Tenor
Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15. September 2022 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Rz. 1
Beim Oberlandesgericht ist gegen die Angeklagte ein Verfahren anhängig wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen Eigentum oder sonstige Rechte (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 52 StGB, § 9 Abs. 1 VStGB). In tatsächlicher Hinsicht wirft ihr die vom Generalbundesanwalt am 5. August 2022 erhobene Anklage vor, sich von Deutschland aus nach Syrien begeben und dort 2014 dem IS angeschlossen, Alimentationen der Vereinigung empfangen sowie ein von dieser erobertes Haus bewohnt zu haben. Sie sei nacheinander mit drei IS-Kämpfern verheiratet gewesen und habe ihnen den Haushalt geführt. Ab dem Frühjahr 2019 habe sie erfolgreich aus dem kurdischen Lager H. ( ) im Rahmen des IS-Projekts "Justice for Sisters" über das Internet Spenden für die "Glaubensschwestern" eingeworben, später an der Seite eines vierten IS-Ehemanns von I. aus.
Rz. 2
Zum Pflichtverteidiger der seit dem 12. März 2022 inhaftierten Angeklagten hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit ihrem Einverständnis Rechtsanwalt S. aus R. bestimmt. Beim Oberlandesgericht hat sie die Beiordnung von Rechtsanwalt A. aus T. als weiteren Pflichtverteidiger beantragt.
Rz. 3
Der Vorsitzende des Staatsschutzsenats hat beiden Verteidigern für den Fall der Eröffnung des Verfahrens 16 Termine zwischen dem 8. November 2022 und dem 24. Januar 2023 - jeweils acht Montage und Dienstage - für eine mögliche Hauptverhandlung mitgeteilt. Zugleich hat er dargelegt, dass und warum eine Terminierung in dem genannten Zeitraum nur an diesen Tagen möglich sei. Die Verteidiger haben daraufhin sinngemäß erklärt, sie könnten die Termine alternierend wahrnehmen; während Rechtsanwalt S. regelmäßig montags verhindert sei, sei Rechtsanwalt A. jeweils dienstags anderweitig gebunden. Weitere Kommunikation zwischen den Beteiligten ist ohne neue Ergebnisse geblieben. Die Angeklagte hat in einem persönlichen Schreiben geltend gemacht, sie bestehe darauf, ausschließlich von diesen beiden Verteidigern vertreten zu werden, auch wenn dadurch das Verfahren verzögert werde.
Rz. 4
Am 12. September 2022 hat das Oberlandesgericht die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Sodann hat der Vorsitzende des Staatsschutzsenats die Sache für die bereits genannten Tage terminiert. Mit Beschluss vom 15. September 2022 hat er Rechtsanwalt S. entpflichtet und den Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt A. abgelehnt. Zugleich hat er der Angeklagten eine Frist gesetzt, binnen derer sie einen zeitlich verfügbaren Verteidiger ihres Vertrauens bezeichnen könne.
Rz. 5
Am 20. September 2022 hat die Angeklagte gegen den Beschluss sofortige Beschwerde erhoben. Der Vorsitzende habe nicht ernsthaft versucht, ihrem Anspruch auf Verteidigung durch die ihr vertrauten Rechtsanwälte Rechnung zu tragen, sondern aufgrund sachfremder Erwägungen Termine für die Hauptverhandlung diktiert und anderweitige Verfügbarkeiten der bisherigen Verteidiger ignoriert. Das Verfahren sei umfangreich und schwer, so dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfüllt seien. Ein neuer Verteidiger könne sich in der verbleibenden Zeit auch nicht in die Sache einarbeiten.
II.
Rz. 6
Das Rechtsmittel ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 142 Abs. 7 Satz 1, § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1, § 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1 und 2 StPO), hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Rz. 7
Der zur Entscheidung berufene Vorsitzende des mit der Sache befassten Senats des Oberlandesgerichts (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO) hat weder bei der Entpflichtung von Rechtsanwalt S. noch bei der Ablehnung der Beiordnung von Rechtsanwalt A. die Grenzen des Spielraums überschritten, der ihm bei der Beurteilung der tatbestandlichen Voraussetzungen der § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 144 Abs. 1 StPO zugestanden hat.
