Leitsatz (amtlich)
Die Einwilligung zur Sprungrevision wirkt erst dann als Berufungsverzicht (§ 566 a Abs. 4 ZPO), wenn der Gegner tatsächlich Sprungrevision einlegt.
Normenkette
ZPO § 566a
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 20.12.1996; Aktenzeichen 24 U 70/96) |
LG Darmstadt |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 24. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. Dezember 1996 – 24 U 70/96 – aufgehoben.
Tatbestand
I.
Die Parteien – der Kläger ist der Vater des Beklagten – streiten über die gesellschaftsrechtliche Beteiligung des Klägers an einer in Familienbesitz befindlichen chemischen Fabrik. In einem vorangegangenen Schiedsgerichtsverfahren kam ein Vergleich zustande, in welchem der Kläger sich zur entgeltlichen Übertragung seines Geschäftsanteils auf seine beiden Söhne verpflichtete und diese sowie ihre Mutter als weitere Gegenleistung auf ihren Pflichtteil an seinem Nachlaß verzichteten. Da dieser Vergleich jedoch nicht vorläufig vollstreckbar war, wurde das Schiedsgerichtsverfahren fortgesetzt und ein Schiedsspruch erlassen, der dem vom Schiedsgericht für wirksam gehaltenen Vergleich entsprach.
Im vorliegenden Prozeß geht es um die vom Kläger beantragte, den Schiedsspruch betreffende Vollstreckbarerklärung. Das Landgericht hat dem Antrag des Klägers stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat der Kläger kein Rechtsmittel eingelegt, während der Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt hat. Das Berufungsgericht hat seine Berufung mit dem angefochtenen Beschluß als unzulässig verworfen, weil die Parteien allseitig auf das Rechtsmittel der Berufung zugunsten der Sprungrevision verzichtet hätten. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten, der meint, daß er mit der Einwilligung zur Sprungrevision noch nicht auf das Rechtsmittel der Berufung verzichtet habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§§ 567 Abs. 4, 519 b Abs. 2, 547 ZPO) und auch der Sache nach begründet. Von einem Verzicht des Beklagten auf das Rechtsmittel der Berufung, der seine Berufung unzulässig machen würde, kann nicht ausgegangen werden.
1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß § 566 a Abs. 4 ZPO, wonach die Einwilligung zur Sprungrevision des Gegners unabhängig vom Willen des Einwilligenden als Verzicht auf die eigene Berufung wirkt, hier nicht eingreift. Denn der Kläger hat keine Sprungrevision eingelegt. In der vom Berufungsgericht offengelassenen Frage, ob die Einwilligungserklärung unabhängig vom Verhalten des Gegners, der auch nach erteilter Einwilligung noch die Wahl zwischen Berufung und Sprungrevision oder gänzlichem Verzicht auf ein Rechtsmittel hat, als Berufungsverzicht des Einwilligenden wirkt, oder nur dann, falls der Gegner tatsächlich Sprungrevision einlegt, folgt der Senat der letzteren Ansicht (so Baumbach/Albers, ZPO 55. Aufl. § 566 a Rn. 7; Thomas/Putzo, ZPO 19. Aufl. § 566 a Rn. 7; Wieczorek/Rössler, ZPO, 2. Aufl. § 566 a Rn. B I c; zu demselben Ergebnis führt auch die Ansicht von Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl. § 566 a Rn. 7, 5, der zwar einerseits meint, daß der Gegner sich durch die Einwilligungserklärung der Berufung auch dann begibt, wenn die Gegenpartei keine Sprungrevision einlegt, andererseits aber dem Einwilligenden bis zur Einlegung der Sprungrevision ein Widerrufsrecht zugesteht; a.A. Alternativkommentar/Ankermann, ZPO § 566 a Rn. 5; MünchKomm ZPO-Walchshöfer, § 566 a Rn. 9). § 566 a Abs. 4 ZPO soll bei Teilunterliegen beider Parteien verhindern, daß die eine Partei Berufung und die andere Sprungrevision einlegt. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Prozeßaufspaltung, insbesondere wenn beide Rechtsmittel sich auf denselben Streitgegenstand beziehen, zu einer untragbaren Beeinträchtigung der Rechtssicherheit führen würde. Diese Gefahr besteht indessen nicht, wenn die zur Einlegung der Sprungrevision berechtigte Partei von ihrem Recht keinen Gebrauch macht, sei es, daß sie stattdessen Berufung einlegt oder von der Einlegung eines Rechtsmittels überhaupt absieht. Es gibt – gemessen am Gesetzeszweck – keinen vernünftigen Grund, in einem solchen Fall dem Einwilligenden (§ 566 a Abs. 2 ZPO) die Möglichkeit der Berufung zu versagen. Nichts anderes kann gelten, wenn, wie hier, die einwilligende Partei, die ihre Einwilligung bereits vor Erlaß des landgerichtlichen Urteils erteilt hat, in erster Instanz voll unterliegt, so daß der Gegner mangels Beschwer gar keine Möglichkeit hat, Sprungrevision einzulegen. Auch in einem solchen Fall kann die Einwilligungserklärung nicht gemäß § 566 a Abs. 4 ZPO als Verzicht auf die Berufung wirken.
2. Deshalb teilt der Senat im Ergebnis die Ansicht des Berufungsgerichts, daß ein Berufungsverzicht des Beklagten nur in Frage kommt, falls er über seine Einwilligung zur Sprungrevision hinaus einen Berufungsverzicht erklärt hat.
