Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 30.09.2011) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. September 2011 wird das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 205 StPO vorläufig eingestellt.
2. Der Staatsanwaltschaft Berlin wird Gelegenheit gegeben, binnen einer Frist von zwei Monaten gerechnet ab Zugang dieses Beschlusses mitzuteilen, ob ein Nachtragsersuchen entsprechend Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk an die zuständigen Behörden der Republik Südafrika auf den Weg gebracht wurde, in dem um Zustimmung zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 23. Juli 2007 genannten Taten ersucht wird.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Steuerhinterziehung sowie wegen gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung in Tateinheit mit Steuerhinterziehung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt er die Verletzung materiellen Rechts und macht insbesondere einen Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz bei Auslieferungen geltend.
Rz. 2
1. Das Verfahren ist wegen des Grundsatzes der Spezialität (nachfolgend a), der hier ein noch behebbares Verfahrenshindernis begründet (nachfolgend b), in entsprechender Anwendung des § 205 StPO vorläufig einzustellen (nachfolgend c).
Rz. 3
a) Aus dem in Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), das im Rechtshilfeverkehr mit der Republik Südafrika Anwendung findet (vgl. dazu auch BGBl. II 2003, 1783), normierten Grundsatz der Spezialität ergibt sich hier ein bereits von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfolgungsverbot (Verfahrenshindernis).
Rz. 4
aa) Folgendes liegt zugrunde:
Rz. 5
Gegen den Angeklagten wurde wegen einer nach einem Bewährungswiderruf zu vollstreckenden Restfreiheitsstrafe am 9. Januar 2004 ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen. Des Weiteren hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin am 23. Juli 2007 einen Haftbefehl gegen den Angeklagten wegen der hier verfahrensgegenständlichen Taten erlassen. Nach Ergreifen des Angeklagten in der Republik Südafrika haben die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft Berlin beim Bundesamt für Justiz ein auf beide Haftbefehle gestütztes Auslieferungsersuchen angeregt. Nachdem ein Auslieferungsersuchen durch Verbalnoten der Deutschen Botschaft in Pretoria Nr. 532/2009 und – erinnernd – Nr. 599/2009 den südafrikanischen Behörden übermittelt worden waren, teilte die Hauptabteilung „Konsulardienste” des Ministeriums für Internationale Beziehungen und Zusammenarbeit der Republik Südafrika der Deutschen Botschaft in Pretoria unter Bezugnahme auf die vorgenannten Verbalnoten am 28. September 2010 mit, dass die Verfügung des Ministers für Justiz für die Übergabe des Angeklagten vorliege und der Angeklagte in Kapstadt den deutschen Behörden übergeben werde, was dann auch geschah. Die angesprochene, auf Art. 11(a) des Südafrikanischen Auslieferungsgesetzes von 1962 (Gesetz Nr. 67 aus 1962) gestützte Verfügung des Ministers für Justiz der Republik Südafrika vom 14. September 2010 nimmt ausschließlich Bezug darauf, dass der Angeklagte zur Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe ausgeliefert werde.
Rz. 6
bb) Das Landgericht ist der Auffassung, der Spezialitätsgrundsatz stehe dessen ungeachtet einer Verurteilung nicht entgegen, da das Schreiben an die Deutsche Botschaft in Pretoria vom 28. September 2010 einzig maßgeblich sei und keine Beschränkung oder teilweise Ablehnung der Auslieferung (vgl. Art. 18 Abs. 2 EuAlÜbk) enthalte.
Rz. 7
cc) Aus dem Grundsatz der Spezialität ergibt sich für den ersuchenden Staat eine Beschränkung seiner Hoheitsrechte (vgl. Hackner in Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 72 IRG Rn. 2). Nach Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk darf der Ausgelieferte „wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur … verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung oder Besserung in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden”, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach durfte der Angeklagte nur wegen solcher vor der Auslieferung begangener Taten bestraft werden, für die die Auslieferung bewilligt worden war (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1968 – 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307; BGH, Urteil vom 11. März 1999 – 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363). Die zur Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, nach der sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz lediglich ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen ergibt (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 – Rechtssache C-388/08 [Leymann und Pustovarov], NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011 – 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100), findet auf die hier vorliegende Auslieferung aus der Republik Südafrika keine Anwendung.