Rz. 8
1. Die Entpflichtung von Rechtsanwalt S. beruht auf § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 StPO. Nach dieser Vorschrift ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn "aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist".
Rz. 9
a) Diese Voraussetzung hat der Vorsitzende des Staatsschutzsenats für gegeben erachtet, weil der Rechtsanwalt an acht von 16 Hauptverhandlungstagen verhindert ist. Nach den insoweit maßgeblichen Grundsätzen (s. zu diesen BGH, Beschluss vom 25. August 2022 - StB 35/22, juris Rn. 4 ff. mwN) ist bei einer entsprechenden Entscheidung das Interesse des Angeklagten an der Beibehaltung des bisherigen, terminlich verhinderten Pflichtverteidigers gegenüber der insbesondere in Haftsachen gebotenen Verfahrensbeschleunigung abzuwägen. Diese Abwägung hat der Vorsitzende des Staatsschutzsenats dahin vorgenommen, dass er dem Beschleunigungsgebot den Vorrang eingeräumt hat. Seine Beurteilung bewegt sich in dem ihm zustehenden Spielraum und ist nicht zu beanstanden. Denn die seit März 2022 inhaftierte Angeklagte hat grundsätzlich Anspruch auf eine Hauptverhandlung im Wochenrhythmus (s. etwa BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640 Rn. 39 ff.; BGH, Beschluss vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217 f.; jeweils mwN). Die Durchführung von lediglich acht Terminen binnen elf Wochen würde diesem Erfordernis nicht gerecht. Selbst wenn die Angeklagte in bestimmten Grenzen über das Gebot der Verfahrensbeschleunigung disponieren könnte, wäre der Vorsitzende jedenfalls nicht verpflichtet, den Fortgang der Haftsache auf ihren Wunsch derart erheblich zu verzögern; ob er es dürfte und welche Konsequenzen sich hieraus für die Haftfrage ergäben, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. zum Ganzen OLG Koblenz, Beschluss vom 25. November 2014 - 2 Ws 614/14, juris Rn. 5; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 29. April 2021 - 2 Ws 36/21, StraFo 2021, 379, 380; PfOLG Zweibrücken, Beschluss vom 31. Mai 2021 - 1 Ws 132/21, juris Rn. 17; BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2008 - 2 BvR 1146/08, juris Rn. 10 ff.).
Rz. 10
b) Der Vorsitzende hat vor der Beschlussfassung ernsthaft versucht, dem Anspruch der Angeklagten, sich von dem ihr vertrauten Rechtsanwalt S. vertreten zu lassen, Rechnung zu tragen. Er hat sich hierzu mit dem Verteidiger in Verbindung gesetzt und diesen betreffende Terminsverfügungen von Kollegen für Hauptverhandlungen in anderen Strafverfahren beigezogen. Die vom Rechtsanwalt angebotenen Ausweichtermine hat er nicht realisieren können, weil der Durchführung der Hauptverhandlung an diesen Tagen eine Verhinderung des parallel mit mehreren anderen laufenden Verfahren befassten Staatsschutzsenats oder andere zwingende Gründe entgegengestanden haben. Hierzu hat der Vorsitzende nachvollziehbar ausgeführt.
Rz. 11
c) Es hat ihm kein gegenüber der Entpflichtung des Verteidigers milderes Mittel zur Verfügung gestanden (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 29. April 2021 - 2 Ws 36/21, StraFo 2021, 379, 380). Ein solches hat insbesondere nicht darin gelegen, einen zweiten Pflichtverteidiger beizuordnen. Denn die Beiordnung nach § 144 Abs. 1 StPO dient nicht der Entlastung des weitgehend verhinderten Pflichtverteidigers, zumal - von eng begrenzten Ausnahmen abgesehen - grundsätzlich jeder Pflichtverteidiger in der Hauptverhandlung durchgehend anwesend zu sein hat (BGH, Beschluss vom 25. August 2022 - StB 35/22, juris Rn. 9; OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. Dezember 2015 - 2 Ws 203/15, NStZ 2016, 436, 437).
