Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 24.08.2011) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe – Auswärtige Große Strafkammer Pforzheim – vom 24. August 2011
- aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger in 30 Fällen verurteilt worden ist; insoweit wird das Verfahren eingestellt;
- im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 356 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 342 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 558 Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Soweit das Verfahren eingestellt wurde, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
4. Der Angeklagte hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
I
Rz. 1
I. Im Fall III. 4. a) der Urteilsgründe ist die Verfolgung der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger verjährt; insoweit wird das Verfahren gemäß § 206a StPO eingestellt. Soweit der Angeklagte unter III. 1. der Urteilsgründe wegen 14 – tateinheitlich verwirklichter – Fälle des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen verurteilt wurde, hat der Senat den Schuldspruch geändert. Der Generalbundesanwalt hat dazu zutreffend ausgeführt:
„1. In vierzehn der unter III. 1. der Urteilsgründe festgestellten Fälle unterliegt der Schuldspruch der Änderung dahin, dass der Angeklagte jeweils allein des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig ist. Die Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichten sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) muss insoweit wegen Strafverfolgungsverjährung entfallen.
Die Verjährungsfrist für § 174 Abs. 1 StGB beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Nach den Feststellungen beging der Angeklagte die unter III. 1. festgestellten Taten zu nicht näher feststellbaren Zeitpunkten von September 1998 bis September 2002 regelmäßig zweimal im Monat, außer während seiner Urlaube in Algerien, mindestens jedoch zwanzig Mal jährlich. Nach diesen im Strengbeweisverfahren getroffenen Feststellungen muss von vierzehn Verstößen gegen § 174 StGB – je zwei in den sieben Monaten von September 1998 bis März 1999 – ausgegangen werden (vgl. BGH, Beschl. vom 16.08.1996 – 1 StR 745/95; BGH, Beschl. vom 11.06.2002 – 1 StR 178/02), die am 01.04.2004, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Sexualdelikts-ÄndG vom 27.12.2003, bereits verjährt waren. Zwar ruht nach § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB in der durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vom 27.12.2003 (BGBl. I 3007) geänderten Fassung die Verjährung auch bei Straftaten nach § 174 StGB bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers. Diese Regelung gilt zudem auch rückwirkend für vor Inkrafttreten dieses Gesetzes am 01.04.2004 begangene Taten; ihre Anwendung ist indes ausgeschlossen, wenn – wie hier – zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Änderungsgesetzes bereits Strafverfolgungsverjährung eingetreten war (vgl. BGH, Beschl. vom 08.02.2006 – 1 StR 7/06; aber auch BGHR StGB § 78b Abs. 1 Ruhen 7).
2. Auch die Verurteilung wegen Förderung sexueller Handlungen in 30 Fällen (III. 4. a) kann keinen Bestand haben, weil insoweit die Strafverfolgung verjährt ist.
Die Verjährungsfrist beträgt auch hier fünf Jahre (§78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Die Taten wurden zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt von Mitte bis Ende 2005 begangen. Im Zweifel ist zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass die Tatzeiten vor Dezember 2005 lagen (vgl. BGH, Beschl. vom 11.06.2002 – 1 StR 178/02), sodass die Verjährungsfrist spätestens am 30.11.2010 endete. Der Lauf der Verjährungsfrist kann bis dahin aber nicht unterbrochen worden sein, weil das vorliegende Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten erst Anfang Dezember 2010 auf die Strafanzeige der Geschädigten eingeleitet wurde (I 29f).
Rz. 2
Das Verfahren ist insoweit gemäß § 206 a StPO einzustellen.”
Rz. 3
Entscheidungsgründe
II. Die Korrektur des Schuldspruchs nötigt nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs. Sowohl die Einzelstrafen wie auch die Gesamtstrafe können bestehen bleiben (§ 354 Abs. 1 StPO).
Rz. 4
Angesichts der über 900 festgestellten Straftaten, welche entscheidend durch den über viele Jahre andauernden schweren sexuellen Missbrauch geprägt sind, fallen im Verhältnis hierzu die 30 Fälle der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger sowie die tateinheitlich begangenen 14 Fälle eines sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, die infolge Verjährung einzustellen waren, nicht allzu schwer ins Gewicht. Der Senat kann daher und auch wegen des ohnehin straffen Strafzusammenzugs ausschließen, dass das Landgericht ohne die tateinheitlich begangenen, verjährten Straftaten sowie die Taten der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger auf niedrigere Einzelstrafen (soweit es den tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen betrifft) und auch auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Februar 2009 – 1 StR 14/09; Beschluss vom 6. Mai 2008 – 1 StR 176/08). Außerdem können tateinheitlich verwirklichte Gesetzesverletzungen auch dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie verjährt sind (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2010 – 1 StR 14/10).
Unterschriften
Nack, Wahl, Elf, Graf, Jäger
Fundstellen