Leitsatz (amtlich)
Hat ein zuständiges ausländisches Gericht auf der Grundlage des anwendbaren ausländischen Rechts einen Bürgen zur Zahlung verurteilt, kann vor einer Vollstreckbarerklärung in Deutschland im Hinblick auf das Grundrecht des Bürgen auf Selbstgestaltung seiner Rechtsverhältnisse regelmäßig nur geprüft werden, ob der Schuldner wegen besonders krasser struktureller Unterlegenheit durch die Vollstreckbarkeit zweifelsfrei zum wehrlosen Objekt der Fremdbestimmung gemacht und hierdurch auf unabsehbare Zeit auf das wirtschaftliche Existenzminimum der Pfändungsfreigrenzen verwiesen würde.
Normenkette
EuGVÜ Art. 27 Nr. 1; GG Art. 2 Abs. 1; BGB § 765
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Aktenzeichen 9 W 90/96) |
LG Baden-Baden (Aktenzeichen 2 O 464/96) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluß des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe in Freiburg i.Br. vom 24. November 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Gründe
A.
Der Schuldner, ein französischer Staatsangehöriger, verbürgte sich 1987 als 21jähriger in Frankreich für ein Darlehen von FF 550.000, welches die Gläubigerin der Schwester des Schuldners gewährte. Der Schuldner wohnte seinerzeit in Frankreich und arbeitete in Deutschland; später verzog er auch hierhin. Als die Schwester das Darlehen nicht tilgte, beschloß das Landgericht Straßburg am 19. November 1992 im Verfahren der einstweiligen Verfügung, daß der Schuldner als Gesamtschuldner mit seiner Schwester an die Gläubigerin FF 461.939,38 zuzüglich 11,5 % Zinsen aufgrund der Bürgschaft zu zahlen hat. Der vollstreckbare Beschluß weist aus, daß der Schuldner durch M. N. als Rechtsanwalt vertreten war, und wurde dem Schuldner zugestellt.
Auf Antrag der Gläubigerin hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des für den Schuldner zuständigen Landgerichts angeordnet, daß der Beschluß mit der deutschen Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Auf die Beschwerde des Schuldners hat das Oberlandesgericht den Antrag der Gläubigerin aufgrund des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ zurückgewiesen. Dagegen richtet sich deren Rechtsbeschwerde.
B.
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Es ist gemäß Art. 37 Abs. 2 EuGVÜ i.V.m. §§ 17, 18 AVAG zulässig. Zwar enthält weder die Rechtsbeschwerdeschrift noch die Begründung dazu einen ausdrücklich formulierten Antrag. Ein solcher ist jedoch gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 AVAG ebensowenig zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung wie für § 554 Abs. 3 Nr. 1 oder § 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 29. September 1953 - I ZR 164/52, LM § 546 ZPO Nr. 14 unter I; Beschl. v. 13. Juli 1982 - VI ZB 5/82, VersR 1982, 974 f). Die fristgerecht eingereichte Rechtsbeschwerdebegründung läßt unmißverständlich erkennen, daß der angefochtene Beschluß im ganzen beseitigt werden soll. Dieser weist den Antrag auf Erteilung einer umfassenden Klausel zur Entscheidung des Landgerichts Straßburg mit einer tragenden Begründung – Verstoß gegen Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ (siehe unten II 1) – ab. Diese wird von der Rechtsbeschwerde eingehend angegriffen. Damit gibt sie zwangsläufig zu erkennen, daß sie die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt sehen will.
