Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 11.10.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 11. Oktober 2002 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen – einschließlich derjenigen zu den Trinkmengen – aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel ist – auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Schriftsatz des Verteidigers vom 12. September 2003 – unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuldspruch richtet; zum Rechtsfolgenausspruch hat es jedoch Erfolg, weil die Beurteilung der Schuldfähigkeit durch das Landgericht der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht standhält.
1. Das Schwurgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Beim Angeklagten liegt eine angeborene pathologische Intelligenzminderung (IQ: 55) vor. Er trinkt seit seinem achten Lebensjahr Alkohol und ist alkoholabhängig. Seine im Jahre 1996 gemäß § 64 StGB angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mußte wegen Aussichtslosigkeit abgebrochen werden. Die der Anordnung damals zugrundeliegende Straftat (Körperverletzung mit Todesfolge) beging der Angeklagte im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit; sein Blutalkoholgehalt zur Tatzeit betrug 2,5 bis 3 ‰.
Bei der in dem angefochtenen Urteil abgeurteilten Tat betrug die maximale Blutalkoholkonzentration beim Angeklagten „um 3 ‰” (UA 25). In diesem Zustand mißhandelte der Angeklagte den ihm körperlich unterlegenen Geschädigten G., mit dem er häufig gemeinsam Alkohol trank, mit bedingtem Tötungsvorsatz durch Schläge und Tritte, um von G. unberechtigt Geld zu erlangen. Dieser verstarb an den Folgen der Gewalteinwirkung.
2. Das Landgericht hat eine uneingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit angenommen und sich hierbei auf das Gutachten des in der Hauptverhandlung vernommenen psychiatrischen Sachverständigen gestützt. Dieser hat u.a. ausgeführt, die Alkoholabhängigkeit des Angeklagten habe sich auf dessen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht ausgewirkt. Ebenso habe die festgestellte maximale Blutalkoholkonzentration für sich genommen bei dem alkoholgewöhnten Angeklagten zu keiner erheblichen Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit geführt. Dagegen spreche das zielgerichtete, kognitive Handeln sowie das „psychomotorische Erscheinungsbild” des Angeklagten vor, bei, während und nach der Tat. Auch die pathologische Intelligenzminderung habe weder für sich genommen noch im Zusammenhang mit der Alkoholisierung zu einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit geführt; denn „die Intelligenzminderung, die die Kriterien des Schwachsinns erfülle, sei für die Tat nicht determinierend gewesen. Hierbei sei zu beachten, daß es der Angeklagte infolge jahrelanger Übung verstehe, sich innerhalb seines Milieus, in dem sich die Tat auch abgespielt habe, zu bewegen” (UA 48).
3. Diese Würdigung, der sich das Landgericht ohne weitere Erörterung angeschlossen hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken:
Beim Zusammentreffen mehrerer die Schuldfähigkeit möglicherweise beeinträchtigender Faktoren – hier: der Intelligenzminderung des Angeklagten in Verbindung mit seiner Alkoholabhängigkeit und einer hohen Alkoholisierung bei der Tat – bedarf die Schuldfähigkeitsbeurteilung eingehender Erörterung (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 330, 331; BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3, 5, 6, 7, 9). Nach den Feststellungen weist der Angeklagte im Zusammenhang mit seiner Minderbegabung einen Persönlichkeitszug mit geringer Frustrationstoleranz und hoher Gewaltbereitschaft auf; er zeigt eine nur geringe Bereitschaft, Gesetze und soziale Normen zu achten (UA 26), und hat vor der abgeurteilten Tat in drei, im einzelnen im Urteil festgestellten Fällen unter Alkoholeinfluß andere Personen „seines Milieus” massiv mißhandelt (UA 17 bis 19).
Insgesamt liegt es nach den Feststellungen nahe, daß das Hemmungsvermögen des Angeklagten bei Begehung der Tat in rechtlich relevanter Weise beeinträchtigt war, weil seine Fähigkeit, den Tatanreizen in der konkreten Tatsituation zu widerstehen und sich normgemäß zu verhalten – im Vergleich mit der eines „Durchschnittsbürgers”, also voll schuldfähigen Menschen – aufgrund seiner psychischen Verfassung in erheblichem Maße verringert war (vgl. hierzu BGH NStZ 1997, 485, 486; 2000, 469, 470 und 585 f.; Streng in Münchener Kommentar zum StGB [2003] § 21 Rdn. 17; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 21 Rdn. 6, 8 jeweils m.w.N.). Die Begründung für den Ausschluß erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Hinblick auf die „Kombinationswirkung” von Intelligenzminderung und Alkoholbeeinträchtigung, der Angeklagte verstehe es, sich innerhalb seines Milieus zu bewegen, ist unter den gegebenen Umständen unzureichend und für den Senat auch nicht nachvollziehbar.
Darin liegt ein Rechtsfehler, der zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs führen muß. Der Senat hebt ausdrücklich auch die Feststellungen zu den Trinkmengen auf, um dem neuen Tatrichter eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB zu ermöglichen (zur tatrichterlichen Bewertung von unterschiedlichen Trinkmengenangaben [s. UA 36 ff.] vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 22, 29).
Da nach den – insbesondere im Hinblick auf das Leistungsverhalten des Angeklagten bei der Tat getroffenen – Feststellungen auszuschließen ist, daß der Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig war (§ 20 StGB), kann der Schuldspruch bestehen bleiben.
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat noch auf folgendes hin:
Falls eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 21 StGB) zur Tatzeit zweifelsfrei festzustellen sein sollte, kommt möglicherweise – neben der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung – auch eine Unterbringung gemäß § 63 StGB in Betracht (vgl. hierzu BGHSt 44, 338 ff.). In diesem Fall ist nach § 72 Abs. 1 StGB der Maßregel der Vorzug zu geben, die den Angeklagten am wenigsten beschwert (vgl. BGHR StGB § 63 Konkurrenzen 3).
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Ernemann, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2559063 |
StraFo 2004, 19 |