Entscheidungsstichwort (Thema)
sexueller Mißbrauch von Kindern
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 6. April 1998 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Stralsund zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in sieben Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit der Vornahme einer exhibitionistischen Handlung sowie der Vornahme einer exhibitionistischen Handlung in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt”. Ferner hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg. Im übrigen erweist sie sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler ergeben. Insofern sieht der Senat lediglich Anlaß zu der Bemerkung, daß das Landgericht den Angeklagten in den Fällen, in denen er sein Geschlechtsteil vor Kindern entblößt und vor diesen sexuelle Handlungen an sich vorgenommen hat, zu Recht des sexuellen Mißbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Nr. 1 StGB a.F. in Tateinheit mit exhibitionistischen Handlungen gemäß § 183 StGB a.F. schuldig gesprochen hat (vgl. BGH NJW 1953, 710 f.; Lenckner in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 183 Rdn. 15; Lackner/Kühl StGB 22. Aufl. § 183 Rdn. 11). Die abweichende Auffassung, die Tatbestände stünden – bei Vorrang des § 176 StGB – im Verhältnis der Gesetzeskonkurrenz (so Tröndle StGB 48. Aufl. § 183 Rdn. 13), wird dem Umstand nicht gerecht, daß § 176 StGB als Vorschrift zum Schutze der ungestörten geschlechtlichen Entwicklung Minderjähriger eine andere Schutzrichtung als § 183 StGB hat. Gegen sie spricht zudem, daß der besondere Unwert einer exhibitionistischen Belästigung (§ 183 StGB) in einer Verurteilung wegen § 176 StGB, der als Jugendschutztatbestand keinen tatbestandsmäßigen Erfolg in Form einer Belästigung voraussetzt, nicht hinreichend zum Ausdruck käme.
2. Dagegen hält der Rechtsfolgenausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kann nicht bestehen bleiben.
aa) Soweit exhibitionistische Handlungen nach 176 Abs. 5 Nr. 1 StGB oder § 183 StGB Anlaß geben, die Maßregel des § 63 StGB in Erwägung zu ziehen, ist nach der Rechtsprechung im Grundsatz von folgendem auszugehen: Die Feststellung solcher Taten, d.h. eines zumeist monoton, starr und gleichförmig verlaufenden und generell nicht in andere schädigende oder auch nur in gefährdende Handlungen einmündenden Delikts, rechtfertigt nicht ohne weiteres die Annahme der Erheblichkeit i.S. von § 63 StGB. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Wertung in § 183 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 183 Abs. 3 StGB. Das Gesetz nimmt unter den dort genannten Voraussetzungen die Gefahr der Wiederholung derartiger Taten ausdrücklich hin. Mit dieser Wertung wäre die Annahme unvereinbar, es handele sich bei solchen Delikten stets um erhebliche, für die Allgemeinheit gefährliche Taten (BGH NStZ 1998, 408).
Diese Erwägungen schließen freilich die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht aus, wenn als Ergebnis einer Würdigung aller Umstände der festgestellten Taten wie auch der Person des Täters im Einzelfall Anlaß zu der Sorge besteht („zu erwarten ist”), es werde künftig nicht bei exhibitionistischen Handlungen bleiben, der Täter werde vielmehr infolge seines Zustands an Stelle solcher Taten oder aus ihrem Anlaß erhebliche Delikte im Sinne des § 63 StGB begehen.
bb) Anscheinend ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB – zu Recht – nicht darauf gestützt, daß auch in Zukunft mit der Wiederholung exhibitionistischer Handlungen durch den Angeklagten zu rechnen sei. Es stellt vielmehr darauf ab, daß der Angeklagte, der an „Pädophilie verbunden mit einer ausgeprägten Persönlichkeitsfehlentwicklung” leide – an anderen Stellen ist von „Pädophilie in einem frühen Stadium”, von „pädophiler Neigung” oder von „suchtähnlicher Fixierung auf junge Mädchen” die Rede – künftig mit Wahrscheinlichkeit schwerere Taten begehen werde. Dazu führt die Strafkammer aus: Der Angeklagte werde „häufigerer und stärkerer Anreize bedürfe(n), um sexuelle Befriedigung zu erreichen”. Dies werde „mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, daß der Angeklagte künftig stets körperlichen Kontakt zu jungen Mädchen suchen und intensive sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen wird”. Es sei mit Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, „daß der Angeklagte künftig Gewalt anwenden wird, wenn er bei Begehung einer Tat die Kontrolle über das Tatgeschehen verliert, was schon der Fall sein kann, wenn ein Tatopfer um Hilfe rufen oder Widerstand leisten wird.”
