Leitsatz (amtlich)
Gegen den in einer Familienstreitsache ergangenen Beschluss des OLG, mit dem der Antrag eines Beteiligten auf Terminierung wegen einer behaupteten Unwirksamkeit eines zuvor abgeschlossenen Vergleichs verworfen wurde, findet eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nicht statt.
Normenkette
FamFG §§ 70, 117 Abs. 1 S. 4; ZPO § 522 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Beschluss vom 08.12.2020; Aktenzeichen 11 UF 579/19) |
AG Erlangen (Entscheidung vom 09.04.2019; Aktenzeichen 2 F 1162/17) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des OLG Nürnberg vom 8.12.2020 wird auf Kosten des Antragsgegners verworfen.
Wert: 165.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Antragsgegner wendet sich gegen die Verwerfung seines Antrags, nach Abschluss eines von ihm für unwirksam gehaltenen Vergleichs einen neuen Verhandlungstermin zu bestimmen.
Rz. 2
Das AG hat den Antragsgegner zur Zahlung von Zugewinnausgleich verurteilt. Im Beschwerdeverfahren haben die Beteiligten vor dem OLG am 6.8.2019 einen Vergleich geschlossen, den der Antragsgegner für unwirksam hält. Mit Schriftsatz seines früheren Verfahrensbevollmächtigten vom 27.4.2020 hat der Antragsgegner deshalb Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens gestellt. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat das OLG mit Beschluss vom 28.7.2020 festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich beendet ist. Mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 10.9.2020 hat der Antragsgegner beantragt, "einen neuen Verhandlungstermin für die Berichtigung des Vergleichs vom 06.08.2019 zu bestimmen". Diesen Antrag hat das OLG verworfen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft und daher zu verwerfen.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist vom OLG nicht gem. § 70 Abs. 1 FamFG zugelassen worden.
Rz. 5
Nach der gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG auch in Ehesachen und Familienstreitsachen anwendbaren Vorschrift des § 70 Abs. 1 FamFG findet die Rechtsbeschwerde gegen Beschlüsse in Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich nur dann statt, wenn sie von dem Beschwerdegericht zugelassen worden ist. Eine Beschwerde gegen eine unterbliebene Zulassung hat der Gesetzgeber in dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bewusst nicht eröffnet (vgl. BT-Drucks. 16/6308, 225).
Rz. 6
Das OLG hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsbehelfsbelehrung, die der angegriffenen Entscheidung beigefügt ist. Denn dort wird nur ausgeführt, dass gegen diesen Beschluss "möglicherweise die Rechtsbeschwerde nach §§ 70 ff., 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO analog statthaft" ist. Aus dieser Formulierung kann nicht geschlossen werden, dass das OLG die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung zulassen wollte. Zudem stellt eine von dem Beschwerdegericht erteilte Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich keine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde dar (vgl. BGH, Beschl. v. 20.7.2011 - XII ZB 445/10 FamRZ 2011, 1728 Rz. 16).
Rz. 7
2. Die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde gem. § 70 Abs. 3 FamFG liegen ebenfalls nicht vor.
Rz. 8
3. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch weder aus einer direkten noch einer entsprechenden Anwendung von § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
Rz. 9
a) Eine direkte Anwendung dieser Vorschriften scheitert bereits am eindeutigen Wortlaut des § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO. Zwar gilt in Ehe- und Familienstreitsachen nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG die Vorschrift des § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO entsprechend (BGH, Beschl. v. 9.12.2015 - XII ZB 614/14 FamRZ 2016, 452 Rz. 5). Sie erfasst in Ehe- und Familienstreitsachen jedoch nur das Rechtsmittel gegen einen die Beschwerde verwerfenden Beschluss (vgl. BGH, Beschl. v. 9.12.2015 - XII ZB 614/14 FamRZ 2016, 452 Rz. 5, 9). Im vorliegenden Fall hat das OLG mit dem angefochtenen Beschluss jedoch nicht eine Beschwerde des Antragsgegners verworfen, sondern nur über seinen in der Beschwerdeinstanz gestellten Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens nach Abschluss des dort geschlossenen Vergleichs entschieden.
Rz. 10
b) Eine analoge Anwendung des § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, wie sie das OLG in der dem Beschluss beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung für möglich gehalten hat, kommt nicht in Betracht. Eine solche erfordert neben einer planwidrigen Regelungslücke die Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte. Beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Rz. 11
aa) Es liegt bereits keine planwidrige Regelungslücke vor. Der Gesetzgeber hat die Statthaftigkeit der mit dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit neu eingeführten Rechtsbeschwerde bewusst von der Zulassung durch das Beschwerdegericht oder durch das OLG im ersten Rechtszug abhängig gemacht, damit das Rechtsbeschwerdegericht in erster Linie mit Verfahren befasst wird, denen aufgrund ihrer grundsätzlichen Bedeutung eine über den Einzelfall hinausreichende Wirkung zukommt (vgl. BT-Drucks. 16/6308, 209). Von dem Zulassungserfordernis hat der Reformgesetzgeber nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 70 Abs. 3 FamFG und § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO abgesehen.
