Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 28.06.2004) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Juni 2004 mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen in den Fällen II 1 bis 17, aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, weil er in 17 Fällen rechtswidrige Taten gegen seine damalige Ehefrau begangen hat (gefährliche Körperverletzung in elf Fällen, Körperverletzung, Bedrohung in drei Fällen, Nötigung und versuchte Nötigung). Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung formellen und materiellen Rechts und wendet sich gegen die Maßregelanordnung. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch. Ein Verstoß gegen § 260 Abs. 5 StPO liegt nicht vor. Die Aufklärungsrüge entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Prüfung des angefochtenen Urteils führt zu der aus der Beschlußformel ersichtlichen Teilaufhebung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Hergang der Vorfälle II 1-17 können jedoch bestehen bleiben.
Die Maßregelanordnung hat keinen Bestand, weil das Landgericht einen Ausschluß der Schuldfähigkeit des Beschuldigten oder zumindest eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit bei den festgestellten Vorfällen nicht rechtsfehlerfrei begründet hat. Insbesondere teilt das Urteil bei der Erörterung der Schuldfähigkeit und der Beschreibung eines die Maßregelanordnung rechtfertigenden Zustands des Beschuldigten die konkreten Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht hinreichend mit, sondern beschränkt sich auf die Wiedergabe von pauschalen Wertungen, ohne diese inhaltlich zu konkretisieren (UA S. 19/20). Das gilt auch, wenn man die Feststellungen des Landgerichts zur Person des Beschuldigten und zur Vorgeschichte der Vorfälle einbezieht. Ebensowenig stellt das Landgericht den notwendigen Bezug zwischen dem Zustand des Beschuldigten und den ihm zur Last gelegten Taten (Fälle II 1-17) her. Eine Aufhebung oder erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit läßt sich aber nicht allgemein, sondern nur in bezug auf konkrete Taten beurteilen. Das Landgericht hätte daher näher darlegen müssen, inwieweit sich die angenommene psychische Störung auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei diesen Vorfällen ausgewirkt hat. Hieran fehlt es. (Zu den Mindestanforderungen für Schuldfähigkeitsgutachten vgl. Boetticher u.a. NStZ 2005, 57; BGH, Beschl. vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04 – zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; jew. m.w.N.).
Im einzelnen hat der Generalbundesanwalt zur Begründung seines Antrags auf teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils ausgeführt:
„§ 63 StGB setzt die positive Feststellung eines länger dauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB und die Gefahr einer künftigen Begehung von erheblichen rechtswidrigen Straftaten begründet. Dies hat das Landgericht zwar nicht verkannt; es hat aber sein Ergebnis nur unzulänglich begründet. Die insgesamt knappen und zum Teil allgemein gehaltenen (UA S. 20: exzentrische Verhaltensweisen und Anomalien) Ausführungen der Strafkammer zu der festgestellten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (in Form einer schizotypen Störung, UA S. 19) lassen nicht nur eine geschlossene Darstellung der Anknüpfungstatsachen und der diese Einschätzung tragenden fachlichen Begründung vermissen (vgl. BGHR StGB § 63, Zustand 20, 21), die auch nicht durch einzelne Hinweise zu Verhaltensauffälligkeiten bei den einzelnen festgestellten Taten ersetzt werden kann. Es wird darüber hinaus nicht deutlich, ob und gegebenenfalls mit welcher Begründung die Strafkammer sich damit die Einschätzung des Sachverständigen Dr. B. zueigen gemacht hat, der das Landgericht insoweit beraten hat (UA S. 19). Ein ausdrückliches Eingehen auf das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten wäre hier schon deshalb vonnöten gewesen, weil eine erst ein Jahr zurückliegende Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen zu einer hiervon abweichenden Annahme einer ‚kombinierten Persönlichkeitsstörung’ (UA S. 6, 19) geführt hat und sich das Landgericht mit Blick hierauf zu einer ins Einzelne gehenden Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Diagnosen gedrängt sehen musste. Die kurzen Bemerkungen der Kammer, mit denen sie ohne Bezug zu den gutachtlichen Äußerungen des Sachverständigen Dr. B. die bei der früheren Begutachtung gestellte Diagnose als widerlegt ansieht (UA S. 19), ermöglichen dem Revisionsgericht schon deshalb nicht die Überprüfung, welcher gutachterlichen Einschätzung zu folgen ist, weil auch im Hinblick auf die Diagnose der Vorgutachter eine Mitteilung der für sie wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen unterblieben ist.
