Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnungseigentumssache
Leitsatz (amtlich)
Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist nicht befugt, durch Mehrheitsbeschluß auf rückständige Beiträge zu den Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums unabhängig von Eintritt und Höhe eines Verzugsschadens pauschal 10 % Zinsen zu erheben, es sei denn, sie wäre dazu durch Teilungserklärung oder Vereinbarung ermächtigt.
Normenkette
WEG § 10 Abs. 1, § 21 Abs. 1, § 23 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 3 gegen den Beschluß der Zivilkammer 191 des Landgerichts Berlin vom 30. August 1989 wird auch in dem Umfang zurückgewiesen, in dem die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt worden ist.
Von den Gerichtskosten des Verfahrens über die weitere Beschwerde tragen 24,2 % die Beteiligte zu 1 und 75,8 % der Beteiligte zu 3. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Geschäftswert für den noch rechtshängigen Teil der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 10.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die Wohnungseigentümergemeinschaft beschloß am 10. Juli 1986 mit Mehrheit u. a., daß später als am dritten Werktag des auf den Beschluß folgenden Monats eingehende Abrechnungsrückstände und Sonderumlagen von säumigen Wohnungseigentümern ohne Nachweis eines Schadens und später als am dritten Werktag jeden Monats eingehende Zahlungen auf das laufende Wohngeld ohne Nachweis eines konkreten Schadens mit 10 % jährlich zu Händen der Gemeinschaft zu verzinsen seien. Dagegen hat die Beteiligte zu 1 Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit der Begründung gestellt, daß in der Verpflichtung, pauschal 10 % Fälligkeitszinsen auf rückständige Kosten- und Lastenbeiträge zu entrichten, die unzulässige Einführung einer Gemeinschaftsstrafe liege.
Das Amtsgericht hat den Anfechtungsantrag zurückgewiesen. Das Landgericht hat auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin den Gemeinschaftsbeschluß u. a. insoweit für ungültig erklärt, als er die Einführung der Zinspflicht betrifft. Dazu hat das Landgericht ausgeführt, die Wohnungseigentümergemeinschaft könne Ansprüche gegen einzelne Wohnungseigentümer auf pauschalierte Verzugszinsen nicht durch Mehrheitsbeschluß begründen, weil derartige Zahlungspflichten über die gesetzlichen Beiträge gemäß § 16 Abs. 2 WEG hinausgingen.
Dem möchte das Kammergericht, welches über andere Streitpunkte durch Teilbeschluß entschieden hat, beitreten und insoweit die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 3 zurückweisen. Daran sieht es sich durch die Beschlüsse des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 3. März 1988 – BReg 2 Z 104/87 = BayObLGZ 1988, 54 ff und vom 16. Mai 1986 – 2 Z 68/85 = ZMR 1986, 297 f = WE 1987, 46 gehindert und hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Vorlage ist gemäß §§ 43 ff WEG i.V.m. § 28 Abs. 2 FGG statthaft.
Hier geht es um die Rechtsfrage, ob eine Wohnungseigentümergemeinschaft mit Mehrheit die abstrakte Verpflichtung der Wohnungseigentümer beschließen kann, säumige Beiträge zu den Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 16 Abs. 2, § 28 Abs. 5 WEG) mit 10 % zu verzinsen. Das vorlegende Kammergericht will das verneinen. Damit würde es zumindest von dem angeführten Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 3. März 1988 abweichen. Denn dieser beruht auf der Ansicht, daß eine von der Wohnungseigentümerversammlung beschlossene abstrakte Verzinsung von Verbindlichkeiten gegenüber der Gemeinschaft in Höhe von 15 % jährlich nur die gesetzliche Verpflichtung des säumigen Schuldners zum Schadensersatz aus § 288 Abs. 2, § 286 Abs. 1 BGB pauschaliere und deshalb rechtlich nicht zu beanstanden sei.
III.
Die sofortige weitere Beschwerde ist nach § 45 Abs. 1 WEG, § 22 Abs. 1, §§ 27, 29 FGG zulässig. Sie ist in dem noch rechtshängigen Umfang jedoch unbegründet.
Die angefochtene Regelung überschreitet die gesetzliche Zuständigkeit der Wohnungseigentümerversammlung. Der Mehrheitsbeschluß verletzt § 10 Abs. 1 Satz 2, § 23 Abs. 1 WEG und ist daher vom Beschwerdegericht zu Recht nach § 23 Abs. 4, § 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG für ungültig erklärt worden.
