Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 19.08.2019; Aktenzeichen 3335 Js 20475/18 1 Ks) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 19. August 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr” in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Rz. 2
Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte dem Geschädigten einen „Denkzettel verpassen” und beschloss daher, mit seinem Pkw von hinten den Geschädigten, der auf einem dunklen, nur punktuell erleuchteten Gehweg links neben der Fahrbahn „lief”, anzufahren und zu Fall zu bringen. Dazu fuhr der Angeklagte auf den Gehweg und näherte sich mit höherem Tempo „als die Laufgeschwindigkeit” dem Geschädigten. Als der Geschädigte den Lichtkegel bemerkte, sprang er hoch und fiel auf die Motorhaube des Pkw, wo er durch die unverminderte Fahrgeschwindigkeit auf die Höhe der Windschutzscheibe abgetrieben wurde und Halt suchte. Der Angeklagte – vom Sprung des Geschädigten auf die Motorhaube überrascht – gab nun Gas und lenkte den Pkw abrupt nach rechts, um den Geschädigten abzuschütteln. Dabei nahm der Angeklagte zumindest billigend in Kauf, dass sich der Geschädigte bei einem Sturz auf den Gehweg nicht unerheblich verletzen würde. Der Geschädigte stürzte auf den Gehweg, wo er in der unmittelbaren Nähe des Fahrzeugs, das der Angeklagte zum Stillstand abgebremst hatte, zum Liegen kam. Durch den Aufprall auf den Boden erlitt der Geschädigte eine Vielzahl von flächigen Schürfwunden im Gesicht, an beiden Händen und Knien sowie am Becken.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
1. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht näher ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Rz. 4
2. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Urteils. Die Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht.
Rz. 5
a) Weder den Feststellungen des angefochtenen Urteils noch den Ausführungen des Landgerichts zur Beweiswürdigung lässt sich entnehmen, dass in objektiver Hinsicht im Anfahren oder „Abschütteln” des Geschädigten von der Motorhaube des Fahrzeugs eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB lag.
Rz. 6
Zwar muss die Tathandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2004 – 4 StR 43/04, NStZ 2004, 618; Beschluss vom 23. Juli 2004 – 2 StR 101/04, NStZ 2005, 156, 157; BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 – 4 StR 575/09 Rn. 6). Maßgeblich ist demnach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 – 2 StR 38/13; Beschluss vom 24. November 2015 – 3 StR 444/15 Rn. 6).
Rz. 7
Diese Voraussetzungen ergeben die Urteilsgründe auch unter Heranziehung ihres Gesamtzusammenhangs nicht. Denn das Landgericht hat zu den näheren Umständen der Tathandlung keine Feststellungen getroffen. Zwar hat es im Rahmen der Beweiswürdigung die Einschätzung des medizinischen Sachverständigen mitgeteilt, wonach die Verursachung der Schürfwunden vereinbar sei „mit dem Abwurf von der Motorhaube eines fahrenden Pkw – was für sich genommen potentiell lebensgefährlich sei – auf betonierten rauen Untergrund” (UA S. 23). Damit ist jedoch nur eine bloße Möglichkeit einer lebensgefährlichen Behandlung angesprochen, die abstrakte Lebensgefährlichkeit aber im konkreten Fall nicht belegt. Ob sich der Sachverständige auch für den festgestellten Tathergang zu der potentiellen Lebensgefahr für das Tatopfer verhalten und ob sich das Landgericht diese Ausführungen zu eigen gemacht hat, erschließt sich nicht. Das Vorliegen einer abstrakt lebensgefährlichen Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB versteht sich hier nicht von selbst, da das Urteil keine Feststellungen zu der gefahrenen Geschwindigkeit des Angeklagten enthält. Die Tatsache, dass er das Fahrzeug nach dem Abwurf des Geschädigten sogleich zum Stillstand abbremste, könnte dafür sprechen, dass die Anfahr- und Abwurfgeschwindigkeit gering war.
Rz. 8
b) Hinzu kommt, dass der subjektive Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung nicht belegt ist.
Rz. 9
Für den Körperverletzungsvorsatz im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist neben dem zumindest bedingten Verletzungsvorsatz erforderlich, dass der Täter die Umstände erkennt, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers ergibt. Dabei muss der Täter sie nicht als solche bewerten (BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 15; BGH, Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14 Rn. 12), jedoch muss die Handlung nach seiner Vorstellung auf Lebensgefährdung „angelegt” sein (BGH, Beschluss vom 18. März 1992 – 2 StR 84/92, BGHR § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 6; Beschluss vom 8. Juli 2008 – 3 StR 190/08).
Rz. 10
Zu diesen Voraussetzungen verhält sich das Landgericht nicht. Aus den Feststellungen ist lediglich zu entnehmen, dass der Angeklagte den Geschädigten von der Motorhaube abzuschütteln beabsichtigte, und er zu diesem Zeitpunkt billigend in Kauf nahm, dass sich der Geschädigte dabei nicht unerheblich verletzen würde (UA S. 11). Damit ist jedoch nicht dargetan, dass der Angeklagte über eine einfache Körperverletzung hinaus eine potentielle Gefährdung des Lebens des Tatopfers erkannte und billigte. Angesichts der rudimentären Feststellungen zum Unfallhergang (etwa zur Aufprall-/Abwurfgeschwindigkeit) und angesichts der festgestellten eher geringen Verletzungsfolgen bedurfte es hier der näheren Erörterung zum Vorstellungsbild des Angeklagten.
Rz. 11
3. Der aufgezeigte Mangel zieht die Aufhebung der Verurteilung wegen des tateinheitlich begangenen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach sich (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 – 3 StR 231/11 Rn. 25; BGH, Beschluss vom 21. April 2015 – 4 StR 92/15 Rn. 12). Der Senat kann deshalb dahinstehen lassen, ob die subjektive Seite des § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i. V. m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a) StGB ausreichend belegt ist (vgl. zu den Anforderungen BGH, Beschluss vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329, 330; Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233; Beschluss vom 9. Februar 2010 – 4 StR 556/09).
Unterschriften
Sost-Scheible, Ri'n BGH Roggenbuck und RiBGH Cierniak sind urlaubsbedingt abwesend und daher gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible, Bender, Rommel
Fundstellen
Haufe-Index 13938057 |
NStZ 2020, 7 |
NStZ 2021, 107 |
NStZ-RR 2020, 6 |
StV 2021, 118 |