Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
Leitsatz (redaktionell)
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist beim Vorliegen vollumfänglich illegaler Beschäftigungsverhältnisse der Umfang hinterzogener Lohnsteuer grundsätzlich anhand des Eingangssteuersatzes der Lohnsteuerklasse VI zu bestimmen. Etwas anderes gilt hinsichtlich des der Strafzumessung zu Grunde zu legenden Sachverhaltes allerdings dann, wenn die tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer bekannt waren oder ohne weiteres hätten festgestellt werden können, so, wenn die Arbeitnehmer durch das Tatgericht zeugenschaftlich vernommen wurden. In diesem Fall muss der Umfang hinterzogener Sozialversicherungsbeiträge anhand der tatsächlich gegebenen Lohnsteuerklasse der Arbeitnehmer ermittelt werden.
Normenkette
EStG § 39c; SGB IV § 14 Abs. 2 S. 2; StGB § 266a
Verfahrensgang
LG Rostock (Urteil vom 01.11.2021; Aktenzeichen 22 KLs 202/19 (1) 472 Js 20739/18 (476)) |
Tenor
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 1. November 2021 in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen außer denjenigen zu den in den Fällen 1 bis 42 der Urteilsgründe gezahlten Arbeitsentgelten aufgehoben. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zu Gesamtreiheitsstrafen von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richten sich die auf die Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
Während die Verfahrensrügen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts versagen, führt die sachlich-rechtliche Nachprüfung zur Aufhebung der Strafaussprüche. Das Landgericht hat im Rahmen der nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV vorzunehmenden Hochrechnung rechtsfehlerhaft durchgehend den Eingangssteuersatz der Lohnsteuerklasse VI zugrundegelegt. Dazu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Zwar ist nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung beim Vorliegen vollumfänglich illegaler Beschäftigungsverhältnisse der Umfang hinterzogener Lohnsteuer grundsätzlich anhand des Eingangssteuersatzes der Lohnsteuerklasse VI (§ 39c EStG) zu bestimmen. Etwas anderes gilt hinsichtlich des der Strafzumessung zu Grunde zu legenden Sachverhaltes allerdings dann, wenn die tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer bekannt waren oder ohne Weiteres hätten festgestellt werden können, so, wenn die Arbeitnehmer durch das Tatgericht zeugenschaftlich vernommen wurden. In diesem Fall muss der Umfang hinterzogener Sozialversicherungsbeiträge anhand der tatsächlich gegebenen Lohnsteuerklasse der Arbeitnehmer ermittelt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. September 2019 – 1 StR 346/18, NJW 2019, 3532, 3535; und vom 22. September 2021 – 1 StR 86/21, juris Rn. 8). Ausgehend hiervon begegnet die Berechnung des Hochrechnungsfaktors im angegriffenen Urteil durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die gegen die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angeführte Argumentation der Strafkammer verfängt nicht. Der von ihr angegriffenen Entscheidung des 1. Strafsenats (Beschluss vom 24. September 2019 – 1 StR 346/18) lag keine einzelfallspezifische Ausnahmekonstellation zu Grunde.”
Rz. 3
Dass die Lohnsteuerklassen der ungarischen Monteure sich nicht ohne Weiteres aufklären lassen,
„erschließt sich vorliegend auch nicht von selbst. Im Gegenteil: den Urteilsausführungen lässt sich entnehmen, dass das Landgericht von den ungarischen Monteuren zumindest die Zeugen L. R., R. R. und B. vernommen hat (UA S. 32-35, 51, 68). Zudem lagen der Strafkammer Erkenntnisse vor, denen zufolge sämtliche Monteure die die durch die Firma S. an sie ausgezahlten Beträge im Rahmen der Einkommenssteuer – wenngleich aus Gewerbeeinnahmen – im Nachgang versteuert haben (UA S. 85).”
Rz. 4
Dem schließt sich der Senat an. Er kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Berechnung der Bruttoentgelte und der daraus ermittelten Beiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung sowie zur Arbeitsförderung auf niedrigere Strafen erkannt hätte. Die Feststellungen zur Höhe der gezahlten Arbeitsentgelte haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO).
Rz. 5
Das neue Tatgericht wird die Voraussetzungen des § 55 Abs. 3 SGB XI näher zu prüfen haben.
Unterschriften
Sander, Tiemann, Wenske, Fritsche, von Schmettau
Fundstellen