Verfahrensgang
LG Potsdam (Urteil vom 28.11.2012) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten W. wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 28. November 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 14 Fällen, in sechs Fällen in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sowie wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen; ferner hat es einen Geldbetrag für verfallen erklärt sowie ein Faustmesser und Betäubungsmittel eingezogen. Daneben hat es den Mitangeklagten K. vor allem wegen mit dem Angeklagten getätigter Betäubungsmittelgeschäfte ebenfalls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Rz. 2
1. Die Revision rügt zu Recht, das Landgericht habe gegen § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO verstoßen. Dem liegt folgendes zugrunde:
Rz. 3
a) Nach den landgerichtlichen Feststellungen, die im Wesentlichen auf den Angaben des Mitangeklagten K. beruhen, verkaufte diesem der – die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestreitende – Angeklagte seit Mai 2008 „Speed” zunächst zum Eigenverbrauch. Um seine hierdurch alsbald entstandenen Schulden zu tilgen, erhielt K. bereits seit Juni 2008 mehrfach „Speed” vom Angeklagten, um es für ihn weiter zu verkaufen. Im Zeitraum von August 2008 bis Januar 2009 transportierte K. darüber hinaus sechs Mal jeweils mehrere Kilogramm Amphetamin nach Deutschland; dieses hatte er zuvor in Polen von B. und G. erhalten. Diese Lieferanten des Angeklagten W. sind u.a. deswegen von der Staatsanwaltschaft W. beim Bezirksgericht P. angeklagt worden, haben die Vorwürfe in ihrer jeweiligen polnischen Beschuldigtenvernehmung jedoch bestritten bzw. hierzu geschwiegen.
Rz. 4
Am 17. von insgesamt 45 Hauptverhandlungstagen stellte die Verteidigung des Angeklagten den Beweisantrag, B. und G. als Zeugen insbesondere dazu zu vernehmen, dass sie mit dem Angeklagten ausschließlich über Goldgeschäfte gesprochen, ihn aber nicht mit Amphetamin versorgt hätten. Am 25. Verhandlungstag lehnte das Landgericht die beantragten Beweiserhebungen gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO ab. Selbst wenn die genannten Zeugen von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO) keinen Gebrauch machen und die in ihr Wissen gestellten Tatsachen bekunden sollten, würde es nicht den Schluss ziehen, dass der Angeklagte durch den Mitangeklagten K. zu Unrecht belastet worden sei.
Rz. 5
b) Diese Verfahrensweise hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 6
Zwar hat das Landgericht bei seiner ablehnenden Entscheidung zutreffend als maßgebendes Kriterium angesehen, ob die Aufklärungspflicht die Erhebung der beantragten Beweise erfordert; es war bei dieser Prüfung vom Verbot der Beweisantizipation befreit (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60). Es durfte daher den zu erwartenden Beweiswert der beiden Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses würdigen und hierbei auch berücksichtigen, dass ihnen jeweils ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO zustehen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2000 – 1 StR 325/00, NJW 2001, 695). Es hat aber der vorliegend besonders schwierigen Beweislage bei seiner Abwägung nicht im notwendigen Maße Rechnung getragen:
Rz. 7
Das Landgericht hätte berücksichtigen müssen, dass nicht nur die gegen den Angeklagten generell, sondern auch die wegen ihrer Lieferantenstellung bei den sechs Einfuhrtaten gegen die benannten Zeugen in Polen erhobenen Vorwürfe im Wesentlichen auf den Angaben des Mitangeklagten K. beruhten und sonstige, namentlich „objektive” Indizien gerade für die am schwersten wiegenden Taten des Angeklagten fehlten. Dies gilt auch deshalb, weil sich die Zeugen zwar in Polen zunächst in Untersuchungshaft befanden, dann aber aus Gründen entlassen wurden, die ungeklärt geblieben sind und die das Landgericht zu ermitteln unterlassen hat. Darüber hinaus hätte das Landgericht dem Umstand größere Bedeutung zumessen müssen, dass sich der Mitangeklagte K. lediglich im Ermittlungsverfahren ausführlich zu den Taten und den beiderseits der deutsch-polnischen Grenze Beteiligten, in der Hauptverhandlung jedoch nur noch über eine durch seine Verteidigung verlesene Erklärung geäußert hat. Dieser lag im Übrigen eine Verständigung zugrunde, deren Grundlage aber nachträglich entfiel, weil der Mitangeklagte K. „entgegen seiner vorherigen Zusage nicht mehr bereit war, Fragen des Gerichts zu seiner schriftlichen Einlassung zu beantworten” (UA S. 13). In der Folge konnte insbesondere auch die Verteidigung ihn nicht mehr „konfrontativ” befragen (vgl. Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK). Angesichts des sich daraus ergebenden Beweiswertdefizites, auf das auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 23. August 2013 maßgeblich abgestellt hat, war die Beweislage nicht derart sicher (vgl. zu dieser Konstellation BGH, Urteil vom 5. Februar 1997 – 2 StR 551/96, NStZ 1997, 286), dass es zum Versuch weiterer Aufklärung durch eine zeugenschaftliche Einvernahme B. s und G. ‚ nicht gedrängt hätte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 – 3 StR 274/09, BGHSt 55, 11, 23).
Rz. 8
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Würdigung der Beweise gelangt wäre, wenn die beiden Zeugen die in ihr Wissen gestellten Umstände bestätigt hätten. Es hebt das angefochtene Urteil daher im vollen Umfang der Verurteilung des Beschwerdeführers auf, und zwar auch bezüglich des waffenrechtlichen Verstoßes, da dieser in engem Zusammenhang mit den übrigen Delikten stehen würde.
Rz. 9
2. Für die neu zu treffende Entscheidung weist der Senat auf folgendes hin:
Rz. 10
Sollte die neue Hauptverhandlung wiederum ergeben, dass der Angeklagte vom 30. Juni bis 7. August 2008 dem Mitangeklagten K. in fünf Fällen Speed veräußert hat, das jeweils aus einer zuvor zu diesem Zweck beschafften Gesamtmenge stammte, so würden die einzelnen Akte des Betäubungsmittelumsatzes ein einheitliches Handeltreiben darstellen (sog. Bewertungseinheit; vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 1995 – 5 StR 469/95, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 7 – Sukzessivlieferungen entsprechend Absprache). Sollte erneut eine Verfallsentscheidung getroffen werden, so bedürfte es zunächst der Feststellung, was der Angeklagte tatsächlich erlangt hat (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB).
Unterschriften
Basdorf, Sander, Schneider, Berger, Bellay
Fundstellen
Haufe-Index 5781575 |
NStZ 2013, 6 |
NStZ 2014, 51 |
StV 2014, 266 |