Erst recht ist die Revision nicht aus dem Grunde unzulässig, daß ihre Begründung entgegen § 554 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht darlegt, ob die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Ein Verstoß gegen diese Norm kann das Rechtsmittel im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 54, 277, 285 ff jedenfalls insoweit nicht unzulässig werden lassen, als eine hinreichende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels dargetan wird (MünchKomm-ZPO/Walchshöfer, § 554 Rdnr. 19; noch weitergehend Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO 57. Aufl. § 554 Rdnr. 7 m.w.N.; Thomas/Putzo, ZPO 20. Aufl., § 554 Rdnr. 4). Dies ist vorliegend der Fall (siehe unten II 2). Im übrigen genügt es, wenn sich eine Grundsätzlichkeit aus dem Zusammenhang der Begründung eindeutig ergibt (BGHZ 66, 273, 276). Das trifft hier hinsichtlich der Auswirkungen des Art. 2 Abs. 1 GG auf die Schranken der deutschen öffentlichen Ordnung (siehe unten II 2 a) zu.
II.
Die Rechtsbeschwerde rügt zutreffend eine Verletzung des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ.
1. Das Oberlandesgericht hat hierzu ausgeführt: Der Beschluß des Landgerichts Straßburg verstoße gegen den deutschen ordre public. Denn er widerspreche den grundrechtlichen Wertungen über die Privatautonomie bei der Bürgenhaftung. Entscheidungen anderer EU-Staaten könnten nicht anerkannt werden, wenn sie in besonders eindeutiger Weise mißbrauchte Privatautonomie zur Haftungsgrundlage erklärten. Im vorliegenden Falle sei der Schuldner unerfahren und mit einem Nettogehalt von monatlich rund 2.200 DM fast vermögenslos gewesen. Die Haftung habe er nur wegen der verwandtschaftlichen Bindung an seine Schwester übernommen. Die Gläubigerin habe ihn nicht über die Risiken aufgeklärt. Der Schuldner könne sich auf seine strukturelle Unterlegenheit im vorliegenden Anerkennungsverfahren jedenfalls deswegen erstmals berufen, weil die zugrundeliegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erst nach dem Beschluß des Landgerichts Straßburg ergangen sei.
2. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
Nach Art. 34 Abs. 2 i.V.m. Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ wird die Entscheidung eines anderen Vertragsstaates unter anderem dann nicht in Deutschland für vollstreckbar erklärt, wenn dies der inländischen öffentlichen Ordnung widersprechen würde. Entscheidend ist also – wie im Falle des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO –, ob gerade die Vollstreckbarerklärung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts verstößt; das ist regelmäßig anzunehmen, wenn sie mit Grundrechten unvereinbar ist.
a) Die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen ist ein Teil seiner allgemeinen Handlungsfreiheit, die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet wird. Ferner gebietet es das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG), daß die Zivilrechtsordnung Korrekturen für typisierbare vertragliche Fallgestaltungen ermöglicht, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lassen, wenn die Folgen des Vertrages für diesen ungewöhnlich belastend sind. Dazu sind die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB bestimmt. Für die Zivilgerichte folgt daraus die Pflicht, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, daß Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen (BVerfGE 89, 214, 231 bis 234). Diese Pflicht obliegt den Gerichten, die über die Durchsetzung vertraglicher Ansprüche zu entscheiden, d.h. über die Frage zu erkennen haben, ob der Vertrag Grundlage eines staatlichen vollstreckbaren Leistungsbefehls sein kann. Gemäß dem deutschen Rechtsschutzsystem ist vorrangig das Erkenntnisverfahren dazu bestimmt, die Ausgewogenheit von Verträgen aufgrund der §§ 138, 242 BGB zu prüfen.
Im vorliegenden Fall war in erster Linie das Landgericht Straßburg zuständig, über diese Frage zu entscheiden: Die seinerzeit in Frankreich ansässigen Parteien hatten dort einen Vertrag französischen Rechts geschlossen (vgl. § 29 Abs. 1 ZPO i.V.m. Art. 28 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 EGBGB), über den auch auf der Grundlage der französischen Grundrechtsvorstellungen zu befinden war. Daß diese sein Begehren stützen, macht der Schuldner nicht geltend.