Rz. 8
Der Umfang der Spezialitätsbindung des um Auslieferung ersuchenden Staates bestimmt sich nach den Regelungen des EuAlÜbk in Verbindung mit der Auslieferungsbewilligung. Im Ansatz zutreffend geht das Landgericht dabei davon aus, dass jede vollständige oder teilweise Ablehnung einer beantragten Auslieferung vom ersuchten Staat zu begründen ist (Art. 18 Abs. 2 EuAlÜbk). Wird eine Teilablehnung vom ersuchten Staat nicht zum Ausdruck gebracht, kann daher die Auslieferung als im beantragten Umfang bewilligt angesehen werden (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 26. Oktober 1999 – 1 StR 109/99, NJW 2000, 370). Unbeschadet der Frage, ob hierbei – dem Landgericht folgend – ausschließlich auf die auf eine Auslieferungsbewilligung hinweisende Mitteilung an die deutschen Behörden abgestellt werden kann (zur Maßgeblichkeit der Auslieferungsbewilligung vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2003 – 3 StR 221/03), bestimmt sich in diesen Fällen der Umfang der bewilligten Auslieferung nach dem Inhalt des Rechtshilfeersuchens. Der ersuchte Staat muss zweifelsfrei erkennen können, inwieweit vom ersuchenden Staat Auslieferung begehrt wird.
Rz. 9
Der Umfang der Auslieferungsbewilligung war zunächst unklar. Da der genaue Inhalt des den Behörden der Republik Südafrika letztlich übermittelten Ersuchens weder den Urteilsgründen noch dem Akteninhalt zu entnehmen war, ist der Senat dieser Frage im Freibeweisverfahren nachgegangen. Dabei hat das Ministerium für Justiz der Republik Südafrika den Umfang der Auslieferungsbewilligung nun klargestellt. Es hat über die Deutsche Botschaft in Pretoria, das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Justiz mitgeteilt, das Ausgangsersuchen („initial request”) sei nicht in dem Sinn verstanden worden, dass auch für die im Haftbefehl vom 23. Juli 2007 genannten Taten Auslieferung begehrt werde; dementsprechend sei die Auslieferungsbewilligung nur auf die Vollstreckung der Reststrafe beschränkt gewesen. Damit kann der Auslieferungsbewilligung nicht die ihr vom Landgericht bezüglich der Tatvorwürfe aus dem Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 23. Juli 2007 beigemessene Bedeutung zuerkannt werden.
Rz. 10
b) Das bestehende Verfahrenshindernis hat jedoch nicht zur Folge, dass das Strafurteil des Landgerichts nichtig wäre; vielmehr ist dieses lediglich anfechtbar (vgl. RGSt 72, 77, 78; Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, aaO, § 72 IRG Rn. 28). Auch kann der Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität jedenfalls derzeit nicht dazu führen, dass der Senat das Verfahren gemäß § 206a StPO wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen müsste. Denn ein solcher Verstoß begründet lediglich ein auch noch in der Revisionsinstanz behebbares Verfahrenshindernis, zumal auch der Eröffnungsbeschluss ebenfalls nicht nichtig ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 – 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 und 1 StR 152/11 jeweils mwN).
Rz. 11
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Verfahrenshindernisse auch noch im Revisionsverfahren beseitigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 – 3 StR 961/51 zur Nachholung eines erforderlichen Strafantrags in der Revisionsinstanz; BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 – 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; BGH, Beschluss vom 26. Mai 1961 – 2 StR 40/61, BGHSt 16, 225; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 – 4 StR 464/00, NJW 2001, 836). Die Beseitigung von behebbaren Verfahrenshindernissen kann dabei aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 – 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 206a Rn. 2) sogar geboten sein, um dem Angeklagten eine erneute Anklageerhebung und eine erneute Hauptverhandlung zu ersparen. Auch das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) kann eine Beseitigung behebbarer Verfahrenshindernisse mit den rechtlich dafür zur Verfügung stehenden Mitteln gebieten.
