Tenor
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Dresden übertragen.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Die Angeklagte wurde am 10. Juli 2020 festgenommen und befand sich aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts Meiningen vom selben Tag wegen des dringenden Verdachts der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung in zwei Fällen (Taten 4 und 6), des Diebstahls, der Urkundenfälschung (Tat 7) und des räuberischen Diebstahls (Tat 5) in Untersuchungshaft. Mit Beschluss des Amtsgerichts Meiningen vom 15. Juli 2020 wurde der vorgenannte Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.
Rz. 2
Am 5. November 2020 wurde die Angeklagte erneut festgenommen aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 4. November 2020. Gegenstand dieses Haftbefehls waren im Wesentlichen die Anschuldigungen im Haftbefehl vom 10. Juli 2020, allerdings rechtlich gewertet als jeweils in Tateinheit stehend mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, sowie der Vorwurf der dazu tatmehrheitlichen mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (Tat 1). Dieser erweiterte Haftbefehl wurde der Angeklagten am 6. November 2020 verkündet und der vorherige Haftbefehl in der Fassung des Außervollzugsetzungsbeschlusses aufgehoben.
Rz. 3
Am 21. April 2021 erließ der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs einen neuen Haftbefehl. Gegenstand dieses Haftbefehls ist neben den Anschuldigungen im Haftbefehl vom 4. November 2020 der Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in weiteren drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung (Tat 2) und in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Taten 3 und 8), davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Landfriedensbruch (Tat 8). Dieser erweiterte Haftbefehl wurde der Angeklagten unter Aufhebung des vorherigen Haftbefehls am selben Tag verkündet.
Rz. 4
Der Generalbundesanwalt hat unter dem 8. Mai 2021 Anklage zum Oberlandesgericht Dresden erhoben. Diese richtet sich gegen die Angeklagte sowie drei weitere Personen und hat die Tatvorwürfe des letztgenannten Haftbefehls zum Gegenstand.
Rz. 5
Mit Beschluss vom 2. Juni 2021 (AK 33/21, juris) hat der Senat ausgeführt, dass eine Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO mit Blick auf die Erweiterung der Tatvorwürfe durch den Haftbefehl vom 21. April 2021 erst am 17. August 2021 veranlasst sein wird.
Rz. 6
Am 2. August 2021 hat der mit der Sache befasste Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden die Anklage mit geringen Änderungen zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und den Beginn der Hauptverhandlung auf den 8. September 2021 terminiert. Mit Verfügung vom selben Tag hat dessen Vorsitzender die Akten dem Bundesgerichtshof zur besonderen Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO vorgelegt. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 7
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
Rz. 8
1. Die Angeklagte ist der ihr in dem Haftbefehl vom 21. April 2021 zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.
Rz. 9
a) Soweit es die Taten zu 2, 3 und 8 betrifft, hat der Senat die den dringenden Tatverdacht begründenden Sachverhalte, die diesen tragenden Ermittlungsergebnisse und die jeweilige rechtliche Würdigung in dem Beschluss vom 2. Juni 2021 bereits ausführlich dargelegt. Gleiches gilt im Ergebnis für die Annahme dringenden Tatverdachts bezüglich des in Tatmehrheit stehenden Organisationsdelikts (Tat 1).
Rz. 10
b) Hinsichtlich der ebenfalls in dem Beschluss vom 2. Juni 2021 bereits wiedergegebenen Taten zu 1 und 4 bis 7 ergibt sich der dringende Tatverdacht im Wesentlichen aus den Angaben von Zeugen – so ist die Angeklagte von einem Geschädigten (Taten 4 und 6) und von einem Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes (Tat 5) wiedererkannt worden –, sichergestellten Gegenständen, Erkenntnissen aus richterlich angeordneten Fahrzeuginnenraumüberwachungen und den weiteren polizeilichen Ermittlungen. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 21. April 2021 und die Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 8. Mai 2021.
Rz. 11
Die dem Haftbefehl zugrundeliegenden Taten zu 1 und 4 bis 7 sind in rechtlicher Hinsicht zu werten als Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung (Taten 4 und 6), davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit schwerem Landfriedensbruch (Tat 4) sowie in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung (Tat 7) gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1, § 125a Satz 2 Nr. 2, § 129 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, § 267 Abs. 1, § 303 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB. Ob hinsichtlich der Tat 5 der Nachweis tateinheitlicher Begehung eines räuberischen Diebstahls in der Hauptverhandlung zu führen sein wird oder lediglich – wie das Oberlandesgericht Dresden ausweislich des Eröffnungsbeschlusses vom 2. August 2021 annimmt – eine Verurteilung wegen tateinheitlichen Diebstahls und Nötigung in Betracht kommt, ist für die Haftfrage ohne Belang.
Rz. 12
c) Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof ergibt sich aus § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG in Verbindung mit § 129 Abs. 1 StGB. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 21. April 2021 und der Anklageschrift vom 8. Mai 2021 Bezug genommen.
III.
Rz. 13
Es besteht hinsichtlich der Angeklagten der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), denn es ist bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls wahrscheinlicher, dass sich die Angeklagte dem weiteren Strafverfahren entziehen, als dass sie sich ihm zur Verfügung halten wird.
Rz. 14
Die – bislang nicht vorbestrafte – Angeklagte hat mit Blick auf die erhebliche Anzahl der ihr zur Last gelegten Taten und ihre darin zum Ausdruck kommende ideologisch bedingte Entschlossenheit zur Begehung weiterer gleichartiger Delikte naheliegend mit einer Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen, deren Vollstreckung nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Dem hieraus sich ergebenden erheblichen Fluchtanreiz stehen keine tragfähigen Bindungen entgegen. Zwar bewohnt die Angeklagte eine – allerdings im Wesentlichen fremdfinanzierte – eigene Wohnung und geht ihrem Studium nach; ihr – gesondert verfolgter – langjähriger Lebensgefährte und Verlobter ist jedoch untergetaucht und bereits seit Juni 2020 unbekannten Aufenthalts.
Rz. 15
Hinsichtlich der diesbezüglichen weiteren Einzelheiten wird auf den Haftbefehl vom 21. April 2021 sowie den Beschluss vom 2. Juni 2021 verwiesen.
Rz. 16
Die Haftanordnung ist auch verhältnismäßig (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO). Der Umstand, dass sich die Haftdauer insgesamt verlängert hat, weil während des Vollzugs der Untersuchungshaft eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt worden ist und eine Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO deshalb bislang nicht stattgefunden hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 – AK 14/17, juris Rn. 37; vom 7. September 2017 – AK 42/17, juris Rn. 47), rechtfertigt im Hinblick auf das Gewicht der in Rede stehenden Taten sowie Umfang und Komplexität der Ermittlungen keine andere Beurteilung.
IV.
Rz. 17
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
Rz. 18
Das ursprünglich gegen zehn bekannte und weitere unbekannte Beschuldigte wegen einer erheblichen Anzahl von Taten geführte Ermittlungsverfahren ist umfangreich und von großer Komplexität; dementsprechend benennt die Anklageschrift 145 Zeugen, sieben Sachverständige und eine Vielzahl von Urkunden und sonstigen Beweismitteln. Gleichwohl hat der Generalbundesanwalt bereits unter dem 8. Mai 2021 Anklage erhoben. Der Vorsitzende des Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts hat auf Bitten der Verteidiger der Angeklagten eine verlängerte Erklärungsfrist bis zum 11. Juli 2021 eingeräumt. Nach Ablauf dieser Frist sind die Eröffnung des Hauptverfahrens zeitnah beschlossen und der Beginn der Hauptverhandlung auf den 8. September 2021 bestimmt worden.
Rz. 19
Schließlich steht die Fortdauer der Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Angeklagten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Unterschriften
Schäfer, Paul, Anstötz
Fundstellen
Dokument-Index HI14799448 |