Bei der gemäß Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ gebotenen Prüfung geht es hingegen allein um die Frage, ob gerade eine Vollstreckung aus dem Urteil des französischen Gerichts gegen einen französischen Staatsangehörigen in Deutschland dessen Grundrechte verletzt. Der Inlandsbezug dieser Prüfung liegt lediglich in den Voraussetzungen und Wirkungen der Zwangsvollstreckung. In dieser Hinsicht tragen allgemein die Unpfändbarkeitsbestimmungen der §§ 811 ff, 850 ff ZPO dem Gebot des Sozialstaatsprinzips weitgehend Rechnung. Zusätzliche, eine Schutzwürdigkeit des Schuldners in dieser Hinsicht begründende Bedürfnisse sind vorliegend nicht dargetan. Soweit es andererseits um die Handlungsfreiheit des Schuldners geht, darf in diesem Verfahrensabschnitt nicht mehr streng nach dem Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB geprüft werden, ob gemäß deutschen Vorstellungen ein Leistungsurteil des vorliegenden Inhalts zu erlassen wäre. Das wäre nämlich eine unzulässige Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der ausländischen Entscheidung (vgl. Art. 34 Abs. 3 EuGVÜ, § 723 Abs. 1 ZPO). Wenn die Bundesrepublik Deutschland sich gegenüber anderen Staaten mit gleichartiger, rechtsstaatlicher und freiheitlich-demokratischer Grundordnung verpflichtet, deren Urteile ohne inhaltliche Überprüfung anzuerkennen, kann auch hinsichtlich der Grenzen von Grundrechten nicht als Kriterium gelten, ob die Beurteilung der ausländischen Gerichte den inländischen Vorstellungen voll entspricht, ob also deutsche Gerichte genauso entscheiden würden. Maßstab ist vielmehr, ob gerade die Unterwerfung des Schuldners unter das ausländische Zahlungsgebot seine Handlungsfreiheit in verfassungswidriger Weise einschränkt. Derartiges kann allenfalls in besonders krassen Fällen der strukturellen Unterlegenheit in Betracht kommen, wenn der Schuldner nach dem Urteil aller billig und gerecht Denkenden zweifelsfrei zum wehrlosen Objekt der Fremdbestimmung gemacht und hierdurch auf Jahre hinaus auf das wirtschaftliche Existenzminium der Pfändungsfreigrenzen verwiesen würde.
b) Solche Voraussetzungen sind hier nicht dargetan.
aa) Schon auf der Grundlage des § 138 Abs. 1 BGB ist zweifelhaft, ob eine Verurteilung des Beklagten sittenwidrig ist. Insoweit ist auf den Zeitpunkt bei Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung abzustellen.
Die Gläubigerin hat nicht in sittlich verwerflicher Weise auf die Entschließung des Schuldners eingewirkt und ihn damit unzumutbar belastet. Insbesondere hat sie nicht die sich aus der Bürgschaft ergebenden Risiken verharmlost. Der Umstand allein, daß sie nicht von sich aus den Schuldner darauf hingewiesen hat, genügt ebensowenig wie eine Dauer der Gespräche von nur zehn Minuten oder eine Bekanntschaft des handelnden Bankangestellten mit der Schwester des Schuldners.
Die Gläubigerin hat auch nicht klar zu Tage getretenes, sittlich mißbilligenswertes Handeln der Hauptschuldnerin gegenüber dem Schuldner für eigene Zwecke ausgenutzt. Zwar war der Schuldner bei Übernahme der Bürgschaft erst 21 Jahre alt. Er behauptet aber selbst nur, daß seine Schwester ihn gebeten hat, die Bürgschaft zu übernehmen, und diese wegen der guten wirtschaftlichen Lage der Hauptschuldner als risikolos bezeichnet hat. Er will sich darauf eingelassen haben, weil er auf die damals guten Vermögensverhältnisse der Schwester vertraute und wegen der Krankheit seiner Mutter eine stärkere Verbindung zur Schwester hatte. Für die Gläubigerin war aber allenfalls erkennbar, daß der noch recht junge Schuldner für seine Schwester bürgen wollte. Regelmäßig sind Geschwister nicht voneinander abhängig (vgl. Senatsurt. v. 18. Dezember 1997 - IX ZR 271/96, WM 1998, 239, 240). Eine Abhängigkeit lag hier auch deswegen nicht nahe, weil der Schuldner ein für sich ausreichendes eigenes Einkommen hatte.
