Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Stuttgart übertragen.

 

Tatbestand

I.

Rz. 1

Der Angeschuldigte ist aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 12. Juni 2018 (OGs 222/18) am 21. Juni 2018 festgenommen worden und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Rz. 2

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe ab August 2016 bis zu seiner Festnahme unter dem Decknamen „B.” in Kenntnis der Ziele, Programmatik und Vorgehensweise der Gesamtorganisation eine Führungsfunktion in der „Partiya Karkerên Kurdistan” („Arbeiterpartei Kurdistans”, im Folgenden: PKK) ausgeübt, indem er als hauptamtlicher Kader das PKK-Gebiet F. geleitet und hierbei Anweisungen des ihm übergeordneten Sektorenleiters entgegengenommen und umgesetzt habe. Dadurch habe er sich als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, strafbar gemäß § 129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB.

Rz. 3

Wegen dieses Tatvorwurfs hat die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Angeschuldigten unter dem 29. November 2018 Anklage vor dem Oberlandesgericht Stuttgart erhoben. Der zuständige Strafsenat hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich.

 

Entscheidungsgründe

II.

Rz. 4

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

Rz. 5

1. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 12. Juni 2018 vorgeworfenen Straftat dringend verdächtig.

Rz. 6

a) Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:

Rz. 7

aa) Die PKK wurde 1978 u.a. von Abdullah Öcalan in der Türkei als Kaderorganisation mit dem Ziel gegründet, einen kurdischen Nationalstaat unter ihrer Führung zu schaffen. Zur Verwirklichung dieses Plans initiierte die PKK verschiedene Organisationen, die mehrfach ihre Bezeichnung wechselten. So besteht seit 2007 – unter dieser Bezeichnung – die „Koma Civakên Kurdistan” („Vereinigte Gemeinschaften Kurdistan”, im Folgenden: KCK), die auf einen staatsähnlichen „konföderalen” Verbund der kurdischen Siedlungsgebiete in der Türkei, Syrien, Iran und Irak abzielt und dabei umfangreiche staatliche Attribute beansprucht wie Parlament, Gerichtsbarkeit, Armee und Staatsbürgerschaft.

Rz. 8

Die KCK ist, ebenso wie die PKK, auf die Person von Abdullah Öcalan ausgerichtet. Daneben vollzieht sich die Willensbildung innerhalb der Organisation etwa über den „Kongra Gele Kurdistan” (KONGRA GEL, „Volkskongress Kurdistans”) und den KCK-Exekutivrat. Die Führungskader folgen grundsätzlich dieser Willensbildung und setzen die getroffenen Entscheidungen um. Zur Überprüfung haben sie den Kadern der übergeordneten Ebene regelmäßig Bericht über ihre Tätigkeit zu erstatten.

Rz. 9

Fester Bestandteil der Strukturen der PKK/KCK sind auch die „Hêzên Parastina Gel” („Volksverteidigungskräfte”, im Folgenden: HPG), die nach dem Willen der Führung handeln. Sie betrachten im Rahmen der von ihnen vorgenommenen „Selbstverteidigung” einen Guerillakrieg als legitimes Mittel. Die HPG verübten vor allem im Südosten der Türkei mittels Sprengstoff und Waffen Anschläge gegen türkische Soldaten sowie Polizisten und verletzten oder töteten dabei eine Vielzahl von diesen. Sie bekannten sich seit der Aufkündigung eines „Waffenstillstands” zum 1. Juni 2004 zu über 100 Anschlägen.

Rz. 10

Das Präsidium des Exekutivrats der KCK erklärte, nachdem Abdullah Öcalan aus der Haft heraus eine Friedensbotschaft verlesen und zu einer gewaltfreien politischen Lösung des Konflikts aufgerufen hatte, ab dem 23. März 2013 eine Feuerpause. In der Folge verübten die HPG zwar deutlich weniger Anschläge, ohne dass damit aber eine Abkehr von der Ausrichtung der Organisation auf die Begehung von Tötungsdelikten verbunden gewesen wäre; vielmehr enthielt die Erklärung bereits den Vorbehalt, dass man im Fall von Angriffen von dem „Recht auf Selbstverteidigung” Gebrauch machen und Vergeltung üben werde.

Rz. 11

Nachdem der „Friedensprozess” im Juli 2015 endgültig zum Erliegen gekommen war, kam es in der Folge zu Gefechten mit den türkischen Streitkräften, die ihrerseits mit massiver militärischer Gewalt vorgingen. In diesen Auseinandersetzungen spielte die „Patriotisch revolutionäre Jugendbewegung” (YDGH – Yurtsever Devrimci Genclik Hareketi), die sich mit den Selbstverteidigungskräften der HPG zusammenschloss, eine bedeutsame Rolle. Parallel dazu nahmen die Anschläge der HPG, bei der Angehörige der türkischen Sicherheitskräfte, aber auch Zivilisten getötet oder verletzt wurden, wieder erheblich zu.