Eine Erklärung dieses Inhalts hat jedoch der Beklagte nicht abgegeben, wie der Senat hier selbst durch Auslegung feststellen kann.
Im vorliegenden Fall hatte nach der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 31. Januar 1996 der Vorsitzende mit Verfügung vom 15. Februar 1996 folgende Antrage an die Prozeßbevollmächtigten der Parteien gerichtet:
„Es wird im Hinblick auf die mit den beteiligten Prozeßbevollmächtigten geführten Erörterungen angefragt, ob bereits vor Erlaß des Urteils durch das erkennende Gericht die Zustimmung zur Sprungrevision (§ 566 a Abs. 2 ZPO) erteilt wird. Eine derartige Vereinbarung ist bereits vor Erlaß des landgerichtlichen Urteils möglich (vgl. Zöller/Gummer § 566 a Rn. 2 m.w.N.). Es wird um Mitteilung bis zum 4. März 1996 gebeten.”
Alle Prozeßbevollmächtigten teilten in der Folgezeit noch vor Urteilserlaß dem Landgericht mit, daß sie die Zustimmung zur Sprungrevision erteilten.
Der Auslegung des Berufungsgerichts, daß die Mitteilung des Beklagten nach ihrem objektiven Erklärungswert ein Berufungsverzicht gewesen sei, vermag der Senat nicht zu folgen. Dem Wortlaut nach bezogen sich sowohl die Antrage des Landgerichts als auch die Antworten der Parteien allein auf „die Zustimmung zur Sprungrevision (§ 566 a Abs. 2 ZPO)”. Für eine Auslegung dahin, daß die Parteien mehr erstrebten, als der Wortlaut ihrer Einwilligungserklärungen besagte, daß sie nämlich darüber hinaus auch für den Fall, daß der Gegner gar keine Sprungrevision einlegen würde, auf die Berufung verzichten wollten, müßten objektive Anhaltspunkte im Verhalten der Parteien vorhanden sein. Das Berufungsgericht hat einen ausreichenden Anhaltspunkt darin gesehen, daß in der Antrage des Landgerichts von einer „Vereinbarung” die Rede war. Einer Vereinbarung bedurfte aber jedenfalls nach der vom Kammervorsitzenden angeführten Kommentierung von Zöller/Gummer und nach eigener Ansicht des Berufungsgerichts auch die bloße Einwilligung zur Sprungrevision vor Urteilserlaß. Deshalb reicht es für die Annahme eines Berufungsverzichtes nicht aus, daß das Landgericht den Parteien eine Vereinbarung vorschlug. Die Anregung des Landgerichts – und dementsprechend die zustimmenden Antworten der Parteien – könnten allerdings dann als Vorschlag bzw. Annahme eines wechselseitigen Berufungsverzichts ausgelegt werden, wenn dies in den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gekommen wäre, auf die das Landgericht in seiner Antrage Bezug nahm. Auch davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Der Kläger hat dazu mit Schriftsatz vom 28. November 1996 vorgetragen:
„Im erstinstanzlichen Verfahren hatte der Vorsitzende der seinerzeit zuständigen 2. Kammer den Beteiligten bzw. deren Prozeßbevollmächtigten ausdrücklich angeraten, aus Kostengründen und zur Abkürzung der Verfahrenszeit gegenseitig die Zustimmung zur Sprungrevision schon vor Urteilsausspruch zu erteilen. Dementsprechend schlug er mit Schreiben vom 15. Februar 1996 den Parteien eine Vereinbarung über die Auslassung der Berufungsinstanz gemäß § 566 a Abs. 2 ZPO vor.”
Mit dem zweiten Satz hat der Kläger ersichtlich keine Äußerung des Vorsitzenden wiedergegeben, sondern eine eigene Auslegung der landgerichtlichen Antrage vorgenommen. Diese Auslegung wird jedoch durch die vorangegangene Darstellung des mündlichen Rates des Kammervorsitzenden nicht gedeckt, der zwar mit der wünschenswerten Kosten- und Zeitersparnis argumentiert, letztlich aber – genau wie in seiner Antrage vom 15. Februar 1996 – nur die Zustimmung zur Sprungrevision, nicht aber einen Berufungsverzicht, vorgeschlagen hat. Die Kosten- und Zeitersparnis wäre auch eingetreten, wenn die unterlegene Partei die Sprungrevision gewählt hätte, was sie aufgrund der Einwilligung des Klägers hätte tun können. An dieser Zielsetzung gemessen war also der gerichtliche Vorschlag auch dann sinnvoll, wenn er keinen Berufungsverzicht, sondern lediglich die Einwilligung zur Sprungrevision, die dem Begünstigten die Wahlfreiheit zwischen Berufung und Revision beließ, beinhaltete. Daß die Parteien sich noch weitergehend verpflichten, also nicht nur dem Gegner die zeit- und kostensparende Sprungrevision ermöglichen, sondern sich auch gleich selber zu dieser Verfahrensabkürzung verpflichten wollten, erscheint zwar möglich, läßt sich aber nach Ansicht des Senats den Parteierklärungen nicht mit der erforderlichen Klarheit entnehmen, weil keine greifbaren Umstände ersichtlich sind, die auf einen derartigen weitergehenden Verpflichtungswillen der Parteien hindeuten.
Unterschriften
Rinne, Werp, Streck, Schlick, Ambrosius
Fundstellen
Haufe-Index 1502420 |
NJW 1997, 2387 |
BGHR |
GRUR 1997, 684 |
Nachschlagewerk BGH |
AP, 0 |
MDR 1997, 776 |