Rz. 12
bb) Diese Grundsätze gelten auch für Verstöße gegen den Grundsatz der Spezialität (BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 – 1 StR 148/11 und 1 StR 152/11, aaO). Es ist allgemein anerkannt, dass es bei einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz auch dem Revisionsgericht möglich ist, ein Verfahrenshindernis zu beseitigen, indem es den ausliefernden Staat in einem Nachtragsersuchen um Zustimmung zur Strafverfolgung für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten ersucht (vgl. Hackner in aaO, § 72 IRG Rn. 28b). Stimmt der ersuchte Staat der Ausdehnung der Strafverfolgung auf die weiteren Taten zu, sind seine Rechte, die mit dem Spezialitätsgrundsatz geschützt werden sollen (Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, aaO, § 72 Rn. 13), gewahrt.
Rz. 13
In gleicher Weise kann die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk entfallen, wenn der Ausgelieferte noch nachträglich auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet und sich mit der uneingeschränkten Strafverfolgung einverstanden erklärt oder wenn – was Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk ausdrücklich zulässt – der Ausgelieferte, obwohl er die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder er nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist und er auf die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen bei seiner Freilassung hingewiesen worden war (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 – 1 StR 148/11 und 1 StR 152/11, aaO).
Rz. 14
c) Hiervon ausgehend ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 205 StPO vorläufig einzustellen.
Rz. 15
Voraussetzung einer – vom Angeklagten begehrten – Einstellung nach § 206a Abs. 1 StPO wäre das Bestehen eines dauerhaften Verfahrenshindernisses; ein zeitiges, behebbares Hindernis berechtigt nicht, nach § 206a StPO vorzugehen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 – 5 StR 208/95; OLG Hamburg, Beschluss vom 4. März 1969 – 2 Ws 588/68, NJW 1969, 998; Ritscher in BeckOK-StPO, Ed. 14, § 206a Rn. 1; Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 206a Rn. 1). Vielmehr ist bei einem – wie hier – noch behebbaren Verfahrenshindernis eine vorläufige Einstellung angezeigt, die ihre Grundlage in § 205 StPO findet, der für nicht in der Person des Angeklagten liegende Hindernisse (so diesen nicht anderweitig begegnet werden kann) entsprechend (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 206a Rn. 8) und auch im Revisionsverfahren anwendbar ist (vgl. Stuckenberg in LR-StPO, 26. Aufl., § 205 Rn. 10 mN).
Rz. 16
2. Die Vorläufigkeit der Einstellung entfällt und das Verfahren ist endgültig einzustellen (§ 206a StPO), wenn sich herausstellt, dass das Verfahrenshindernis dauerhaft ist. Um hierüber innerhalb einer – auch gemessen an Art. 6 Abs. 1 EMRK – angemessenen Zeit entscheiden zu können, gibt der Senat der Staatsanwaltschaft Gelegenheit, zeitnah ein Nachtragsersuchen zu stellen, wie dies schon die südafrikanischen Behörden angeregt hatten. Wird ein solches Nachtragsersuchen nicht gestellt und ist die Spezialitätsbindung binnen gesetzter Frist nicht aus anderen Gründen entfallen, ist das Verfahren nach § 206a StPO endgültig einzustellen.
Rz. 17
3. Weitergehende Entscheidungen durch den Senat sind derzeit nicht veranlasst. Dem Bestand des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. Juli 2007 steht weder die vorläufige Einstellung nach § 205 StPO entgegen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 205 Rn. 1), noch der Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz (vgl. Vogel/Burchhard in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., IRG, § 11 Rn. 67). Ein bestehender – und auch für Nachtragsersuchen zulässiger (vgl. Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, aaO, § 72 Rn. 23) – Haftbefehl kann allerdings nicht länger Grundlage freiheitsbeschränkender Maßnahmen sein, solange der Spezialitätsgrundsatz nicht gewahrt ist. Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (ohne Auflagen, vgl. Art. 14 EuAlÜbk) ist dem Senat verwehrt (vgl. § 126 Abs. 3 i.V.m. § 120 Abs. 1 StPO); das insoweit zuständige Landgericht wird von vorliegender Entscheidung unmittelbar unterrichtet.
Unterschriften
Nack, Wahl, Rothfuß, Graf, Jäger
Fundstellen
Haufe-Index 3485948 |
wistra 2013, 71 |
NStZ-RR 2013, 251 |
PStR 2012, 293 |