Rz. 12

Der Schwerpunkt der Strukturen und das eigentliche Aktionsfeld der PKK liegen in den von Kurden bevölkerten Gebieten in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran. Zahlreiche – auf die Unterstützung der politischen und militärischen Auseinandersetzung mit dem türkischen Staat ausgerichtete – Aktivitäten betreibt die PKK jedoch auch in Deutschland und anderen Gebieten Westeuropas. Dazu bediente sie sich bis Juli 2013 der „Civata Demokratîk a Kurdistan” („Kurdische Demokratische Gesellschaft”, im Folgenden: CDK), die die Direktiven der KCK-Führung umzusetzen hatte und namentlich dazu diente, die in Europa lebenden Kurden zu organisieren. Entsprechend den Vorgaben des 10. CDK-Kongresses vom Mai 2013 zur Neustrukturierung der PKK in Europa benannte sich der europäische Dachverband PKK-naher Vereine „Konföderation der kurdischen Vereine in Europa” (KON-KURD) im Juli 2013 in „Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa” (KCD-E) um. Unter der Bezeichnung KCD-E werden nicht nur die Strukturen des KON-KURD, sondern auch diejenigen der CDK fortgeführt.

Rz. 13

Unterhalb der Führungsebene war und ist Europa in Sektoren, Gebiete, Räume und Stadtteile eingeteilt. In Deutschland gab es seit 2002 drei Sektoren („Süd”, „Mitte” und „Nord”), seit 2012 ist der Sektor „Süd” in die Sektoren „Süd 1” und „Süd 2” aufgeteilt. Für jede Organisationseinheit wird von der Führung mindestens ein Verantwortlicher eingesetzt; Sektoren und Gebiete werden in der Regel von einem durch die Partei alimentierten, professionellen Führungskader geleitet. Die Organisationseinheiten stellen der PKK Finanzmittel bereit, rekrutieren Nachwuchs für den Guerillakampf und betreiben Propaganda. Dabei haben sie die Vorgaben der Europaführung umzusetzen und dieser über die Erfüllung ihrer Aufgaben regelmäßig Bericht zu erstatten.

Rz. 14

bb) Der Angeschuldigte war ab August 2016 bis zu seiner Festnahme im Juni 2018 – und damit abweichend von der sonst üblichen jährlichen Kaderrotation – als Leiter des PKK-Gebiets F. mit den typischen Führungsaufgaben eines PKK-Gebietsleiters befasst. Er koordinierte die organisatorischen, finanziellen, personellen und propagandistischen Angelegenheiten seines Zuständigkeitsbereichs. Dabei agierte er unter dem parteiinternen Decknamen „B.”. Er hielt einerseits Kontakt zu dem jeweiligen ihm hierarchisch direkt übergeordneten Leiter der Regionalleitung „Baden-Württemberg”, der ihm Anweisungen erteilte und dem er regelmäßig über die Parteiarbeit in dem von ihm geleiteten Gebiet berichtete. Andererseits nahm er bestimmenden Einfluss auf die Arbeit der ihm in der Hierarchie der Vereinigung unterstellten PKK-Kader, indem er ihre Arbeit koordinierte, ihnen Anweisungen gab und sich über die Entwicklungen unterrichten ließ. Insbesondere koordinierte er ab August 2016 und ab Juli 2017 die jährliche Spendensammlung, indem er die Aktivisten der Spendenkampagne einteilte und ihnen Vorgaben machte. Das eingesammelte Geld wurde zunächst in die Wohnung des Angeschuldigten gebracht, der Listen über die Einnahmen erstellte. Darüber hinaus beteiligte er sich als Gebietsleiter an der Organisation einer Reihe von Veranstaltungen wie der „Kurdenmärsche” von H. nach S. und von M. nach St. im Februar 2017, eines Hungerstreiks vor dem Europaparlament in Straßburg im April 2017 und einer Demonstration in K. im Januar 2018. Im Dezember 2016, Juli 2017, Januar 2018, März 2018 und April 2018 nahm er an regionalen Kadertreffen teil.

Rz. 15

b) Der Angeschuldigte, der bei der Eröffnung des Haftbefehls abgestritten hat, Kontakte zur PKK zu haben, ist der vorstehenden Tat dringend verdächtig.

Rz. 16

aa) Hinsichtlich der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK ergibt sich der dringende Tatverdacht aus den Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere des Bundeskriminalamtes, die sich in zahlreichen Auswertungsberichten finden und auf deren Grundlage es bereits vielfach zu Verurteilungen von Kadern der PKK durch verschiedene Oberlandesgerichte gekommen ist, sowie aus öffentlichen Verlautbarungen der Organisation.