Rz. 12
Mit der Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG wollte der Gesetzgeber einen zulassungsfreien Zugang zum BGH eröffnen, um in Betreuungs-, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen und somit in Verfahren, in denen gerichtliche Entscheidungen mit besonders hoher Intensität in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten eingreifen, eine Verbesserung des Rechtsschutzes zu erreichen (vgl. Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 16/9733, 290). Während in Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen die Vorschrift keine Einschränkung enthält, sieht § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG in Betreuungssachen die Statthaftigkeit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde nur für Entscheidungen vor, die die Bestellung eines Betreuers, die Aufhebung einer Betreuung oder die Anordnung bzw. Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts zum Inhalt haben. Damit benennt das Gesetz für Betreuungssachen abschließend die Entscheidungen, in denen der Gesetzgeber Anlass für eine Ausnahme von dem Zulassungserfordernis nach § 70 Abs. 1 FamFG gesehen hat (BGH, Beschl. v. 19.9.2018 - XII ZB 427/17 FamRZ 2018, 1935 Rz. 7 m.w.N.).
Rz. 13
Mit dem in § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG enthaltenen Verweis auf § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO wollte der Gesetzgeber einen Gleichklang mit der Berufung erreichen. Ebenso wie die Verwerfung der Berufung sollte auch die entsprechende Entscheidung des Beschwerdegerichts in Ehe- und Familienstreitsachen mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden können, ohne dass diese zugelassen sein muss (BGH, Beschl. v. 9.12.2015 - XII ZB 614/14 FamRZ 2016, 452 Rz. 8 m.w.N.). Die sich aus § 117 FamFG ergebenden Modifikationen und Ergänzungen des Rechtsmittelverfahrens nach den §§ 58 ff. FamFG gelten jedoch nicht für Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. Senat, Beschl. v. 27.11.2013 - XII ZB 464/13 - juris Rz. 4). In diesen Verfahren hat der Gesetzgeber an dem Erfordernis der Zulassung der Rechtsbeschwerde festgehalten.
Rz. 14
Aus den genannten Vorschriften und der Gesetzesbegründung ergibt sich daher, dass die Ausnahmen, in denen im Anwendungsbereich des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde statthaft sein soll, eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung darstellen und abschließend sein sollten.
Rz. 15
bb) Zudem fehlt es an der für eine Analogie notwendigen Vergleichbarkeit der Interessenlagen. Diese Voraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann erfüllt, wenn der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem gesetzlich geregelten Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung - bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift - zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.2020 - XII ZR 28/20 FamRZ 2021, 584 Rz. 27 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt.
Rz. 16
Ebenso wie die Verwerfung der Berufung soll über den Verweis in § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG auf § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO auch die entsprechende Entscheidung des Beschwerdegerichts in Ehe- und Familienstreitsachen mit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde angefochten werden können (BT-Drucks. 16/6308, 372). Der Grund dafür, dass bei einer Verwerfung der Berufung (in Ehe- und Familienstreitsachen i.S.d. § 117 Abs. 1 FamFG der Beschwerde) als unzulässig die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) eröffnet ist, ist im Wesentlichen darin zu sehen, dass eine das Rechtsmittel als unzulässig verwerfende Entscheidung der revisions- bzw. rechtsbeschwerdegerichtlichen Nachprüfung stets zugänglich sein soll, damit sich das Berufungs- bzw. Beschwerdegericht nicht unberechtigt einer Sachentscheidung über das Rechtsmittel entziehen kann (vgl. zum früheren Recht BGH Beschl. v. 2.4.1982 - V ZR 293/81 NJW 1982, 2071, 2072). Zudem soll damit der BGH als Revisions- und Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit erhalten, Einfluss auf die Anwendung und Auslegung der formalen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Berufung oder Beschwerde zu nehmen (vgl. BT-Drucks. 14/4722, 96).
Rz. 17
Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht ein Rechtsmittel des Antragsgegners, sondern nur sein (wiederholter) Antrag auf Fortsetzung des durch den Vergleich in der Beschwerdeinstanz beendeten Rechtsstreits als unzulässig verworfen worden. Die gesetzgeberischen Zwecke, die der Eröffnung der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde im Falle der Verwerfung der Berufung (in Ehe- und Familienstreitsachen der Beschwerde) zugrunde liegen, greifen somit nicht. Daher ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Verwerfung eines solchen Antrags der Verwerfung einer Berufung bzw. Beschwerde gleichgestellt hätte.
Fundstellen