Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 20.07.2004) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Juli 2004 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesenen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Aufklärungsrüge Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt: Der Angeklagte befand sich im Januar 2003 auf Grund einer Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in der JVA Tegel. An sechs Tagen wurde ihm Ausgang zu seiner Familie gewährt. Der inzwischen rechtskräftig verurteilte Zeuge K bestellte am 4. Januar 2003 bei dem belgischen Rauschgifthändler H, zu dem auch der Angeklagte in Kontakt stand, 500 Gramm Heroin, das K von N, der Freundin des H …, in Berlin übergeben werden sollte. Dazu kam es aber nicht mehr, weil H. das Vertrauen zu K verloren hatte. N „brachte” die 500 Gramm Heroin an einem nicht genau feststellbaren Tag nach dem 5. Januar 2003 „in die Verfügungsgewalt” des Angeklagten. K erwarb anschließend von H ein Kilogramm Heroin von besonders schlechter Qualität. H bot K die Rücknahme des Rauschgifts an und forderte diesen auf, auch das dem Angeklagten gelieferte Heroin wegen minderer Qualität zu ihm zurückzubringen. Der Angeklagte beschrieb am 18. Januar 2003 K während eines Telefongesprächs den Ort, an dem er das Heroin versteckt hatte. K grub das Heroin aus. Er stellte fest, daß 40 Gramm fehlten, und brachte es H zurück.
Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten ausschließlich auf die als glaubhaft bewertete Aussage des tatbeteiligten Zeugen K, der die Übergabe des Heroins als Zeuge vom Hörensagen und das Ausgraben des Rauschgifts als Tatzeuge geschildert hat. Zwar seien wegen fehlender Präzision seiner Aussagen Mißverständnisse und scheinbare Widersprüche entstanden. Der Zeuge habe sich ferner nicht mehr an alle Daten und den genauen Ort der Ausgrabung erinnern können. Entgegen der Darstellung des Zeugen in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren, in dem eine direkte Übergabe des Rauschgifts an den Angeklagten festgestellt worden ist, seien die Drogen von N in die Verfügungsgewalt des Angeklagten gebracht worden, „etwa durch Übergabe an die Ehefrau”, und der Angeklagte habe sie erst bei einem kurze Zeit darauf folgenden Hafturlaub persönlich übernommen.
Der Angeklagte hat die Tat in Abrede gestellt und darauf hingewiesen, daß er sich in den Tagen nach dem 5. Januar 2003 in der Haftanstalt befunden habe und deshalb das Heroin nicht von N erhalten haben könne.
2. Die Revision macht zu Recht geltend, das Landgericht hätte sich in Erfüllung seiner Aufklärungspflicht dazu gedrängt sehen müssen, die Ehefrau des Angeklagten zu vernehmen, die ausgesagt hätte, daß sie keinerlei Drogen für den Angeklagten im fraglichen Tatzeitraum entgegengenommen hätte. Die Aufklärungspflicht ist auch verletzt, wenn bei verständiger Würdigung der Sachlage durch den abwägenden Richter die Verwendung einer Aufklärungsmöglichkeit den Schuldvorwurf möglicherweise in Frage gestellt hätte (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 2 Umfang 1). Dies ist hier der Fall. Für eine Überführung des Angeklagten ist vorliegend der Beweis der Inbesitznahme und der Rückgabe des Heroins erforderlich. Die vermißte Beweiserhebung hätte die Beweiswürdigung für die Inbesitznahme des Rauschgifts verändern können. Nachdem eine – dem Zusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmende – ursprünglich angenommene Heroinübergabe an den Angeklagten persönlich nicht mehr tragfähig zu begründen war, hat das Landgericht auf einen Erwerb des mittelbaren Besitzes des Angeklagten an dem Rauschgift mit Hilfe seiner Ehefrau – wenn auch durch die Formulierung „etwa” mit einer gewissen, aber keine Alternative darstellenden Einschränkung – abgestellt. Damit rückte die Ehefrau des Angeklagten in die Rolle einer neuen Tatzeugin. Ihre Aussage wäre geeignet gewesen, einen Teil des Schuldvorwurfs, die Inbesitznahme des Rauschgifts, zu widerlegen. Vor dem Hintergrund, daß dafür lediglich ein Zeuge vom Hörensagen zur Verfügung stand, dessen Aussage dem Landgericht nicht für einen Erwerb des unmittelbaren Besitzes am Rauschgift durch den Angeklagten ausreichte, war die Vernehmung dieser Zeugin geboten. Dies gilt bei der gegebenen Beweislage ungeachtet der engen Beziehung zwischen dem Angeklagten und der nicht gehörten Zeugin.