Rz. 17

bb) Der dringende Tatverdacht bezüglich der Tätigkeit des Angeschuldigten als Gebietsleiter der PKK in F. folgt insbesondere aus den Erkenntnissen aus der gegen ihn angeordneten Telekommunikationsüberwachung, den bei der Durchsuchung seiner Wohnung sichergestellten Schriftstücken wie Spendenlisten und dergleichen sowie aus den Angaben des Zeugen Ö..

Rz. 18

Wegen der Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht gegen den Angeschuldigten begründenden Beweismittel und Indizien wird auf die ausführlichen Darlegungen im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart und in der Anklageschrift des Generalstaatsanwalts, insbesondere im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, Bezug genommen.

Rz. 19

c) Der Angeschuldigte hat sich damit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht (§ 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Rz. 20

Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand stellt die PKK aufgrund ihrer Verbandsstruktur eine Vereinigung dar, bei der sich der Einzelne entsprechend den intern bestehenden Regeln unter den Gruppenwillen unterordnet. Sie ist angesichts des von ihr in Anspruch genommenen – indes nicht gegebenen – „Selbstverteidigungsrechts” und der durch ihre Unterorganisation HPG verübten Anschläge darauf ausgerichtet, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen. Für die Anschläge besteht auch kein Rechtfertigungsgrund nach Völkervertrags- oder Völkergewohnheitsrecht (BGH, Beschlüsse vom 6. Mai 2014 – 3 StR 265/13, NStZ-RR 2014, 274 f.; vom 8. Februar 2018 – AK 3/18, NStZ-RR 2018, 106). An dieser Vereinigung hat sich der Angeschuldigte durch seine Tätigkeit als Gebietsleiter als Mitglied beteiligt.

Rz. 21

Das Bundesministerium der Justiz hat am 6. September 2011 die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung der jeweiligen Verantwortlichen für die in Deutschland bestehenden Sektoren und Gebiete der PKK erteilt (§ 129b Abs. 1 Satz 3 StGB).

Rz. 22

2. Es ist der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben. Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Der Angeschuldigte ist familiär in Deutschland nicht gebunden. Seine Familie lebt vielmehr in der Türkei. Zwar hält sich der Angeschuldigte, dessen Flüchtlingsstatus seit 2013 anerkannt ist, jedenfalls seit 2011 in Deutschland auf. Soziale Beziehungen außerhalb des PKK-Umfeldes hat er hier aber ersichtlich nicht. Er verfügt über keine Kenntnisse der deutschen Sprache. Von der Pflicht, an einem Integrationskurs teilzunehmen, wurde er nach Vorlage eines ärztlichen Attests – der Angeschuldigte ist körperlich wie psychisch gesundheitlich eingeschränkt – befreit. Auch wenn der Angeschuldigte, der aufgrund seiner prokurdischen politischen Aktivitäten in der Türkei mehrfach in Haft war, sich wahrscheinlich nicht in seine türkische Heimat absetzen wird, verfügt er aufgrund seiner Tätigkeit für die PKK doch über zahlreiche Beziehungen im europäischen Ausland. Bereits früher hielt er sich in Belgien, den Niederlanden, Ungarn und Rumänien auf. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass er sich, sollte er in Freiheit gelangen, dem weiteren Strafverfahren durch Flucht entziehen wird.

Rz. 23

Die genannten Umstände begründen erst recht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) darüber hinaus auf den Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO gestützt werden kann.

Rz. 24

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der Umfang der Ermittlungen und ihre besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Nach der Festnahme des Angeschuldigten sind die sichergestellten Mobiltelefone, die bei der Durchsuchung aufgefundenen Schriftstücke sowie eine Vielzahl von Telefongesprächen und Kurznachrichten – nach Übersetzung – ausgewertet worden. Der Zeuge Ö. ist, da sich Klärungsbedarf ergeben hat, am 15. Oktober 2018 ein weiteres Mal vernommen worden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat das umfangreiche Ermittlungsverfahren, das 79 Stehordner Sachakten umfasst, mittlerweile abgeschlossen und unter dem 29. November 2018 Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben. Dort ist die Übersetzung der Anklage in Auftrag gegeben und eine Erklärungsfrist bis zum 19. Dezember 2018 verfügt worden. Über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung der Hauptverhandlung hat der Strafsenat noch nicht entschieden. Für den Fall der Eröffnung ist mit Beginn der Hauptverhandlung nach Auskunft des Vorsitzenden ab Mitte März 2019 zu rechnen.

Rz. 25

In Anbetracht dessen ist das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

Rz. 26

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Unterschriften

Schäfer, Spaniol, Berg

 

Fundstellen

Dokument-Index HI12969369

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