Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 22.04.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 22. April 2002 im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes, Raubes und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Die Formalrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). In sachlich-rechtlicher Hinsicht hat das Rechtsmittel hinsichtlich des Ausspruchs über die Gesamtstrafe Erfolg. Im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen beging der Angeklagte die ihm in dem anhängigen Verfahren zur Last gelegten Taten am 14. und 21. September 2001. Danach, am 26. September 2001, verurteilte ihn das Amtsgericht Magdeburg wegen Diebstahls in neun Fällen (Tatzeiten: 6. März 2001 bis 20. März 2001 und 20. April 2001 bis 10. August 2001) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil wurde am selben Tag rechtskräftig. Außerdem hatte ihn das Amtsgericht Magdeburg bereits am 10. April 2001 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet. Dieser Verurteilung lagen neun Straftaten zugrunde, die der Angeklagte zwischen Juli 1997 und September 2000 begangen hatte. Das Urteil vom 10. April 2001 wurde nach Rücknahme der vom Angeklagten eingelegten Berufung erst am 24. Januar 2002 rechtskräftig. Bislang wurden die den beiden Vorverurteilungen durch das Amtsgericht Magdeburg zugrundeliegenden Einzelstrafen nicht im Wege des Beschlußverfahrens nach § 460 StPO nachträglich auf (neue) Gesamtstrafen zurückgeführt.
Das Landgericht hat die Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe nach § 55 StGB aus den im anhängigen Verfahren verhängten Einzelstrafen und den Einzelstrafen aus dem zweiten Urteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 26. September 2001 unter Berufung auf die Entscheidung in BGHSt 32, 190 ff. mit der Begründung abgelehnt, der Angeklagte habe die ihm im vorliegenden Verfahren zur Last gelegten Taten zwischen den beiden rechtskräftigen Vorverurteilungen begangen, die wegen der Zäsurwirkung des ersten Urteils vom 10. April 2001 ihrerseits gemäß § 460 StPO auf eine Gesamtfreiheitsstrafe zurückzuführen seien.
2. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
Die Strafkammer beruft sich zur Begründung ihrer Rechtsauffassung zu Unrecht auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHSt 32, 190 ff.. Danach ist die Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB dann ausgeschlossen, wenn der Richter, der früher entschieden hat, eine Strafe, die in einer noch früheren Verurteilung ausgesprochen worden ist, in eine Gesamtstrafenbildung hätte einbeziehen können. In diesem Fall geht von der ersten Vorverurteilung eine Zäsurwirkung aus, die zur Folge hat, daß die Strafe aus der späteren Vorverurteilung und die Strafe, die im anhängigen Verfahren für eine Tat ausgesprochen wird, die zwischen den Vorverurteilungen begangen worden ist, nicht mehr Gegenstand einer Gesamtstrafenbildung sein kann. Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung im anhängigen Verfahren scheidet wegen der sog. Zäsurwirkung des ersten Urteils (vgl. Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe 1987 Rdn. 233) mithin nur dann aus, wenn die Taten aus der zweiten Verurteilung zeitlich vor der ersten Verurteilung begangen worden sind. Dies ist vorliegend jedoch nur zum Teil der Fall. Die im zweiten Urteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 26. September 2001 ausgeurteilten Taten liegen nämlich zeitlich zum Teil nach der ersten Vorverurteilung vom 10. April 2001. Die für diese Taten verhängten Einzelstrafen werden deshalb von der Zäsurwirkung des ersten Urteils nicht erfaßt und können noch Gegenstand einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung im anhängigen Verfahren sein.