Diese Ausführungen vermögen die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB nicht zu tragen:
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Landgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB bei den Taten rechtsfehlerfrei festgestellt hat. Auch insofern bestehen allerdings Bedenken. Denn zum einen hat sich die Strafkammer, soweit sie dem Angeklagten eine schwere seelische Abartigkeit in der Form der Pädophilie attestiert, nicht damit auseinandersetzt, daß er, zur Tatzeit 24jährig, nach den Feststellungen zu seiner Person im Alter zwischen 18 und 22 Jahren eine dauerhafte, auch sexuelle Beziehung zu einer gleichaltrigen Frau unterhalten hat und noch im Tatzeitraum mehrfache, wenngleich im Ergebnis erfolglose, Versuche der Annäherung an die dem Kindesalter anscheinend entwachsene Freundin seines Bruders unternommen hat. Zum anderen erscheint auch nicht ausgeschlossen, daß das Landgericht, soweit es als Folge der Pädophilie eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit angenommen hat, zu geringe normative Anforderungen gestellt haben könnte (vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 23 und 28).
Jedenfalls die Prognose, der Angeklagte werde künftig als Folge seines Zustandes schwerer wiegende Straftaten begehen oder aus Anlaß exhibitionistischer Handlungen Gewalt anwenden, hält aber rechtlicher Überprüfung nicht stand. Konkrete Anhaltspunkte, die diese Erwartung begründet erscheinen ließen, hat das Landgericht nicht mitgeteilt. Bei seiner Erwartung handelt es sich letztlich um eine bloße Vermutung, die greifbarer tatsächlicher Anknüpfungen entbehrt. Die aufgrund sachverständiger Beratung gewonnene Überzeugung von den pädophilen Neigungen des Angeklagten kann nicht erklären, warum damit zu rechnen ist, daß er künftig – anders als bei den festgestellten Taten, die ihre Ursache in eben diesen Neigungen haben – über exhibitionistische Handlungen hinausgehen wird. Soweit das Landgericht darauf abstellt, daß es sich – ohne Unterbringung des Angeklagten – nicht ausschließen lasse, daß er bei einer erneuten exhibitionistischen Handlung, etwa dann wenn das Kind um Hilfe rufe, Gewalt anwende, stellt es auf eine theoretische, durch konkrete Tatsachen nicht belegte Möglichkeit ab, die für die Anwendung des § 63 StGB nicht ausreicht. Es läßt sich theoretisch nie ausschließen, daß ein Straftäter bei der Entdeckung einer Straftat Gewalt anwendet und, in Panik geraten, dem Opfer der Tat schwere Verletzungen zufügt. Diese theoretische Möglichkeit genügt für die Unterbringungsanordnung aber nicht. Für eine sich auf konkrete Tatsachen stützende Gefahr künftiger Gewalttaten läßt sich dem Urteil andererseits nichts entnehmen. Der Angeklagte hat nach den Feststellungen bislang noch nie – weder bei den Taten, die Gegenstand dieses Verfahrens sind noch sonst – Gewalt angewendet.
b) Auch der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben.
Insbesondere die in den Fällen II. 1. und II. 2. verhängten Einzelstrafen von acht Monaten bzw. einem Jahr Freiheitsstrafe sind angesichts des verhältnismäßig geringen Gewichts der begangenen Taten, die dem untersten Bereich der von § 176 Abs. 5 bzw. § 176 Abs. 1 StGB erfaßten Tathandlungen zuzuordnen sind, so hoch bemessen, daß sich die vom Landgericht ausdrücklich berücksichtigten wie auch die jedenfalls nicht erkennbar berücksichtigten strafmildernden Umstände in ihnen nicht mehr widerspiegeln.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß die fehlerhaften Einzelstrafen in den Fällen II. 1. und II. 2. auch die übrigen Einzelstrafen beeinflußt haben; er hebt deshalb den Strafausspruch insgesamt auf.
3. Der neue Tatrichter wird, wenn er – wie naheliegt – eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe bildet, Gelegenheit haben, § 183 Abs. 3 StGB in seine Überlegungen einzubeziehen.
4. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz StPO Gebrauch gemacht.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Tolksdorf, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 540879 |
NStZ-RR 1999, 298 |