Endlich bestehen Zweifel, ob der Schuldner durch die Bürgschaft in dem vorauszusetzenden Maße kraß überfordert wurde. Von einer solchen, auch dem Gläubiger erkennbaren Überforderung ist der Senat bisher ausgegangen, wenn die pfändbaren Einkünfte des Bürgen nicht einmal ausreichen, um in fünf Jahren ein Viertel der Hauptschuld abzudecken (BGHZ 132, 328, 330 f, 336 ff; BGH, Urt. v. 18. September 1997 - IX ZR 283/96, WM 1997, 2117, 2118). So lag der Fall hier nicht: Ein Viertel der verbürgten Hauptschuld von FF 550.000 (entsprechend rund 165.000 DM) betrug gut 41.000 DM. Demgegenüber waren vom monatlichen Nettoeinkommen des damals ledigen, kinderlosen Schuldners von etwa 2.200 DM im Jahre 1987 rund 1.000 DM pfändbar. Das ergibt jährlich 12.000 DM, also in fünf Jahren 60.000 DM. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß der Schuldner seinerzeit noch eine ältere Schuld von bis zu 30.000 DM zu tilgen hatte. Es ist nicht dargetan, daß dies für die Gläubigerin erkennbar gewesen wäre; aus der vom Schuldner vorgelegten Lohnabrechnung für Oktober 1987 ist ein entsprechender Abzug nicht ersichtlich.
bb) Jedenfalls verletzt bei dieser Ausgangslage eine Vollstreckbarerklärung des französischen Urteils nicht die Grundrechte des Schuldners. Insoweit ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten tatsächlichen Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung abzustellen.
Über sein jetziges Einkommen hat der – insoweit darlegungsbelastete – Schuldner nichts vorgetragen. Er ist verheiratet, gibt aber nicht an, unterhaltspflichtig zu sein. Auf eine Verurteilung zur Zahlung von FF 461.939,38 fallen jährlich rund 16.000 DM Zinsen an. Ausgehend von der mitgeteilten letzten Tätigkeit des Schuldners als Baggerführer vermag der Senat nicht auszuschließen, daß der Schuldner allein aus seinem pfändbaren Einkommen zu Zahlungen in der Lage ist, die sogar für eine gewisse Tilgung der Hauptschuld ausreichen (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG NJW 1994, 2749, 2750 unter b; NJW 1996, 2021 unter 1 b).
3. Der angefochtene Beschluß beruht danach auf einem Rechtsfehler.
III.
Der Senat kann in der Sache nicht abschließend erkennen.
1. Als „Entscheidungen” im Sinne des Art. 25 EuGVÜ können auch einstweilige Verfügungen anerkannt werden, wenn sie aufgrund eines zweiseitig angelegten Verfahrens ergehen (OLG Hamm RIW 1994, 243, 244; Baumbach/Lauterbach/Albers, aaO Art. 25 EuGVÜ Rdnr. 1; Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, 12. Aufl. Bd. I, Rn. 55.5 ff in Abgrenzung zu EuGH IPRax 1981, 95 f). Das vorliegende Urteil des Landgerichts Straßburg vom 19. November 1992 ist nach seinem Inhalt aufgrund streitiger mündlicher Verhandlung ergangen.
2. Nach dem Vorbringen des Schuldners ist die Anerkennung jedoch gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ zu versagen, weil er sich nicht auf das Verfahren in Frankreich eingelassen hat und ihm die Antragsschrift auch nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Unstreitig ist die Antragsschrift der Gläubigerin nicht dem Schuldner, sondern dem für ihn auftretenden Rechtsanwalt N. zugestellt worden. Dieser ist nach der Behauptung des Schuldners allein von dessen Schwester beauftragt worden.
Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ findet auf Entscheidungen Anwendung, die gegen einen Beklagten ergangen sind, der im Verfahren nicht wirksam vertreten war, die aber wegen des Erscheinens eines angeblichen Vertreters des Beklagten vor dem Gericht des Urteilsstaates nicht als Versäumnisentscheidungen ergangen sind. Denn ein Beklagter, der von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren keine Kenntnis hat und für den vor dem Gericht des Urteilsstaates ein Rechtsanwalt erscheint, den er nicht beauftragt hat, ist außerstande, sich zu verteidigen, d.h. auch, sich auf das Verfahren einzulassen; dies ist vom Gericht, bei dem die Anerkennung geltend gemacht wird, zu prüfen (EuGH NJW 1997, 1061 f). Hatte der Schuldner Rechtsanwalt N. nicht bevollmächtigt, kann die an diesen gerichtete Zustellung – unabhängig von ihrer Ordnungsmäßigkeit nach nationalem französischen Zivilprozeßrecht – nicht eine Anwendung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ausschließen.
Der Schuldner war auch nicht auf andere Weise in hinreichend zuverlässigem Maße über das gegen ihn eingeleitete Verfahren unterrichtet. Seine Inanspruchnahme aus der Bürgschaft durch Schreiben der Gläubigerin vom 25. Juni 1992 bezog sich noch nicht auf ein erst später eingeleitetes Gerichtsverfahren. Zwar hatte der Verfahrensbevollmächtigte der Gläubigerin, Rechtsanwalt R., durch Schreiben vom 24. Juli 1992 von sich aus den Schuldner auf einen Verhandlungstermin am 11. August 1992 vor dem Landgericht Straßburg hingewiesen. Dieses Schreiben enthält aber keine näheren Angaben über die Art des Verfahrens oder Höhe sowie Begründung der Klageforderung. Es genügt für sich weder den Anforderungen des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ noch ermöglichte es dem Schuldner, sich über die Einlassung auf ein bestimmtes Verfahren zu entscheiden. Im übrigen ist der hier anzuerkennende Beschluß aufgrund einer Verhandlung am 8. Oktober 1992 ergangen, ohne daß ein Zusammenhang mit dem zuvor angegebenen Termin erkennbar wäre.
Der Umstand allein, daß der Schuldner gegen den Beschluß vom 19. November 1992 in Frankreich möglicherweise ein Rechtsmittel hätte einlegen können, dies aber unterlassen hat, hindert ihn nicht daran, die Verletzung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ im Anerkennungsverfahren zu rügen (vgl. EuGH JZ 1993, 357; Senatsbeschl. v. 18. Februar 1993 - IX ZB 87/90, NJW 1993, 2688, 2689).
3. Nach der Behauptung der Gläubigerin dagegen hatte der Schuldner unmittelbar oder über seine Schwester den Rechtsanwalt N. mit der Prozeßvertretung beauftragt. Trifft das zu, so hätte der Schuldner sich auf das
Verfahren vor dem Landgericht Straßburg wirksam eingelassen. Folglich könnte Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht eingreifen. Das Oberlandesgericht wird die dazu angebotenen Beweise erheben müssen.
Unterschriften
Paulusch, Kirchhof, Fischer, Zugehör, Ganter
Fundstellen
Haufe-Index 539212 |
BGHZ, 395 |
DB 1999, 1060 |
NJW 1999, 2372 |
JR 1999, 371 |
KTS 1999, 242 |
Nachschlagewerk BGH |
IPRax 1999, 371 |
InVo 1999, 245 |
JZ 1999, 1117 |
MDR 1999, 757 |
RIW 1999, 457 |
RIW 1999, 536 |
Rpfleger 1999, 337 |
ZBB 1999, 97 |