Rz. 12
§ 144 Abs. 1 StPO hat vielmehr eigenständige, in den Umständen des Falles selbst liegende sachliche Voraussetzungen, die der Vorsitzende umfassend geprüft und verneint hat. Die Gründe hierfür hat er im angefochtenen Beschluss dargelegt. Er hat weder in dem Umfang des Verfahrensstoffs noch in der voraussichtlichen Dauer der Hauptverhandlung einen Anlass gesehen, der die Bestellung eines zweiten Verteidigers zum Zeitpunkt seiner Entscheidung erforderlich gemacht hat. Dabei hat er die zutreffenden Maßstäbe angelegt (s. zu diesen BGH, Beschlüsse vom 31. August 2020 - StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 12 ff.; vom 24. März 2022 - StB 5/22, StraFo 2022, 285 f.; jeweils mwN) und eine vertretbare Entscheidung getroffen, mithin die Grenzen seines Beurteilungsspielraums eingehalten. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist es nicht zu beanstanden, dass der Vorsitzende Umfang und Schwierigkeit im Rahmen des § 144 Abs. 1 StPO anders gewichtet hat als zuvor bei der besonderen Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO. Denn während es hier auf die zügige Durchführung des Hauptverfahrens ankommt, sind im Rahmen des § 121 Abs. 1 StPO Schwierigkeit und Umfang der Ermittlungen zu würdigen gewesen. Im Übrigen ist dem Beschwerdegericht eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle der Entscheidung des Vorsitzenden verwehrt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. August 2020 - StB 23/20, aaO Rn. 15; vom 13. April 2021 - StB 12/21, NStZ-RR 2021, 179).
Rz. 13
d) Der Vorsitzende des Staatsschutzsenats hat den Verfahrensanforderungen der § 143a Abs. 2, § 142 Abs. 5 und 6 StPO auch ansonsten entsprochen. Nachdem die Angeklagte die ihr gesetzte Frist zur Benennung eines zeitlich verfügbaren Verteidigers ihres Vertrauens hatte verstreichen lassen, hat er selbst einen aus seiner Sicht in Staatsschutzsachen erfahrenen und damit im Sinne des § 142 Abs. 6 Satz 2 StPO ohne Weiteres geeigneten Rechtsanwalt ausgewählt und zum Pflichtverteidiger bestellt.
Rz. 14
2. Dass der Vorsitzende des Staatsschutzsenats nicht dem Antrag der Angeklagten nachgekommen ist, Rechtsanwalt A. zum Pflichtverteidiger zu bestellen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Auch dieser Verteidiger kann nur acht der 16 Hauptverhandlungstage wahrnehmen, davon zwei Termine nicht einmal ganztägig. Seiner Bestellung steht mithin ein wichtiger Grund im Sinne des § 142 Abs. 5 Satz 3 StPO - die fehlende Verfügbarkeit - entgegen. Eine angemessene Verteidigung der Angeklagten wäre durch ihn ersichtlich nicht gewährleistet.
Rz. 15
Soweit sie mit der Beschwerde das Ziel der Beiordnung von Rechtsanwalt A. als zusätzlichen Pflichtverteidiger nach § 144 Abs. 1 StPO verfolgt, wird auf die obigen Ausführungen unter II.1.c) verwiesen.
Rz. 16
3. Nach alledem ist die sofortige Beschwerde der Angeklagten mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Berg Hohoff Erbguth
Fundstellen
Haufe-Index 15407265 |
NStZ-RR 2022, 380 |
NJW-Spezial 2022, 728 |