Auch soweit die Aussage der Ehefrau des Angeklagten lediglich zur kritischen Prüfung der übrigen belastenden Aussagen des Zeugen K. heranzuziehen gewesen wäre, hätte die Aufklärungspflicht ihre Vernehmung geboten. Nach den vom Landgericht dargestellten Einschränkungen der Qualität der Aussage des Belastungszeugen bestand keine so erdrückende Beweislage für eine Täterschaft des Angeklagten, daß die aufgrund der Beweise in der Hauptverhandlung gewonnene tatrichterliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten durch die vermißte Beweisaufnahme nicht insgesamt hätte in Frage gestellt werden können (vgl. BGHR aaO; BGH wistra 1999, 376). Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung.
3. Der Senat weist darauf hin, daß der vom Landgericht angenommene Teilverkauf von 40 Gramm Heroin durch den Angeklagten nicht belegt ist. Der Zeuge K konnte mangels eigener Kenntnis von dem genauen Gewicht der ursprünglichen Heroinlieferung eine so geringe Verkaufsmenge ersichtlich nicht zuverlässig feststellen und hat nichts darüber ausgesagt, wem Rauschgift verkauft wurde.
4. Der neue Tatrichter wird die Glaubhaftigkeit der Aussage des K. … näher zu prüfen haben. Für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung gerade bei Aussagen im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts ist es regelmäßig ein wesentlicher Gesichtspunkt, ob sich der Zeuge durch seine Aussage in dem gegen ihn selbst gerichteten Verfahren im Hinblick auf § 31 BtMG entlasten wollte; für diesen Fall besteht nämlich die nicht fernliegende Gefahr, daß der „Aufklärungsgehilfe”, der sich durch seine Aussage Vorteile verspricht, den Nichtgeständigen zu Unrecht belastet (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 245). Ist ein geständiger Mitbeschuldigter, auf dessen belastende Aussage die Überführung des Angeklagten entscheidend gestützt wird, bereits – wie hier – wegen seiner Beteiligung an derselben Betäubungsmittelstraftat verurteilt worden, muß die Beweiswürdigung deshalb erkennen lassen, ob sich der Betreffende eine Strafmilderung als „Aufklärungsgehilfe” verdient hat oder nicht und ob er sich möglicherweise darüber hinaus in bedenklicher Weise zu Lasten des nicht geständigen Angeklagten eingelassen haben kann (vgl. BGH StV 2004, 578, 579). Sollten sich in der Aussage des Belastungszeugen die bisher festgestellten Qualitätsmängel wiederholen, wird es einer ins einzelne gehenden Darstellung und Bewertung der die Mängel begründenden Umstände und einer Betrachtung der Entwicklung der verschiedenen Aussagen in einer lückenlosen Gesamtwürdigung bedürfen (vgl. BGH NJW 2003, 2250 m.w.N.). Soweit eine gewisse Bestätigung der Angaben des K in der Aussage der Zeugin W gefunden wurde, wäre auch eine nähere Darlegung ihrer Angaben und der Entwicklung ihrer Aussage geboten gewesen. Es wird auch nahe liegen, das von der Revision aus der bisherigen Einlassung des Angeklagten vorgetragene Telefongespräch des Angeklagten mit „H „ in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen.
Unterschriften
Harms, Basdorf, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2558413 |
StV 2005, 253 |