1. In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob die Einführung einer Verzinsungspflicht für Wohngeld- und Abrechnungsschulden, welche die gesetzlichen Verzugsfolgen erweitert, nur durch oder aufgrund Teilungserklärung oder Vereinbarung zulässig ist oder aber ob dafür stets ein Mehrheitsbeschluß der Wohnungseigentümerversammlung genügt. Einen Mehrheitsbeschluß halten für ausreichend: BayObLGZ 1988, 54; Erman/Ganten, BGB, 8. Aufl., Anh. § 10 WEG Rdn. 21; Palandt/Bassenge, BGB, 50. Aufl., § 16 WEG Rdn. 13; Deckert, Die Eigentumswohnung, Gruppe 5, S. 62 p; Müller, Praktische Fragen des Wohnungseigentums, 1986, Rdn. 720; von Rechenberg, WEZ 1987, 227; Sauren, DWE 1991, 57; anders hingegen: OlG Celle, DWE 1984, 90 = ZMR 1985, 103; AG Hamburg, DWE 1989, 76; Weitnauer, WEG, 7. Aufl., § 10 Rdn. 14 b, § 16 Rdn. 24; Bärmann/Pick/Merle, WEG 6. Aufl. § 23 Rdn. 26; Bub, Wohnungseigentum von A-Z, 5. Aufl., S. 423; Henkes/Niedenführ/Schulze, WEG § 10 Rdn. 25 und so auch der Vorlagebeschluß (DWE 1991, 29).
Der Senat folgt im Ergebnis der Auffassung des vorlegenden Gerichts. Dieses stützt sich auf § 16 Abs. 2 WEG. Ob diese nur die Verteilung der gemeinschaftlichen Lasten und Kosten regelnde Vorschrift einer Erhebung schadensunabhängiger Zinsen auf rückständige Beiträge entgegensteht, ist fraglich (vgl. dazu Sauren, aaO), kann aber offenbleiben. Von Bedeutung ist auch nicht, ob die hier beschlossene Verpflichtung Verzugs- oder Fälligkeitszinsen betrifft, ob es sich – wie bei der Gemeinschaftsstrafe entsprechend §§ 341, 340 Abs. 2 BGB – um einen gegenüber § 288 Abs. 1 BGB erweiterten Mindestschadensersatz oder um eine Pauschalierung der weitergehenden Schadensersatzpflicht aus § 288 Abs. 2, § 286 Abs. 1 BGB handelt mit der Folge, daß ein Anspruch der Wohnungseigentümer auf einen höheren konkreten Schaden nicht mehr in Betracht käme. Die vom Bayerischen Obersten Landesgericht (aaO) zwischen Strafzins und Pauschalierungszins vorgenommene Differenzierung kann nicht Maßstab für die Beurteilung der Frage sein, ob nicht die eine, aber die andere Art der Verzinsung eine Regelung durch Mehrheitsbeschluß zuläßt.
2. Das Wohnungseigentumsgesetz unterscheidet zwischen Angelegenheiten, welche die Wohnungseigentümer durch Beschluß gemäß § 23 Abs. 1 und 3, bei einem Versammlungsbeschluß mit Stimmenmehrheit (§ 25 Abs. 1 WEG), regeln können, und solchen Angelegenheiten, über die nur durch allseitige Vereinbarung befunden werden darf (vgl. BGHZ 95, 137, 139). Eine Vereinbarung verlangt § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG für eine vom dispositiven Gesetzesrecht abweichende Regelung des Gemeinschaftsverhältnisses. Demgegenüber betreffen die gesetzlich vorgesehenen Beschlußangelegenheiten das der Gemeinschaftsgrundordnung nachrangige Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander, namentlich die Ausgestaltung des ordnungsmäßigen Gebrauchs und die ordnungsmäßige Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 15 Abs. 2, § 21 Abs. 1 und 3 WEG).
Aus der Beschlußzuständigkeit der Wohnungseigentümer in Verwaltungsangelegenheiten gemäß § 21 Abs. 1 und 3 WEG läßt sich die Befugnis zur Einführung einer Verzinsungspflicht für Wohngeld- und Abrechnungsschulden nicht herleiten. Zwar sind die zur Verwaltung gehörenden Angelegenheiten in § 21 Abs. 5 WEG und in den diesbezüglichen weiteren Vorschriften nicht abschließend festgelegt; doch hat die Gemeinschaft nicht die Kompetenz, den Kreis der Verwaltungstätigkeit durch Mehrheitsbeschluß nach Belieben auszudehnen. Es genügt nicht, daß eine Verzinsungspflicht auf Zahlungsrückstände geeignet ist. Liquiditätsschwierigkeiten der Gemeinschaft zu vermeiden und die Durchsetzung von Verwaltungsbeschlüssen im Blick auf § 28 Abs. 5 WEG zu erleichtern. Denn die Zuordnung einer Maßnahme zur ordnungsmäßigen Verwaltung läßt sich nicht unter dem Gesichtspunkt bloßer Zweckdienlichkeit vornehmen. Wäre das so, dann könnte auch die vom Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLGZ 1985, 345 ff) mit Recht nur im Wege einer Vereinbarung – oder durch die Teilungserklärung – als möglich angesehene Einführung eines Strafzinses für säumige Beitragsschuldner der Entscheidung durch Mehrheitsbeschluß überlassen werden. Vielmehr kommt es nicht nur auf den mit der Beschlußfassung verfolgten Zweck, sondern auch darauf an, ob die beschlossene Maßnahme einen Inhalt hat, der mit der Grundordnung des Gemeinschaftsverhältnisses vereinbar ist, oder ob er den danach zulässigen Rahmen der Verwaltung sprengt.
