Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Rechtsbeschwerde gegen Beschluss des Beschwerdegerichts über Bestellung oder Ablehnung der Bestellung eines Ergänzungsbetreuers
Leitsatz (amtlich)
Die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers gem. §§ 1899 Abs. 4, 1908i, 1795 Abs. 1, 1796 BGB wird ebenso wie die Ablehnung einer solchen Bestellung nicht von den §§ 70 Abs. 3 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG erfasst. Deshalb ist die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts in solchen Verfahren nicht statthaft (im Anschluss an BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 166/10, FamRZ 2010, 1897; v. 9.2.2011 - XII ZB 364/10, FamRZ 2011, 632).
Normenkette
FamFG § 70 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, § 271 Nr. 1; BGB § 1899 Abs. 4, §§ 1908i, 1795 Abs. 1, § 1796
Verfahrensgang
LG Bochum (Beschluss vom 21.05.2010; Aktenzeichen I-7 T 617/09 und I-7 T 101/10) |
AG Recklinghausen (Beschluss vom 16.02.2010; Aktenzeichen 64 XVII L 909) |
AG Recklinghausen (Beschluss vom 07.12.2009; Aktenzeichen 64 XVII L 909) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Bochum vom 21.5.2010 wird verworfen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Beschwerdewert: 3.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene wendet sich gegen die hinsichtlich der Bestellung eines Ergänzungsbetreuers ergangenen Entscheidungen.
Rz. 2
Durch Beschluss vom 1.7.2008 wurde die im Wege der einstweiligen Anordnung angeordnete Betreuung für den Betroffenen aufrechterhalten. Der bisherige Aufgabenkreis der bestellten Betreuerin wurde erweitert und umfasst die Gesundheitsfürsorge, die Aufenthaltsbestimmung im Rahmen der Gesundheitsfürsorge, die Vermögensangelegenheiten sowie die Vertretung bei Behörden und Ämtern. Als Zeitpunkt, bis zu dem über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung zu entscheiden ist, hat das AG den 1.7.2015 angesetzt.
Rz. 3
Am 14.10.2009 ordnete das AG im Wege der einstweiligen Anordnung für den Aufgabenkreis der Vermögensangelegenheiten einen Einwilligungsvorbehalt an. Durch Beschluss vom 9.11.2009 wurde die bisherige Betreuerin auf ihren Wunsch entlassen und der Beteiligte zu 2) zum Betreuer bestellt. Ferner wurde der Einwilligungsvorbehalt dauerhaft angeordnet. Gegen den Beschluss legte der Beteiligte zu 2) Beschwerde ein, die er später bezüglich der Anordnung des Einwilligungsvorbehalts zurücknahm.
Rz. 4
Im Dezember 2009 regte der Beteiligte zu 2) die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers an, weil der Betroffene wünsche, dem Beteiligten zu 4) sowie dessen Schwester - beides Kinder des Betreuers - größere Geldbeträge zuzuwenden. Durch Beschluss vom 7.12.2009 lehnte das AG die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die beabsichtigte Vollziehung des formlosen Schenkungsversprechens des Betroffenen zugunsten der Kinder des Betreuers bewege sich nicht im Rahmen einer Sittlichkeits-, Anstands- oder Gelegenheitsschenkung. Geschenke könne der Betroffene infolge des Einwilligungsvorbehalts selbst nicht machen, der Betreuer sei gem. § 1804 BGB an Zuwendungen gehindert, die den vorgenannten Rahmen überstiegen; die beantragte Ergänzungsbetreuung sei deshalb nicht erforderlich.
Rz. 5
Durch Beschluss vom 16.2.2010 ordnete das AG eine Ergänzungsbetreuung zur Vertretung des Betroffenen in Wahrnehmung der Rechte in Bezug auf zwei - ggf. ehemalige - Sparguthaben bei der Volksbank M. einschließlich der Geltendmachung eventueller Rückerstattungsansprüche an. Zum Ergänzungsbetreuer wurde der Beteiligte zu 3) bestellt. Zur Begründung führte das AG aus, der Sachverhalt stelle sich inzwischen so dar, als habe der Betroffene eines der Sparguthaben bereits Mitte September 2009 auf den Beteiligten zu 4) übertragen. Insoweit bestünden allerdings Bedenken gegen die Wirksamkeit der Zuwendung. Der sich aus der verwandtschaftlichen Nähe des Betreuers zu dem Bedachten ergebenden Interessenkollision sei mit der Anordnung der Ergänzungsbetreuung Rechnung zu tragen. Auch gegen diesen Beschluss hat der Betroffene Beschwerde eingelegt.
Rz. 6
Das LG hat die Beschwerde gegen die Beschlüsse vom 7.12.2009 und vom 16.2.2010 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
II.
Rz. 7
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, da sie gem. § 70 FamFG i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG unstatthaft ist.
