Verfahrensgang
LG Kleve (Urteil vom 10.07.2020; Aktenzeichen 203 Js 294/18 170 KLs 24/19) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kleve vom 10. Juli 2020 wird verworfen; jedoch wird der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in vier Fällen und des sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen schuldig ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in sieben Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung und in drei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Rz. 2
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, erweist sich aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Sie führt jedoch zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs.
Rz. 3
Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte im Zeitraum von 2006 bis 2007 an seiner damals 14 beziehungsweise 15 Jahre alten Tochter sexuelle Handlungen vornahm, indem er in drei Fällen einen Finger und in einem Fall seinen Penis in die Scheide seiner schlafenden Tochter einführte sowie bei vier weiteren Gelegenheiten seine schlafende Tochter mit der Zunge im äußeren Genitalbereich leckte.
Rz. 4
1. Das Landgericht ist rechtlich zutreffend davon ausgegangen, dass die vier Taten, bei denen der Angeklagte einen Finger beziehungsweise seinen Penis in die Scheide seiner schlafenden Tochter einführte, zur Tatzeit jeweils als schwerer sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen gemäß § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB aF in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar waren und nach derzeit geltendem Recht als Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar sind. Die Strafkammer hat hinsichtlich dieser vier Taten rechtsfehlerfrei sowohl einen minder schweren Fall im Sinne des § 179 Abs. 6 StGB aF abgelehnt als auch keinen Anlass gesehen, abweichend von der Indizwirkung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB einen besonders schweren Fall im Sinne des § 177 Abs. 6 StGB zu verneinen. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht dann jedoch dem Schuldspruch und der Bestimmung der Einzelstrafen für diese vier Taten § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB zu Grunde gelegt. Da sowohl nach § 177 Abs. 6 StGB als auch nach § 179 Abs. 5 StGB aF ein Strafrahmen von zwei Jahren bis 15 Jahren Freiheitsstrafe eröffnet war, also bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise das gegenwärtige Recht nicht milder ist als das Tatzeitrecht, hätte gemäß § 2 Abs. 1 StGB das zur Tatzeit geltende Gesetz zur Anwendung gelangen und der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen gemäß § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB aF in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB in vier Fällen verurteilt werden müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. November 2017 – 2 StR 111/17, NStZ-RR 2018, 107, 108; vom 16. Mai 2017 – 3 StR 43/17, NStZ 2018, 33 f.; vom 9. Mai 2017 – 4 StR 366/16, NStZ-RR 2017, 240, 242).
Rz. 5
2. Hinsichtlich der drei Fälle, in denen der Angeklagte seine schlafende Tochter mit seiner Zunge im äußeren Genitalbereich leckte, hat das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt, dass diese Taten zur Tatzeit als sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen gemäß § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar waren und nach derzeit geltendem Recht als sexueller Übergriff gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar sind. Minder schwere Fälle im Sinne des § 177 Abs. 9 StGB hat die Strafkammer verneint. Der Strafzumessung hat das Landgericht für diese Taten rechtsfehlerfrei gemäß § 2 Abs. 3 StGB jeweils den Strafrahmen des § 177 Abs. 1, 2 StGB zu Grunde gelegt, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht und damit milder ist als der Strafrahmen des § 179 Abs. 1 StGB aF, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsah (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. November 2017 – 2 StR 111/17, NStZ-RR 2018, 107, 108; vom 16. Mai 2017 – 3 StR 43/17, NStZ 2018, 33; vom 4. April 2017 – 3 StR 524/16, NStZ-RR 2017, 242). Damit aber hätte die Strafkammer die Anwendung des § 177 Abs. 1, 2 StGB im Schuldspruch durch eine Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen zum Ausdruck bringen müssen.
Rz. 6
3. Der vom Senat selbst in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO vorgenommenen Änderung des Schuldspruchs steht § 265 StPO nicht entgegen.
Unterschriften
Schäfer, Spaniol, Berg, Hoch, Kreicker
Fundstellen
Haufe-Index 14574698 |
NStZ-RR 2021, 362 |