Soweit die Kammer im Übrigen anhand lediglich aneinander gereihter diagnostisch-wertender Beschreibungen die Verhaltensauffälligkeit des Beschuldigen als „schizotype” Störung beschrieben hat (vor allem UA S. 20, s. auch bei den einzelnen Taten), sind auch diese Ausführungen nicht geeignet, dem Revisionsgericht ein hinreichend klares Bild von Ursachen und Umfang der bei ihm vorliegenden Störung zu vermitteln (vgl. auch BGHR StGB § 63, Zustand 29; zur schizotypen Persönlichkeitsstörung auch BGHSt 37, 397, 400f.). Es versteht sich – angesichts des Umstandes, dass sich die dem Verfahren zugrunde liegenden Taten vor allem gegen seine Ehefrau gerichtet haben und die Streitigkeiten mit ihr verstärkt nach vorangegangenem Alkoholkonsum ausgebrochen sind (vgl. UA S. 7) – auch nicht von selbst, dass die sich ‚mehr und mehr zuspitzende Entwicklung des Beschuldigten’, der offenbar bis Ende 2000 den Lebensunterhalt für seine Familie verdienen konnte und sich zumindest bis zu diesem Zeitpunkt den Anforderungen des Alltagslebens gewachsen zeigte (vgl. UA S. 3/4; siehe aber auch UA S. 7), schließlich in diesen Taten gegipfelt hätte (UA S. 21).
Schließlich bleibt im Dunkeln, ob und gegebenenfalls wie sich die Störung auf das Einsichts- oder Hemmungsvermögen des Beschuldigten bei den zugrunde liegenden Taten konkret ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04). Für die insoweit getroffene Feststellung der Kammer, ‚infolge der Störung sei die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bei allen Taten möglicherweise, die Steuerungsfähigkeit aber sicher aufgehoben’ (UA S. 19), fehlt es an jeglicher Begründung (vgl. auch BGHR StGB § 63 Zustand 29). Ausführungen hierzu (auch im Hinblick auf das Verhältnis von fehlender Einsichts- und Steuerungsfähigkeit; vgl. dazu BGHSt 40, 341, 349; BGH, Beschluss vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04) wären auch deshalb vonnöten gewesen, weil ansonsten eine zuverlässige Gefährlichkeitsprognose nicht gestellt werden kann (vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 21). Dies zeigt sich deutlich bei der angegriffenen Entscheidung, wenn sie sich ohne die gebotene umfassende Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten allgemein auf die bisherige Entwicklung des Beschuldigten bezieht und im Übrigen als sicher annimmt, dass die Verhaltensauffälligkeiten zukünftig wieder auftreten würden (UA S. 21). Ob dies der Fall ist, kann das Revisionsgericht, da Ursachen, Umfang und Auswirkungen der beim Beschuldigten vorliegenden Störung nur bruchstückhaft und unzureichend dargelegt sind, so nicht annähernd nachvollziehen.”
Dem tritt der Senat bei. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß im Fall II 9 schon deshalb durchgreifende Bedenken gegen die bisherige Beurteilung der Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bestehen, weil er hier vom Vollzug der
angedrohten analen Vergewaltigung seiner damaligen Ehefrau absah, als er erkannte, daß sie vor Angst derart zitterte, daß sie kaum noch stehen konnte (vgl. UA S. 12).
Unterschriften
Rissing-van Saan, Maatz, Bode, Otten, Roggenbuck
Fundstellen