Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 24.07.1996) |
AG München (Urteil vom 29.04.1996) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. Juli 1996 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und seine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 29. April 1996 als unzulässig verworfen worden ist.
Dem Beklagten wird wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
Beschwerdewert: 6.897 DM.
Tatbestand
I.
Durch Urteil vom 29. April 1996 hat das Amtsgericht München festgestellt, daß der Beklagte der Vater des Klägers ist. Außerdem hat es den Beklagten verurteilt, an den Kläger den jeweiligen Regelunterhalt zu zahlen. Dieses Urteil wurde dem Beklagten zu Händen seines Prozeßbevollmächtigten am 15. Mai 1996 zugestellt. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 5. Juni 1996 Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift, der eine Kopie des angefochtenen Urteils beigefügt war, ist adressiert an das Landgericht München I. Laut Eingangsstempel ist sie bei der gemeinsamen Posteingangsstelle der Justizbehörden in München am 6. Juni 1996 eingegangen. Mit Verfügung vom 19. Juni 1996 hat das Amtsgericht München die Sache an das Oberlandesgericht München weitergeleitet. Der Weiterleitungsverfügung ist ein Vermerk beigefügt, aus dem sich ergibt, daß die Akten dem zuständigen Amtsrichter schon einige Tage vorher vorgelegt worden waren, daß er aber wegen besonders starken Aktenumlaufs nicht dazu gekommen war, davon Kenntnis zu nehmen, daß die Akten eine Berufungsschrift enthielten. Laut Eingangsstempel sind die Akten am 20. Juni 1996 beim Oberlandesgericht München eingegangen.
Wann und auf welche Weise die Berufungsschrift zum Amtsgericht München gelangt ist, ist den Akten nicht zu entnehmen. Sie enthalten für die fragliche Zeit keinen weiteren Eingangsvermerk und keine weitere Weiterleitungsverfügung.
Auf einen ihm am 2. Juli 1996 zugegangenen Hinweis des Berufungsgerichts hin, die Berufungsschrift sei beim Oberlandesgericht verspätet eingegangen, hat der Beklagte mit einem am 5. Juli 1996 eingegangenen Schriftsatz wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Durch den angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht diesen Antrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Verspätung sei nicht unverschuldet. Sie beruhe nämlich darauf, daß der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten die Berufungsschrift an das falsche Gericht adressiert habe. Dieses Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten müsse sich der Beklagte nach § 85 ZPO zurechnen lassen. Daß beim Amtsgericht eine gewisse Verzögerung bei der Weiterleitung an das zuständige Oberlandesgericht eingetreten sei, ändere daran nichts.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten.
Entscheidungsgründe
II.
Die sofortige Beschwerde ist nach § 519 b Abs. 2 ZPO statthaft und auch sonst zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg. Dem Beklagten ist wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Damit ist die Entscheidung über die Verwerfung der Berufung gegenstandslos.
Die Berufungsschrift ist verspätet eingegangen, weil sie nicht an das richtige Gericht adressiert war. Zuständig für die Entscheidung über eine Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts in einer Kindschaftssache ist das Oberlandesgericht, nicht das Landgericht (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG).
Eine Verzögerung des Eingangs einer Rechtsmittelschrift, die auf eine falsche Adressierung zurückzuführen ist, hat die Partei zwar grundsätzlich zu vertreten (vgl. z.B. Senatsbeschluß vom 6. Mai 1992 – XII ZB 39/92 – VersR 1993, 79; BGH, Beschluß vom 12. Oktober 1995 – VII ZB 14/95 – NJW 1996, 393). Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – auch in Anlehnung an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, NJW 1995, 3173, 3175 unter C II 2 b) – ist in solchen Fällen dennoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn bestimmte Fehler bei der Weiterleitung des beim falschen Gericht eingegangenen Schriftsatzes an das Rechtsmittelgericht verhindert haben, daß die Rechtsmittelschrift rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen ist. Das gilt in erster Linie, wenn das Rechtsmittel bei dem Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, so rechtzeitig eingegangen ist, daß die rechtzeitige Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden konnte (BGH, Beschluß vom 14. Februar 1996 – IV ZB 32/95 – BGHR ZPO § 233 Rechtsmitteleinlegung 8). Es gilt aber auch dann, wenn eine rechtzeitig erfolgte gerichtliche Verfügung zur Weiterleitung nicht ordnungsgemäß ausgeführt wird und die Rechtsmittelschrift nur deshalb verspätet zum Rechtsmittelgericht gelangt (Senatsbeschluß vom 23. März 1988 – IV b ZB 96/87 – BGHR ZPO § 233 Rechtsmitteleinlegung 1; BGH, Beschluß vom 14. Februar 1996 aaO).
