Leitsatz (amtlich)

Eine persönliche Anhörung des Betroffenen ist auch im Verfahren betreffend die Aufhebung einer Betreuung generell unverzichtbar, wenn sich das Gericht zur Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens entschließt und dieses Gutachten als Tatsachengrundlage für seine Entscheidung heranziehen will.

 

Normenkette

FamFG §§ 26, 294

 

Verfahrensgang

LG Aachen (Beschluss vom 06.10.2015; Aktenzeichen 3 T 276/15)

AG Aachen (Entscheidung vom 15.07.2015; Aktenzeichen 870 XVII 308/13 B)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Aachen vom 6.10.2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der 72-jährige Betroffene erstrebt die Aufhebung seiner Betreuung.

Rz. 2

Für ihn wurde im Juni 2013 nach Einholung eines Sachverständigengutachtens eine rechtliche Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge eingerichtet und insoweit ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Im Laufe des Jahres 2013 wurde die Betreuung um die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Wohnungs- und Mietangelegenheiten sowie Angelegenheiten betreffend Post und elektronischen Rechtsverkehr erweitert.

Rz. 3

Im September 2014 hat der Betroffene die Aufhebung der Betreuung beantragt. Auf die Mitteilung des AG, dass es ohne Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses keine Veranlassung zur Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens sehe, hat der Betroffene im April 2015 seinen Aufhebungsantrag wiederholt und ein ärztliches Attest vorgelegt, welches dem Betroffenen bescheinigte, dass "keinerlei Hinweise für eine ausreichende, eine gesetzliche Betreuung rechtfertigende Hirnleistungsschwäche" bestünden. Das AG hat hiernach den Arzt für Psychiatrie Dr. N. mit der Erstellung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beauftragt und nach der Vorlage dieses Gutachtens den Aufhebungsantrag des Betroffenen zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das LG zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

Rz. 5

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Betreuung nicht weggefallen seien. Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen Dr. N. bestehe bei dem Betroffenen eine anhaltende wahnhafte Störung; krankheitsbedingt zeige der Betroffene ein ausgeprägtes, seit Jahren bestehendes Wahnsystem. Zur Regelung seiner Angelegenheiten sei er nicht mehr in der Lage. In finanziellen Angelegenheiten neige der Betroffene bei stark eingeschränkter Einsichts- und Kritikfähigkeit dazu, hochspekulative Finanztransaktionen durchzuführen. Er könne krankheitsbedingt nicht das Risiko erkennen, zum Opfer betrügerischer Absichten zu werden, namentlich im Zusammenhang mit der Erbringung von Zahlungen für die angebliche Vermittlung von Millionenkrediten aus Afrika. Die Ablehnung der Betreuung sei infolge der Krankheits- und Behandlungsuneinsichtigkeit des Betroffenen als krankheitsbedingte Entscheidung zu werten, so dass die Betreuung auch gegen den Willen des Betroffenen anzuordnen sei. Auch die Voraussetzungen für die Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts seien erfüllt. Der Betroffene sei geschäftsunfähig. Ohne den Einwilligungsvorbehalt würde der Betroffene regelmäßig immer höhere Beträge für die Vermittlung eines millionenschweren Darlehens zahlen, welches ihm über eine Internetadresse in Aussicht gestellt worden sei. Im Umgang mit seinem Geld sei der Betroffene sehr leicht beeinflussbar, während seine Geschäftsunfähigkeit gleichzeitig für Geschäftspartner nicht unmittelbar erkennbar sei.

Rz. 6

2. Dies hält bereits den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Das LG hätte nicht über die Beschwerde entscheiden dürfen, ohne den Betroffenen vorher persönlich anzuhören.

Rz. 7

a) Gemäß § 294 Abs. 1 FamFG gelten für die Aufhebung einer Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehalts die §§ 279 Abs. 1, 3 und 4, 288 Abs. 2 Satz 1 FamFG entsprechend. Nicht erfasst von der Verweisung wird zwar § 278 Abs. 1 FamFG, der die persönliche Anhörung des Betroffenen vorschreibt. Dies ändert aber nichts daran, dass auch im Aufhebungsverfahren die allgemeinen Verfahrensregeln, insb. die Grundsätze des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und der Amtsermittlung (§ 26 FamFG), zu beachten sind. Nach § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Nach den Maßstäben des § 26 FamFG bestimmt sich, ob im Einzelfall auch im Aufhebungsverfahren eine persönliche Anhörung des Betroffenen durchzuführen ist, um dem Gericht dadurch einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen (vgl. BGH v. 11.5.2016 - XII ZB 363/15, FamRZ 2016, 1350 Rz. 8; v. 2.2.2011 - XII ZB 467/10, FamRZ 2011, 556 Rz. 9 f. und 20).

Rz. 8

b) Da über Art und Umfang der Ermittlungen grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, obliegt dem Rechtsbeschwerdegericht insoweit lediglich eine Kontrolle auf Rechtsfehler, insb. die Prüfung, ob der Tatrichter die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat und die rechtliche Würdigung auf einer ausreichenden Sachverhaltsaufklärung beruht (BGH, Beschl. v. 11.5.2016 - XII ZB 363/15, FamRZ 2016, 1350 Rz. 9). Im Einzelfall mag es dabei rechtlich unbedenklich sein, von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen im Aufhebungsverfahren abzusehen, wenn sich sein Begehren nach Aufhebung der Betreuung von vornherein als eine offenkundig aussichtslose oder querulatorisch erscheinende Eingabe darstellt (vgl. OLG Zweibrücken BtPrax 1998, 150; OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 449, 450). Eine Anhörung des Betroffenen ist demgegenüber auch im Aufhebungsverfahren generell unverzichtbar, wenn sich das Gericht zur Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens entschließt und dieses Gutachten als Tatsachengrundlage für seine Entscheidung heranziehen will (vgl. BGH v. 2.12.2015 - XII ZB 227/12, FamRZ 2016, 300 Rz. 9; v. 2.9.2015 - XII ZB 138/15, FamRZ 2015, 1959 Rz. 13 zur erneuten Anhörung des Betroffenen bei Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens im Beschwerdeverfahren). Mit Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass erst die persönliche Anhörung des Betroffenen und der dadurch von ihm gewonnene Eindruck das Gericht in die Lage versetzen, seine Kontrollfunktion gegenüber dem Sachverständigen sachgerecht auszuüben.

Rz. 9

c) Gemessen daran konnte auf eine Anhörung des Betroffenen im vorliegenden Fall nicht verzichtet werden. Denn obwohl das AG wie auch das Beschwerdegericht ihre Entscheidungen maßgeblich auf das im Aufhebungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. N. vom 26.5.2015 gestützt haben, ist der Betroffene weder im ersten noch im zweiten Rechtszug durch das Gericht persönlich angehört worden.

Rz. 10

3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Die Zurückverweisung gibt dem Beschwerdegericht zugleich Gelegenheit, die Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen zu prüfen (vgl. BGH v. 29.6.2011 - XII ZB 19/11, FamRZ 2011, 1577 Rz. 8 f.) und ergänzende Feststellungen zur Fortdauer der materiellen Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung in den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge sowie Wohnungsangelegenheiten zu treffen.

Rz. 11

4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gem. § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 9739089

NJW 2016, 3787

NJW 2016, 8

FamRZ 2016, 1922

FuR 2016, 3

FuR 2016, 707

NJW-RR 2016, 1410

FGPrax 2016, 228

ZAP 2016, 1278

BtPrax 2016, 233

JZ 2016, 722

MDR 2016, 1280

NZFam 2017, 23

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