Das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer bestimmt sich nicht ausschließlich nach den Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes und nach den gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 WEG ergänzend anwendbaren Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Bruchteilsgemeinschaft, also den §§ 741 ff. §§ 1008 ff BGB. Nach der Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuchs werden nämlich diese besonderen Vorschriften in bezug auf das Gemeinschaftsverhältnis und auf die daraus hervorgehenden Ansprüche ihrerseits ergänzt durch die für Schuldverhältnisse allgemein geltenden Bestimmungen. Bei dieser rechtlichen Ausformung wird das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer jedoch immer geändert, wenn für Wohngeld- und Abrechnungsschulden eine nach Grund oder Höhe von den allgemeinen schuldrechtlichen Vorschriften abweichende Verzinsungspflicht begründet wird. Das gilt auch dann, wenn die hier beschlossene Zinspflicht von 10 % als bloße Pauschalierung eines über den gesetzlichen Mindestschaden von 4 % (§ 288 Abs. 1 Satz 1 BGB) hinausgehenden Verzugsschadens (§§ 288 Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB) der Gemeinschaft anzusehen sein sollte. Zwar wäre dadurch für den Beitragsschuldner, abstrakt betrachtet, keine völlig neue Zahlungspflicht geschaffen; jedoch würde eine solche, unabhängig von der Schadenshöhe im Einzelfall geltende Pauschalierung den gesetzlichen Schadensersatzanspruch umgestalten. Die Pauschalierung bewirkt nicht nur eine Umkehr der Beweislast, was allein schon bedenklich wäre; es werden auch Voraussetzungen und Folgen der Ansprüche aus den §§ 284, 286, 291 BGB im Gemeinschaftsverhältnis geändert, indem an die Stelle begrenzter Verzinsungs- und unbegrenzter Schadensersatzpflicht die Pauschalleistung ohne Rücksicht auf Entstehung und Höhe eines Schadens tritt.
Soweit das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLGZ 1988, 54, 59) auf Schwierigkeiten hinweist, die sich aus den Anforderungen des – früher für Wohnungseigentumssachen zuständigen – VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes (ZMR 1985, 103 = NJW 1985, 913, 914) an den Nachweis eines Verzugsschadens der Gemeinschaft bei Beitragsrückständen ergeben könnten, ist das allein eine Frage der Anwendung des § 286 BGB. Darauf braucht deshalb hier nicht eingegangen zu werden.
Zu entscheiden ist auch nicht darüber, ob der mit Mehrheit getroffene Beschluß der Wohnungseigentümer nichtig ist. Er ist jedenfalls nicht rechtmäßig, da er § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG verletzt. Diese Vorschrift und der daran anknüpfende § 10 Abs. 2 WEG betreffen dem Wortlaut nach zwar nur Abweichungen von Bestimmungen des Wohnungseigentumsgesetzes und von den ergänzend eingreifenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Gemeinschaft; Sinn und Zweck des § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG erfordern jedoch dessen entsprechende Anwendung, wenn das Gemeinschaftsverhältnis in einem Bereich geändert werden soll, der durch die allgemein für Schuldverhältnisse maßgebenden gesetzlichen Vorschriften bestimmt wird, wie das hier der Fall ist.
Demgemäß ist eine vom konkreten Verzugsschaden unabhängige Erhebung von mehr als 4 % Zinsen auf rückständige Beiträge durch Mehrheitsbeschluß nicht möglich, es sei denn, dieser wäre aufgrund einer Ermächtigung durch Vereinbarung oder Teilungserklärung gedeckt. Das ist weder festgestellt noch dargetan. Einer Aufrechterhaltung des Beschlusses bis zur Höhe von 4 % bedarf es nicht, weil ihm insoweit in Anbetracht der gesetzlichen Regelung (§ 288 Abs. 1 Satz 1 BGB) nur deklaratorische Bedeutung zukommt. Davon zu unterscheiden ist die sich hier nicht stellende Frage, ob im Umfang von 4 % Zinsen ein Schadensersatzanspruch gegen einen säumigen Beitragsschuldner gerichtlich geltend gemacht werden soll. Dazu wäre ein Mehrheitsbeschluß der Gemeinschaft ausreichend, aber auch erforderlich (vgl. Senatsbeschl. BGHZ 106, 222 ff; 111, 148 ff).
3. Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus § 47 Satz 1 WEG und dem insoweit auch billigem Ermessen entsprechenden Gedanken des § 97 Abs. 1 ZPO. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten hat der Senat nach § 47 Satz 2 WEG nicht angeordnet, weil sie bei den hier wechselseitig eingelegten und erfolglosen Rechtsmitteln nicht als Gebot der Billigkeit erscheint.
Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 2 WEG. Dabei ist von einem wegen der beschlossenen Sonderumlagen erhöhten geschätzten mittleren Jahresbetrag der Verbindlichkeiten auszugehen, die der beschlossenen abstrakten Zinspflicht unterliegen sollten.
Unterschriften
Hagen, Linden, Vogt, Räfle, Tropf
Fundstellen
Haufe-Index 512660 |
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