Es kann dahingestellt bleiben, ob im vorliegenden Fall die an das Amtsgericht gelangte Rechtsmittelschrift im ordentlichen Geschäftsgang so rechtzeitig hätte weitergeleitet werden können und müssen, daß sie vor Ablauf der Berufungsfrist am 17. Juni 1996 (einem Montag) beim Oberlandesgericht eingegangen wäre, und ob schon aus diesem Grunde dem Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden muß, obwohl die Berufungsschrift nicht an das Amtsgericht adressiert war. Wiedereinsetzung muß schon deshalb bewilligt werden, weil es nach dem Eingang der Rechtsmittelschrift bei der gemeinsamen Posteingangsstelle der Justizbehörden zu einem Weiterleitungsfehler gekommen ist, aus dem dem Beklagten keine Nachteile erwachsen dürfen. Obwohl die Rechtsmittelschrift unmißverständlich an das Landgericht München I adressiert war, ist sie nach dem Eingang bei der Posteingangsstelle an das Amtsgericht München weitergeleitet worden, dessen Aktenzeichen in der Berufungsschrift angegeben war. Das läßt den Schluß zu, daß nach dem Eingang bei der Posteingangsstelle und vor der Weiterleitung an das Amtsgericht bemerkt worden ist, daß das als Rechtsmittelgericht angegebene Landgericht München I nicht zuständig war. Wer dies bemerkt hat, ist den Akten nicht zu entnehmen. Es kann sein, daß die falsche Adressierung schon bei der Posteingangsstelle bemerkt worden ist. Es kann ebenso sein, daß der Schriftsatz entsprechend der in ihm angegebenen Adresse dem Landgericht München I zugeleitet worden ist und daß die Geschäftsstelle des Landgerichts bemerkt hat, daß das Landgericht zur Entscheidung über Berufungen in Kindschaftssachen nicht zuständig ist. In jedem Fall war es ein dem Beklagten nicht anzurechnender Fehler, daß der Schriftsatz dann – und zwar formlos – an das Amtsgericht weitergeleitet worden ist, obwohl es nicht als Adressat angegeben war und obwohl es offensichtlich für die Entscheidung über die Berufung gegen ein von ihm erlassenes Urteil nicht zuständig sein konnte. Wäre der Schriftsatz stattdessen an das zuständige Oberlandesgericht München weitergeleitet worden, wäre er dort aller Voraussicht nach rechtzeitig eingegangen. Die fehlerhafte Weiterleitung einer Rechtsmittelschrift ohne Weiterleitungsverfügung kann nicht zu Lasten des Rechtsmittelklägers anders behandelt werden als die nur zögerliche Ausführung einer korrekten Weiterleitungsverfügung.
Im übrigen ist den von dem Beklagten (irrtümlich) angerufenen Richtern der Berufungskammer des Landgerichts München I durch die fehlerhafte Versendung des Schriftsatzes an das Amtsgericht München jede Möglichkeit genommen worden, den Schriftsatz rechtzeitig dem zuständigen Oberlandesgericht München zuzuleiten.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Gerber, Sprick, Weber-Monecke
Fundstellen
Haufe-Index 1237766 |
FamRZ 1998, 285 |
NJW-RR 1998, 354 |
AP, 0 |
VersR 1998, 341 |