Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 24.01.2014) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 24. Januar 2014 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit schwerer Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Allerdings wird die Annahme des Landgerichts, die durch den Angeklagten begangenen Körperverletzungen hätten – neben einer erheblichen dauernden Entstellung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB – auch zur Folge gehabt, dass die Geschädigte in eine Lähmung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 3 StGB verfallen ist, durch die Urteilsgründe nicht hinreichend belegt.
Rz. 3
Eine Lähmung im Sinne dieser Tatbestandsalternative des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist die erhebliche Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Bewegungsfähigkeit eines Körperteiles, wenn sie die Integrität des gesamten Körpers aufhebt (BGH, Beschluss vom 3. Mai 1988 – 1 StR 167/88, NJW 1988, 2622). Die Versteifung etwa des Handgelenks oder einzelner Finger genügt dagegen nicht (vgl. BGH aaO).
Rz. 4
Mit Blick auf die danach zu stellenden Anforderungen sind die Urteilgründe nicht eindeutig: Nach den Feststellungen kann die Geschädigte infolge eines – im Rahmen der Versorgung der durch den Angeklagten verursachten Körperverletzungen – erlittenen Schlaganfalles, „ihren linken Arm kaum bewegen”; dementsprechend hat das Landgericht im Rahmen der rechtlichen Würdigung ausgeführt, der Angeklagte habe (fahrlässig) verursacht, dass „ein Körperteil – hier der linke Arm – der Zeugin M. gelähmt sein wird”. Demgegenüber hat der Hausarzt der Geschädigten, der sachverständige Zeuge Dr. G. – wie sich aus der Beweiswürdigung ergibt –, in der Hauptverhandlung angegeben, die Geschädigte sei – nach einem Aufenthalt in der neurologischen Rehabilitation – „körperlich beeinträchtigt gewesen, insbesondere in der Feinmotorik der linken Hand”. Danach wird durch das Urteil nicht eindeutig belegt, dass bei der Geschädigten eine Lähmung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegt.
Rz. 5
Dieser Mangel gefährdet zwar den Bestand des Schuldspruches nicht, da die Verwirklichung der Tatbestandsalternative der dauernden Entstellung in erheblicher Weise gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB durch den Angeklagten rechtsfehlerfrei festgestellt ist. Indes kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben, da das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung – sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung – zu Lasten des Angeklagten ausdrücklich berücksichtigt hat, dass die schwere Körperverletzung „in zwei Alternativen verwirklicht wurde”. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Fehlen einer Lähmung im Rechtssinne den Angeklagten milder bestraft hätte.
Rz. 6
Die Strafzumessung des Landgerichts gibt im Übrigen Anlass zu folgendem Hinweis:
Rz. 7
Sieht das Gesetz den Sonderstrafrahmen eines minder schweren Falles vor und ist – wie hier gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB – auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, so muss bei der Strafrahmenwahl zunächst geprüft werden, ob der Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung vorab auf die allgemeinen Strafzumessungsgründe abzustellen. Vermögen bereits diese die Annahme eines minder schweren Falles allein zu tragen, stehen die den gesetzlich vertypten Milderungsgrund verwirklichenden Umstände noch für eine (weitere) Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB zur Verfügung. Ist jedoch nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin die Anwendung des milderen Sonderstrafrahmens nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des vorliegenden gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrundes herabgesetzten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. April 2010 – 3 StR 106/10, juris Rn. 2).
Unterschriften
Becker, Hubert, Schäfer, Mayer, Gericke
Fundstellen