Dies hat zur Folge, daß die Einzelstrafen aus dem Urteil vom 10. April 2001 und diejenigen Einzelstrafen aus dem Urteil vom 26. September 2001, die für Taten vor dem 10. April 2001 verhängt worden sind (Tatzeitraum vom 6. März 2001 bis zum 20. März 2001), auf eine Gesamtstrafe zurückgeführt werden können. Die übrigen Einzelstrafen aus dem Urteil vom 26. September 2001 (Taten aus der Zeit vom 20. April 2001 bis 10. August 2001) sind gesamtstrafenfähig mit den Strafen für die Taten im anhängigen Verfahren, da diese zeitlich vor dem zweiten Urteil des Amtsgerichts Magdeburg begangen worden sind. Im vorliegenden Fall sind deshalb zwei Gesamtstrafen zu bilden.
Die Bildung dieser Gesamtstrafen hätte die Strafkammer vornehmen müssen. Sie war verpflichtet, die im anhängigen Verfahren ausgesprochenen Einzelstrafen und diejenigen Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 26. September 2001, die Taten nach dem 10. April 2001 betreffen, unter Auflösung der im Urteil vom 26. September 2001 gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe und unter Berücksichtigung der Zäsurwirkung des ersten Urteils gemäß § 55 StGB auf (zwei) neue Gesamtstrafen zurückzuführen. Da insoweit die Voraussetzungen des § 55 StGB vorlagen, durfte das Landgericht diese Entscheidung nicht dem Beschlußverfahren nach § 460 StPO überlassen (st. Rspr., vgl. BGHSt 12, 1, 6; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 2 und 3). Nach dem Grundgedanken des § 55 StGB, daß der Verurteilte so gestellt werden soll, wie er bei gleichzeitiger Aburteilung aller vor dem zweiten Urteil begangenen Taten stünde (st. Rspr., BGHSt 7, 180; 181; 15, 66, 69; 32, 190, 193), aber auch aus verfahrensökonomischen Gründen zur Ersparung einer weiteren Gesamtstrafenbildung im Verfahren nach § 460 StPO ist es geboten, diese Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung auch auf die (noch nicht erledigten) Strafen aus dem ersten Urteil des Amtsgerichts Magdeburg zu erstrecken. Andernfalls ergäbe sich eine Entscheidung, die der materiellen Rechtslage nicht entspräche und die im Wege eines späteren Beschlußverfahrens nach § 460 StPO wieder korrigiert werden müßte. Dies erschiene nicht zuletzt angesichts der gegenüber dem Beschlußverfahren nach § 460 StPO weitergehenden Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen einer Hauptverhandlung nicht sachgerecht (vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Einbeziehung 3).
3. Da die Einzelstrafen aus den beiden Urteilen des Amtsgerichts Magdeburg und dem anhängigen Verfahren auf zwei statt, wie bisher, auf drei Gesamtstrafen zurückzuführen sind, vermag der Senat nicht auszuschließen, daß der Angeklagte durch die Nichtbeachtung der Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung beschwert ist.
Einer Aufhebung der dem Gesamtstrafenausspruch zugrundeliegenden Feststellungen bedarf es nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen worden sind. Ergänzende Feststellungen, insbesondere zu den in den Vorverurteilungen verhängten Einzelstrafen, sind möglich.
4. Sollten zwischenzeitlich die beiden Vorverurteilungen des Amtsgerichts Magdeburg im Beschlußverfahren nach § 460 StPO auf zwei neue Gesamtstrafen zurückgeführt worden sein, wird der neue Tatrichter lediglich die Gesamtstrafe, die aus den Einzelstrafen des Urteils vom 26. September 2001 betreffend die Taten aus dem Tatzeitraum vom 20. April bis 10. August 2001 gebildet worden ist, aufzulösen und diese Einzelstrafen sowie die Einzelstrafen, die der Angeklagte im vorliegenden Verfahren verwirkt hat, auf eine neue Gesamtfreiheitsstrafe zurückzuführen haben. Bei der weiteren Gesamtstrafe, gebildet aus den Einzelstrafen des Urteils vom 10. April 2001 und den übrigen Einzelstrafen des Urteils vom 26. September 2001 hätte es dann zu verbleiben.
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2559948 |
NStZ 2003, 200 |