Rz. 8
Nach § 70 Abs. 1 FamFG ist die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das OLG im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. Nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts auch ohne Zulassung u.a. in Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers sowie zur Aufhebung einer Betreuung statthaft.
Rz. 9
Im vorliegenden Fall hat das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde weder zugelassen noch liegen die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde vor.
Rz. 10
1. Die Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG, die eine Rechtsbeschwerde auch ohne Zulassung erlaubt, knüpft an die gleichlautende Definition des Begriffs der Betreuungssachen in § 271 Nr. 1 und 2 FamFG an. Die dort genannten Verfahrensgegenstände sind von besonderer Bedeutung, weil durch sie regelmäßig in gravierendem Maße in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten eingegriffen wird. Dies wollte der Gesetzgeber mit der Differenzierung in § 271 FamFG deutlich machen. Da er mit der Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG gerade für Betreuungssachen mit besonders hoher Eingriffsintensität in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten einen zulassungsfreien Zugang zum BGH schaffen wollte, folgt aus der Verknüpfung der beiden Vorschriften, dass eine Rechtsbeschwerde ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht in allen Verfahren statthaft ist, die von § 271 Nr. 1 und 2 FamFG erfasst werden (BGH v. 9.2.2011 - XII ZB 364/10, FamRZ 2011, 632 Rz. 7; v. 15.9.2010 - XII ZB 166/10, FamRZ 2010, 1897 Rz. 8).
Rz. 11
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers i.S.d. §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG sind Verfahren nach § 1896 BGB. Dabei kann es sich sowohl um ein Erstverfahren als auch um ein Verlängerungsverfahren handeln, für das § 295 Abs. 1 FamFG eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme anordnet. Die besonders hohe Eingriffsintensität ergibt sich bei diesen Verfahren daraus, dass mit der Bestellung des Betreuers zugleich die Anordnung der Betreuung selbst einhergeht. Denn § 1896 BGB unterscheidet nicht zwischen Anordnung der Betreuung einerseits und Bestellung eines Betreuers andererseits; vielmehr ist eine Einheitsentscheidung zu treffen (BGH v. 9.2.2011 - XII ZB 364/10, FamRZ 2011, 632 Rz. 8; v. 15.9.2010 - XII ZB 166/10, FamRZ 2010, 1897 Rz. 10).
Rz. 12
Demgegenüber liegt nach der Rechtsprechung des Senats kein Anwendungsfall der §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG vor, wenn bei fortbestehender Betreuung eine isolierte Entscheidung über die Beendigung des Amtes des bisherigen Betreuers getroffen wird (BGH v. 9.2.2011 - XII ZB 364/10, FamRZ 2011, 632 Rz. 9; vgl. auch BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 166/10, FamRZ 2010, 1897 Rz. 17). Die Entlassung des bisherigen Betreuers berührt nicht den Fortbestand der Betreuung als solche.
Rz. 13
2. Ausgehend hiervon liegt auch im vorliegenden Fall keine Betreuungssache i.S.d. §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG vor. Die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers nach den §§ 1899 Abs. 4, 1908i Abs. 1, 1795 Abs. 1, 1796 BGB lässt die angeordnete Betreuung und den in Rede stehenden Aufgabenkreis der Vermögensangelegenheiten in seinem Umfang unberührt. Eine Änderung ergibt sich allein hinsichtlich der Zuständigkeit der Betreuer zur Wahrnehmung einzelner Angelegenheiten: Soweit die Ergänzungsbetreuung reicht, tritt der Ergänzungsbetreuer an die Stelle des (eigentlichen) Betreuers; im Übrigen bleibt der Betreuer für den Aufgabenkreis zuständig. Ein solches Verfahren fällt - ebenso wie die Entlassung des bisherigen Betreuers - unter die Auffangbestimmung des § 271 Nr. 3 FamFG.
Rz. 14
Die Entscheidung über die Ablehnung der Bestellung eines Ergänzungsbetreuers ist ebenso zu beurteilen. Solange keine Ergänzungsbetreuung angeordnet wird, verbleibt es bei der Zuständigkeit des bestellten Betreuers. Weder die Betreuung an sich noch der Aufgabenkreis des Betreuers werden hiervon tangiert.
Rz. 15
Die Rechtsbeschwerde ist danach nicht statthaft. Der Beschluss des AG vom 10.11.2009 (bezüglich der Betreuerbestellung) ist nicht Gegenstand der Rechtsbeschwerde, da das LG über die insofern eingelegte Beschwerde durch den angefochtenen Beschluss nicht entschieden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 2710040 |
EBE/BGH 2011 |
FuR 2011, 521 |
FGPrax 2011, 181 |
BtPrax 2011, 168 |
FPR 2011, 5 |
MDR 2011, 875 |
Rpfleger 2011, 499 |