Verfahrensgang
LG Aurich (Urteil vom 09.07.2007) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 9. Juli 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Oldenburg zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
Rz. 2
Nach den Feststellungen des Landgerichts wollte der Angeklagte das 1,84 Meter große und 75 kg schwere Opfer während eines Gerangels mit Körperverletzungsvorsatz gegen eine Zimmerwand schleudern. Er packte und beschleunigte es mit einer Drehbewegung jedoch so stark, dass es statt gegen die Wand in Richtung eines geöffneten Fensterflügels flog, die Brüstungshöhe von 1,08 Meter überwand, ohne Kontakt zu der Fensterbrüstung, dem Fensterrahmen und dem anderen Fensterflügel nach draußen fiel und in etwa vier Meter Entfernung von der Hauswand und drei Meter Abstand nach links von der äußeren Fensterseite mit dem Kopf voran ungeschützt auf dem etwa 4,5 Meter tieferen Straßenboden aufschlug. Dabei zog es sich tödliche Kopfverletzungen zu.
Rz. 3
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand; sie ist lücken- und damit rechtsfehlerhaft. Sie lässt nicht erkennen, aufgrund welcher Beweisergebnisse das Landgericht zu der Überzeugung gelangt ist, der Angeklagte habe das Opfer gegen die Wand des Zimmers schleudern und hierdurch verletzen wollen. Entsprechende Angaben hat weder der Angeklagte bei einer seiner unterschiedlichen Einlassungen noch einer der Zeugen, insbesondere der während des Geschehens im Zimmer anwesende Zeuge M., gemacht. Für die Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge fehlt es daher an einer tragfähigen Grundlage.
Rz. 4
Darüber hinaus hat das Landgericht in seine Überzeugungsbildung nicht alle Umstände erschöpfend einbezogen, die für ein anderes objektives Tatgeschehen sprechen. Hierzu war es in besonderem Maße deshalb gehalten, weil der festgestellte Tatablauf – auch wenn er nach den Ausführungen der beiden gehörten Sachverständigen physikalisch erklärbar sein soll – nach allgemeiner Lebenserfahrung eher fern liegt. So hat das Landgericht insbesondere versäumt zu erörtern, wie es möglich sein kann, dass eine Person von der Statur des Opfers kontaktfrei, also nahe liegend ohne Versuch des Festhaltens, durch eine nur 65 cm breite Fensteröffnung (UA S. 41) fliegt und ohne irgendeine reflexartige Schutzbewegung der Hände mit dem Kopf voraus auf die 4,5 m tiefer liegende Straße stürzt, wenn sie sich bei diesem Geschehen bei Bewusstsein befindet.
Rz. 5
Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch gemacht.
Unterschriften
Tolksdorf, Miebach, Becker, Hubert, Schäfer
Fundstellen