Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 11.06.2020; Aktenzeichen 425 Js 22982/19 14 KLs) |
Tenor
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 11. Juni 2020 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Ein Verfahrenshindernis wegen Immunität der Angeklagten besteht selbst auf der Grundlage ihrer Einlassungen nicht:
Für den Angeklagten S. folgt das schon daraus, dass Art. 54 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 (BGBl. 1969 II, S. 1585 ff., im Folgenden: WÜK) nach seinem eindeutigen Wortlaut nur für Konsularbeamte gilt, Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals, zu denen der Angeklagte S. als Fahrer zu zählen war, hingegen keine rechtlichen Sonderstellungen gewährt (Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen, Band 1, 2007, S. 601, vgl. auch Teil 1 B. 2.10 des [mehrfach von der Verteidigung zitierten] Rundschreibens des Auswärtigen Amtes vom 15. September 2015 „Zur Behandlung von Diplomaten und anderen bevorrechtigten Personen in der Bundesrepublik Deutschland”, GMBl. 2015, S. 1206 ff., abgedruckt bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 18 GVG Rn. 11).
Auch der Angeklagte B. genoss keine Immunität nach Art. 54 Abs. 1 WÜK, denn selbst nach seiner Einlassung lagen die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vor: Er befand sich bei der Fahrt durch die Bundesrepublik Deutschland – was schon in Anbetracht der geographischen Lage einleuchtend ist – nicht auf der direkten Rückreise von seinem Dienstort I. im Empfangsstaat Türkei in den Entsendestaat – die Mongolei –; vielmehr will er sich auf der Fahrt zu einer Tagung mit anderen mongolischen Konsularbeamten in Belgien befunden haben. Auch wenn – was das Landgericht allerdings rechtsfehlerfrei als widerlegt angesehen hat – er von dort unmittelbar in die Mongolei hätte weiterreisen wollen, wären die Voraussetzungen von Art. 54 Abs. 1 WÜK nicht gegeben. Geschützt sind nur Reisen durch einen Drittstaat, deren Zweck ausschließlich der Transit mit dem Ziel ist, den Empfangs- oder den Entsendestaat zu erreichen (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – StB 43-44/18, NStZ-RR 2018, 386, 387; Kreicker, aaO, S. 609; vgl. auch Seidenberger, Diplomatische und konsularische Immunitäten und Privilegien, 1994, S. 124: Reise „mit dem primären Zweck, sein Amt im Empfangsstaat anzutreten bzw. davon zurückzukehren.”). Dieser Zweck ist auch dann nicht erfüllt, wenn sich der Diplomat oder Konsularbeamte aus anderen Gründen dienstlich vorübergehend in einem Drittstaat aufhält oder diesen durchquert; in einem solchen Fall können sich Vorrechte und Befreiungen zwar gegebenenfalls aus anderen Rechtsgrundlagen ergeben – etwa aus Art. 42 des Übereinkommens über Sondermissionen vom 8. Dezember 1969, dessen Voraussetzungen hier freilich ebenfalls nicht vorliegen –, nicht aber aus Art. 54 Abs. 1 WÜK (vgl. Seidenberger aaO). Nur eine solche Auslegung entspricht Sinn und Zweck von Art. 54 Abs. 1 WÜK, dessen Anwendung auf dasjenige beschränkt ist, was zur Ermöglichung eines ungestörten diplomatischen Verkehrs zwischen dem Entsende- und dem Empfangsstaat notwendig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – StB 43-44/18, NStZ-RR 2018, 386, 387 zur Parallelvorschrift des Art. 40 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961, BGBl. 1964 II, S. 958 ff., im Folgenden: WÜD). Die für Sondermissionen geltenden Regelungen, nach denen ein Drittstaat etwa nur dann gehalten ist, den in einer Sondermission reisenden Vertretern eines Entsendestaats Immunität zu gewährleisten, wenn er entweder im Sichtvermerksantrag oder durch Notifizierung im Voraus von der Durchreise als Mitglied einer Sondermission unterrichtet wurde und keine Einwände erhoben hat (Art. 42 Abs. 4 des Übereinkommens über Sondermissionen vom 8. Dezember 1969) würden im Übrigen leerlaufen, wenn die – hier gar erst nachträglich abgegebene – Erklärung, der Konsularbeamte habe nach der Sondermission in seinen Heimatstaat reisen wollen, zur Begründung der Immunität nach Art. 54 Abs. 1 WÜK genügte. Die entgegenstehende Auffassung der Verteidiger, es sei „unerheblich”, dass „die Heimreise nicht auf direktem Weg” angetreten worden sei, erweist sich mithin als rechtsirrig.
Soweit das Landgericht zu diesen Fragen eine von der Verteidigung präsentierte Professorin für Völker- und Europarecht als Sachverständige gehört hat, ist anzumerken, dass die Auslegung und Anwendung der aufgrund Zustimmungsgesetzes vom 6. August 1964 (BGBl. I, S. 957) als einfaches (inländisches) Bundesrecht geltenden Vorschriften des WÜK den Fachgerichten obliegt (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – StB 43-44/18, NStZ-RR 2018, 386, 387) und der Beweisaufnahme mithin grundsätzlich nicht zugänglich ist (LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 8 mwN).
2. Da die Angeklagten keine Immunität genossen und auch im Übrigen die Durchsuchung des Fahrzeugs nach § 10 ZollVG zulässig war, konnten die dabei aufgefundenen Beweismittel im weiteren Verfahren verwendet werden, ein Beweisverwertungsverbot besteht nicht. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass ohnehin fraglich ist, ob ein etwaiges – aus einer Verletzung der allenfalls für den Angeklagten B. in Betracht kommenden konsularischen Immunität resultierendes – Beweisverwertungsverbot überhaupt zugunsten des Angeklagten S. hätte wirken können (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 1990 – StB 8/90, NJW 1990, 1801).
3. Die von beiden Angeklagten erhobene Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 3 StPO, die auf ein nach der mündlichen Urteilsverkündung außerhalb der Hauptverhandlung gestelltes, gegen die Berufsrichter und die Schöffen gerichtetes Befangenheitsgesuch des Angeklagten B. gestützt wird, dem sich die Verteidigung des Angeklagten S. angeschlossen hatte, geht fehl.
Die Beschwerdeführer haben das Befangenheitsgesuch damit zu begründen gesucht, dass die von der Vorsitzenden der Strafkammer in der Urteilsbegründung geäußerte Einschätzung, „der Zoll habe alles sehr gut gemacht” und „sich professionell verhalten”, sich als „objektiv und subjektiv willkürlich” darstelle und deshalb die Besorgnis begründe, „die abgelehnten Richterinnen hätten die erforderliche Distanz, Neutralität und Unparteilichkeit auch sonst vermissen lassen.” Dieses Befangenheitsgesuch hat die Strafkammer – unter Mitwirkung der abgelehnten Berufsrichterinnen – in der außerhalb der Hauptverhandlung zuständigen Kammerbesetzung zu Recht ohne Sachprüfung verworfen, weil Befangenheitsgesuche nach dem letzten Wort des Angeklagten absolut ausgeschlossen und damit unzulässig sind (§ 25 Abs. 2 Satz 2 StPO, vgl. KK-StPO/Scheuten, 8. Aufl., § 25 Rn. 11 mwN).
Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vereinzelt erwogen worden ist, ob es in Fällen einer deutlich zu Tage getretenen Voreingenommenheit möglich sei, von diesem Grundsatz durch eine einschränkende Auslegung der Vorschrift abzuweichen, wenn Ablehnungsgründe erst nach dem letzten Wort entstanden oder bekannt geworden seien und anders „unerträgliche Ergebnisse” nicht vermieden werden könnten (BGH, Urteil vom 7. September 2006 – 3 StR 277/06, bei Cierniak, NStZ-RR 2009, 1, 2), liegen – ungeachtet der Frage ob eine solche einschränkende Auslegung angesichts des eindeutigen entgegenstehenden Wortlauts von § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO überhaupt in Betracht kommen kann – die in der zitierten Entscheidung skizzierten Voraussetzungen nicht ansatzweise vor: Die Beschwerdeführer begründen ihre Ablehnung im Kern mit der von der Strafkammer im Urteil vorgenommenen Beweiswürdigung. Diese kann denknotwendig keine „Voreingenommenheit” der an der Urteilsfindung beteiligten Richter zum Ausdruck bringen, ist es doch gerade die Aufgabe des Tatgerichts, über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften – und folglich zwingend spätestens in der Urteilsberatung zu bildenden – Überzeugung zu entscheiden (§ 261 StPO). Der Ort für die Darlegung dieser Überzeugungsbildung ist das Urteil (§ 267 Abs. 1 StPO), der Zeitpunkt dafür ist derjenige der Urteilsverkündung (§ 268 Abs. 2 StPO). Das Landgericht hat mithin seine ihm von der Strafprozessordnung aufgegebene Verpflichtung erfüllt, indem es die Beweise im Urteil gewürdigt hat, ohne dass – auch nach deren Vorbringen – etwa unnötige oder sachlich unzutreffende Werturteile über die Beschwerdeführer in der Begründung enthalten gewesen wären (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 24 Rn. 13a mwN). Anhaltspunkte, die die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten, sind deshalb unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ersichtlich. Dass die Angeklagten sich ein anderes Ergebnis gewünscht haben mögen bzw. die Beweise anders gewürdigt hätten, ändert daran nichts.
Aus den genannten Gründen wäre das Befangenheitsgesuch im Übrigen auch nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO unzulässig, weil die Begründung – auch eingedenk des dabei anzuwendenden strengen Maßstabs – aus zwingenden rechtlichen Gründen völlig ungeeignet ist, was dem vollständigen Fehlen einer Begründung gleichsteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 26a Rn. 4a mwN).
Unterschriften
Cirener, Gericke, Köhler, Resch, von Häfen
Fundstellen
Haufe-Index 14574702 |
NStZ-RR 2021, 259 |
NStZ-RR 2023, 166 |
StV 2021, 628 |
StraFo 2021, 336 |