Tenor
Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Die Aufhebung eines Urteils wegen eines Rechtsfehlers bei der Anwendung des § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB i.d.F. des Gesetzes vom 16. Juli 2007 (BGBl. I 1327) ist auf einen nicht revidierenden Mitangeklagten gemäß § 357 Satz 1 StPO zu erstrecken, wenn sich die vom Tatrichter festgestellte voraussichtliche Dauer der Unterbringung nach § 64 StGB auch für den Mitangeklagten aus den Urteilsgründen ergibt und der Tatrichter bei dem Mitangeklagten ebenso wie beim Revisionsführer sich bei der Bemessung des vorab zu vollstreckenden Teils der Freiheitsstrafe entgegen § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB nicht am Halbstrafenzeitpunkt orientiert hat.
Der Senat fragt daher bei den übrigen Strafsenaten an, ob dortige Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung entgegen steht und ob ggf. an ihr festgehalten wird.
Gründe
Rz. 1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten F. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren, den nicht revidierenden Mitangeklagten E. A. als Mittäter derselben Tat zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Es hat die Unterbringung beider Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet und festgestellt, die voraussichtliche Dauer der Unterbringung werde bei beiden Angeklagten ein Jahr betragen. Zur Anwendung des § 67 StGB führen die Urteilsgründe abschließend aus: „Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2, 3 StGB hat die Kammer hinsichtlich der Reihenfolge der Vollstreckung bei beiden Angeklagten festgelegt, dass zunächst ein jeweils austenorierter Teil der Freiheitsstrafe zu vollziehen ist, bevor die Angeklagten in eine Entziehungsanstalt untergebracht werden.” In der Urteilsformel hat das Landgericht hinsichtlich des Angeklagten F. angeordnet, dass „28 Monate” der Freiheitsstrafe von fünf Jahren vor der Maßregel zu vollziehen seien; hinsichtlich des Angeklagten E. A. hat es einen Vorwegvollzug von „14 Monaten” der Freiheitsstrafe von vier Jahren angeordnet.
Rz. 2
2. Der Senat will, entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts, das Urteil auf die Revision des Angeklagten F. im Ausspruch über die Reihenfolge der Vollstreckung dahin abändern, dass die Vollziehung von einem Jahr und sechs Monaten der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung angeordnet wird, und die weitergehende Revision als unbegründet verwerfen, da sonstige Rechtsfehler des angefochtenen Urteils hinsichtlich dieses Angeklagten nicht ersichtlich sind.
Rz. 3
Die Bestimmung des vorweg zu vollziehenden Teils der Freiheitsstrafe ist rechtsfehlerhaft, da sie sich entgegen der zwingenden Regel des § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB nicht am Halbstrafen-Zeitpunkt orientiert hat. Da dem Tatrichter insoweit ein Ermessen nicht eingeräumt ist (vgl. BGH, Beschl. v. 2. September 2009 – 5 StR 339/09) und die erforderliche Therapiedauer hier festgestellt ist, kann der Senat den Berechnungsfehler entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst korrigieren (BGH, Beschl. v. 15. November 2007 – 3 StR 390/07; v. 2. September 2009 – 5 StR 339/09).
Rz. 4
3. Der Bestimmung des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe des Mitangeklagten E. A. liegt derselbe Fehler bei der Rechtsanwendung zugrunde, denn auch bei ihm hat der Tatrichter nicht, wie es § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB vorschreibt, den Zeitpunkt des § 67 Abs. 5 Satz 1 zugrunde gelegt. Darauf, wie das Landgericht die unzutreffende Zeitspanne von „14 Monaten” (zutreffend: ein Jahr) errechnet hat, kommt es nicht an.
Rz. 5
Eine Erstreckung einer aufhebenden Entscheidung gemäß § 357 Satz 1 StPO ist, sofern ein Rechtsfehler bei der Rechtsfolgenentscheidung vorliegt, regelmäßig ausgeschlossen, wenn die Aufhebungsgründe nur in der Person des Beschwerdeführers vorliegen (vgl. auch Meyer-Goßner StPO 52. Auflage § 357 Rn. 15 m.w.N.) oder wenn die zutreffende Rechtsanwendung notwendig individualisierende, gerade auf die Person des Beschwerdeführers abstellende Erwägungen voraussetzt. Dies ist aber bei der Anwendung des § 67 Abs. 2 Satz 3 n.F. StGB nicht der Fall, denn hinsichtlich des Umfangs des vorab zu vollziehenden Teils der Strafe ist dem Gericht kein Ermessensspielraum eingeräumt. Für einen denkbaren „Ausnahmefall” (vgl. BGH, Beschl. v. 3. März 2008 – 5 StR 52/08) sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Da die erforderliche Dauer der Unterbringung in der Entziehungsanstalt für beide Angeklagte festgestellt war, war der Vorwegvollzug für den Angeklagten F. daher auf ein Jahr und sechs Monate und für den nicht revidierenden Mitangeklagten E. A. auf ein Jahr festzusetzen, ohne dass Raum für individualisierende Erwägungen blieb. In diesem Fall hält der Senat eine Erstreckung der Aufhebung gemäß § 357 StPO für zulässig und rechtlich geboten; der Mitangeklagte ist durch die fehlerhafte Rechtsanwendung beschwert.
Rz. 6
4. Der Bundesgerichtshof hat, soweit ersichtlich, bislang über die Frage in dieser Konstellation bisher jedenfalls nicht ausdrücklich entschieden. Der Senat fragt daher vorsorglich bei den übrigen Strafsenaten an, ob dortige Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung entgegensteht.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Rothfuß, Fischer, Roggenbuck, Cierniak
Fundstellen
Haufe-Index 2560682 |
NStZ 2010, 32 |