspätet und deshalb unbeachtlich.
Rz. 8
4. Die Teileinstellung des Verfahrens gegen den Angeklagten Halil Ibrahim A. hat die Änderung des ihn betreffenden Schuldspruchs zur Folge und führt zum Wegfall der von der Einstellung betroffenen Einzelfreiheitsstrafe von elf Monaten. Gleichwohl hat die festgesetzte Gesamtstrafe Bestand. Angesichts der Vielzahl und des Gewichts der verbleibenden Taten sowie der Höhe der dafür ausgeworfenen Einzelfreiheitsstrafen kann der Senat ausschließen, dass der Tatrichter ohne die Einbeziehung dieser Einzelstrafe zu einer milderen Gesamtstrafe gelangt wäre.
Rz. 9
5. Dem Antrag des Generalbundesanwalts, das Verfahren gegen den Angeklagten Faik A. im Fall 9 b) der Anklage (SA Bd. III Bl. 430) gemäß § 154 Abs. 2 StPO einzustellen, vermag der Senat nicht zu folgen. Richtig ist zwar, dass insoweit die Anklage nicht erledigt ist. Da sich das angefochtene Urteil zu diesem Anklagesachverhalt aber nicht verhält, ist es dem Revisionsgericht verwehrt, hierüber eine – wie auch immer geartete – Entscheidung, und zwar auch eine solche nach §§ 154, 154 a StPO, zu treffen (BGHR StPO § 352 Abs.1 Prüfungsumfang 4; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 352 Rdn. 2 m.w.N.). Dies ist Aufgabe des Landgerichts, bei dem die Sache insoweit noch anhängig ist.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen