Verfahrensgang
LG Amberg (Urteil vom 22.04.2005) |
Tenor
Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 22. April 2005 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Revision des Verurteilten richtet sich gegen die nachträgliche Anordnung der ursprünglich vorbehaltenen Sicherungsverwahrung. Er war vom Landgericht mit Urteil vom 21. August 2003 wegen Versuches der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden; außerdem war die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen ihn vorbehalten worden. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte am 9. Juni 2001 in der Justizvollzugsanstalt A. zusammen mit zwei Mitgefangenen einen neu aufgenommenen weiteren Mitgefangenen wegen eines angeblichen Verrates eines ihnen unbekannten Straftäters zur „Bestrafung” körperlich misshandelt und ihm dabei das Versprechen abgenötigt hatte, in Zukunft unter anderem seinen gesamten Einkauf abzuliefern.
Das vom Verurteilten mit der Revision angefochtene Urteil des Landgerichts, welches nunmehr die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnet, ist im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Verurteilte während des Haftvollzugs in Belastungs- und Enttäuschungssituationen mit Wutausbrüchen reagierte, bei denen er sich gegenüber Sachen und gegenüber sich selbst aggressiv verhielt. Insbesondere habe er sich, als ihm die Polizei eröffnet habe, ein Mitgefangener habe ihn wegen angeblicher Bedrohung angezeigt, wutentbrannt in der Toilette mit einer „so aggressiven Wucht auf den Toilettendeckel” gesetzt, dass dieser zerbrach. In einem anderen Fall habe er, nachdem ihm ein beantragter Umschluss abgelehnt worden sei, mit Fäusten gegen die Toilettentüre „gedroschen” und danach in seinem Haftraum gegen die Wand geschlagen und eigene Gegenstände zertrümmert. Zu Körperverletzungstaten sei es jedoch seit der Tat vom 9. Juni 2001 nicht mehr gekommen. Das Landgericht hat darüber hinaus eine Vorahndung aus einem Urteil des Amtsgerichts W. vom 30. Juni 1988 herangezogen, welcher eine versuchte sexuelle Nötigung in Tateinheit mit exhibitionistischen Handlungen zum Nachteil eines zur Tatzeit 85-jährigen Rentners betrifft.
Das Rechtsmittel des Verurteilten hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Entgegen der Auffassung der Revision stellt der Umstand, dass die angefochtene Entscheidung erst am 22. April 2005 verkündet worden ist, während gemäß § 66a Abs. 2 Satz 1 StGB darüber spätestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt, ab dem eine Aussetzung des vollstreckenden Strafrestes zur Bewährung möglich ist, somit am 15. April 2005 zu entscheiden gewesen wäre, keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar.
Weder aus § 66a StGB noch der Begründung in den Gesetzgebungsmaterialien (vgl. BTDrucks. 14/8586 S. 6) ergibt sich, was aus der Überschreitung der Frist des § 66a Abs. 2 Satz 1 StGB folgt. Ob es sich hierbei um einen Verfahrensfehler handelt, auf dem das Urteil der in besonderen Fällen beruhen könnte, braucht der Senat vorliegend nicht zu entscheiden; denn jedenfalls dann, wenn bei einer nicht in der Frist des § 66a Abs. 2 Satz 1 StGB getroffenen Entscheidung die Verzögerung nur wenige Tage beträgt und zudem der Verzögerungsgrund nicht direkt im Verantwortungsbereich der Justiz liegt, greift eine darauf gestützte Revisionsrüge nicht durch. So ist es in dem vorliegenden Verfahren, in dem die Staatsanwaltschaft rechtzeitig einen Antrag auf Anordnung der Sicherungsverwahrung gestellt hatte, jedoch das einzuholende psychiatrische Fachgutachten erst am 7. April 2005 dem Landgericht vorlag. Der Vorsitzende bestimmte sogleich am 8. April 2005 Termin zur Hauptverhandlung, welcher dann am 22. April 2005, insoweit ohne weitere Verzögerung, durchgeführt wurde (vgl. zu einer vergleichbaren Sachlage auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK: BGH, Beschluss vom 7. April 1999 – 3 StR 219/99).
Entscheidungsgründe
II.
Die materiellen Voraussetzungen einer nachträglichen Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung sind jedoch vom Landgericht nicht ausreichend dargelegt worden. Entsprechend § 66a Abs. 2 Satz 2 StGB ist die endgültige Sicherungsverwahrung anzuordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und seiner Entwicklung während des Strafvollzuges ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Voraussetzung ist daher die prognostizierte Gefahr schwerwiegender Delikte gegen die Person; nicht erfasst sind Vermögensdelikte (BTDrucks. aaO S. 7). Die Berücksichtigung des Verhaltens des Verurteilten im Strafvollzug soll dabei vor allem seine Entwicklung in einer Behandlung als gewichtigen Prognosefaktor erfassen, wobei weitere prognoserelevante Gesichtspunkte z.B. aggressive Handlungen gegen Strafvollzugsbedienstete oder Mitgefangene, Straftaten oder subkulturelle Aktivitäten im Vollzug, Drohungen oder andere Äußerungen sein können, die auf eine Rückkehr in kriminelle Subkulturen und eine Wiederaufnahme insbesondere von Gewalt- oder Sexualkriminalität hindeuten (BTDrucks. aaO). Das vom Landgericht seiner Anordnung zugrunde gelegte Verhalten des Verurteilten im Vollzug umfasst jedoch nur die Beschädigung eines Toilettendeckels, das Eindreschen mit den Fäusten gegen eine Toilettentür und Schlagen gegen eine Wand sowie das Zertrümmern eigener Gegenstände. Hierbei handelt es sich aber weder um aggressive Handlungen gegen Strafvollzugsbedienstete oder Mitgefangene noch um Straftaten oder Drohungen, welche für sich betrachtet auf eine Rückkehr in kriminelle Subkulturen hindeuten.
Danach verbleibt vorliegend nur die neu erwähnte und gewichtete Straftat vom 30. November 1988, welche aber bereits bei der Verurteilung vom wegen der Anlasstat mehr als 15 Jahre zurücklag und damit im Rahmen dieses Verfahrens hätte Berücksichtigung finden können. Wenn aber bei jener Verurteilung diese Tat entweder bei der Entscheidung nicht eingeflossen ist oder jedenfalls dennoch kein Anlass bestand, bereits zum damaligen Zeitpunkt die Sicherungsverwahrung anzuordnen, dann bestehen zumindest rechtliche Bedenken, wenn nun hierauf die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (neu) gestützt wird. Der Bundesgerichtshof hat bereits in früheren Entscheidungen darauf hingewiesen, dass der Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht dazu führen soll, in Fällen, in denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB grundsätzlich angezeigt ist, die Verhängung dieser Maßregel (zunächst) zu vermeiden (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2003 – 5 StR 445/03).
III.
Da der Senat nicht ausschließen konnte, dass sich möglicherweise noch andere Gesichtspunkte im Rahmen des Strafvollzugs ergeben haben, welche die Anordnung einer Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten, weist der Senat die Sache zur neuen Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück, welche dann auch das nach dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung liegende Verhalten des Verurteilten im Strafvollzug zu berücksichtigen haben wird.
Unterschriften
Nack, Kolz, Hebenstreit, Elf, Graf
Fundstellen
Haufe-Index 2556091 |
StV 2006, 63 |
StraFo 2006, 81 |