Entscheidungsstichwort (Thema)
Raub und gefährliche Körperverletzung
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 6. September 1999 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt” und seine „Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt” angeordnet.
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen und formellen Rechts rügt, hat teilweise Erfolg.
1. Mit der Verfahrensrüge beanstandet der Beschwerdeführer, daß die Zeugen Le. und L. unter Verletzung des § 59 StPO nicht vereidigt worden seien. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Rüge, wie der Generalbundesanwalt meint, nicht den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entspricht und deswegen unzulässig ist. Sie ist jedenfalls unbegründet. Die Zeugen Le. und L. waren nach den Urteilsfeststellungen an der abgeurteilten Tat beteiligt, so daß von ihrer Vereidigung gemäß § 60 Nr. 2 StPO abzusehen war.
2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat – trotz der teilweise nur aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe verständlichen Feststellungen – zum Schuldspruch und zu den Strafaussprüchen keinen Rechtsfehler ergeben. Insofern ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3. Dagegen kann die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus keinen Bestand haben.
Nach den Feststellungen beging der Angeklagte, der alkoholabhängig ist, die Taten unter Alkoholeinfluß. Die sachverständig beratene Strafkammer hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und den Grund für die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit in seiner „dissozialen Persönlichkeitsstruktur i.V.m. Alkoholgenuß und daraus sich ergebender Enthemmung” gesehen. Auf diesen Befund kann die getroffene Maßregel nicht gestützt werden.
Um die Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen, muß die Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit auf einer nicht nur vorübergehenden, sondern länger andauernden und damit einen Zustand bildenden Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB beruhen; denn diese Maßregel dient dem Zweck, Menschen mit krankhaften oder vergleichbar schweren seelischen Störungen zu heilen oder – falls dies nicht möglich erscheint – in ihrem Zustand zu pflegen. Grundsätzlich verbietet sich daher die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wo der Ausschluß oder die erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit nicht schon allein durch einen solchen, länger andauernden Defekt, sondern erst durch aktuell hinzutretenden Genuß berauschender Mittel, insbesondere Alkohol, herbeigeführt worden ist. In solchen Fällen kommt die Unterbringung nach § 63 StGB aber ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Täter in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist, an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder auf Grund eines psychischen Defektes alkoholsüchtig ist, der, ohne pathologisch zu sein, in seinem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichsteht (st. Rspr., BGHSt 44, 338, 339). Dabei ist ein die Maßregel nach § 63 StGB rechtfertigender Zustand auch dann gegeben, wenn der Täter an einer Alkoholsucht leidet, deren Fortbestand auf einer Persönlichkeitsstörung beruht, die sich als eine – wenn auch als solche keine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit bewirkende – schwere andere seelische Abartigkeit darstellt (BGHSt 44, 338, 343 f.).
Daß bei dem Angeklagten ein solcher für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ausreichender Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstörung und Alkoholsucht vorliegt, läßt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen: Allerdings nimmt die Strafkammer an, daß das Scheitern der bisherigen Entziehungsversuche und damit der Fortbestand seiner Alkoholsucht „eine wesentliche Ursache in der gestörten Persönlichkeit des Angeklagten” habe. Auch hat der Sachverständige, dessen Beurteilung die Strafkammer sich anschließt, dem Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit attestiert. Das Urteil enthält aber keine Feststellungen, die eine Überprüfung dieser Bewertung ermöglichen. Die zusammenfassende Bezeichnung der von der Strafkammer (Urteil, Seite 21) aufgelisteten Auffälligkeiten als „dissoziale Persönlichkeitsstörung” reicht als Beleg für die Annahme einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit” im Sinne der §§ 20, 21 StGB nicht aus (BGHSt 44, 338, 342). Diese Auflistung läßt zudem auch nicht erkennen, ob sie bei dem Angeklagten festgestellte Wesenszüge und Verhaltensweisen wiedergibt oder – wie es nach dem Zusammenhang der Ausführungen eher den Anschein hat – eine Zusammenstellung von Eigenschaften ist, die, wiewohl einzeln betrachtet teilweise noch in der Bandbreite normalen menschlichen Verhaltens, in ihrer Addition abstrakt das Bild einer dissozialen Persönlichkeitsstörung prägen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß sich bei genauerer Kenntnis der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten und insbesondere unter Berücksichtigung der von ihm begangenen zahlreichen Straftaten eine Persönlichkeitsstörung feststellen läßt, die Ursache für den Fortbestand seiner Alkoholsucht ist und sich als schwere andere seelische Abartigkeit darstellt. Das angefochtene Urteil, das sich hinsichtlich der Vortaten mit der Wiedergabe des Strafregisterauszugs begnügt, ermöglicht eine solche Feststellung aber nicht.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Tolksdorf, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen