Verfahrensgang
OLG Köln (Aktenzeichen 7 U 56/95) |
Gründe
I. Am 21. August 1991 verursachte ein beim Malteser-Hilfsdienst B. eingesetzter Zivildienstleistender schuldhaft einen Verkehrsunfall, bei dem der Kläger schwer verletzt wurde. Der Unfall ereignete sich auf einer Rettungsfahrt, die der Zivildienstleistende mit einem bei der Streithelferin haftpflichtversicherten Rettungsfahrzeug des Malteser-Hilfsdienstes durchgeführt hatte, das dieser im Rettungsdienst der Stadt B. eingesetzt hatte. Die Streithelferin hat den materiellen Schaden des Klägers reguliert. Der Kläger nimmt nunmehr die beklagte Bundesrepublik aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) auf Schmerzensgeld in Anspruch. Die Beklagte meint demgegenüber, der Kläger müsse sich auch wegen dieses Anspruchs vorrangig an die Streithelferin halten. Die Vorinstanzen haben die Klageforderung dem Grunde nach für gerechtfertigt gehalten. Die Revision der beklagten Bundesrepublik wurde nicht zur Entscheidung angenommen.
II. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 554 b ZPO). Die Revision hat im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg (BVerfGE 54, 277). Das vom Berufungsgericht gefundene Ergebnis wird durch die Erwägung getragen, daß die vorrangige Inanspruchnahme der Streithelferin dem Kläger hier nicht zumutbar gewesen ist.
1. Allerdings findet im Rahmen des gegen die Beklagte erhobenen Amtshaftungsanspruchs (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB Anwendung. Dies hat der Senat bereits für den Fall bejaht, daß ein Amtsträger bei der dienstlichen Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr mit einem der Straßenunterhaltung dienenden Kraftfahrzeug Sonderrechte nach § 35 Abs. 6 Satz 1 StVO in Anspruch nimmt und im Zusammenhang damit einen Verkehrsunfall verursacht (BGHZ 113, 164). Der Senat hat keine durchgreifenden Bedenken, die Grundsätze dieser Entscheidung auf die hier in Rede stehende Inanspruchnahme von Sonderrechten nach § 35 Abs. 5 a StVO zu übertragen.
2. Nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB braucht sich der Verletzte jedoch nicht auf Ersatzansprüche verweisen zu lassen, die er nicht oder jedenfalls nicht in absehbarer oder angemessener Zeit durchsetzen kann. Auch weitläufige, unsichere oder im Ergebnis zweifelhafte Wege des Vorgehens gegen Dritte braucht er nicht einzuschlagen. Die Ausnutzung anderweitiger Ersatzmöglichkeiten muß mithin dem Geschädigten zumutbar sein (Senatsurteil BGHZ 120, 124, 126). Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit ist auf die Sicht ex ante abzustellen; es ist mithin eine auf den Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs bezogene Prognose über die Erfolgsaussichten der anderweitigen Ersatzmöglichkeit aufzunehmen (vgl. in diesem Sinne auch Senatsurteil BGHZ 120, 124, 131). Der Begriff der "Zumutbarkeit" ist, wie der Senat bereits entschieden hat, ein Rechtsbegriff, der der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (Senatsurteil BGHZ 122, 317, 326). Gleichwohl enthält er gewisse Elemente tatrichterlicher Würdigung. In diesem Sinne hat der Senat bereits darauf hingewiesen, daß die Frage, ob und inwieweit es dem Geschädigten, wenn Ersatzansprüche gegen mehrere Schädiger in Betracht kommen, nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten angesonnen werden kann, nicht nur einen, sondern mehrere von ihnen sei es gleichzeitig, sei es nacheinander - gerichtlich in Anspruch zu nehmen, sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beantworten lasse (Senatsurteil BGHZ 120, 124, 127).
3. Danach gilt hier folgendes: Als anderweitige Ersatzmöglichkeit kam hier nur der Direktanspruch gegen die Streithelferin nach § 3 Nr. 1 PflVG in Betracht. Dementsprechend war zu klären, ob eine Eintrittspflicht der Streithelferin nach § 10 AKB bestand.
a) Nach § 10 Abs. 2 Buchst. c AKB gehörte der Fahrer des Rettungswagens zu den mitversicherten Personen. Die Streithelferin haftete also nach § 10 Abs. 1 AKB für Schadensersatzansprüche, die aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts gegen den Fahrer erhoben werden konnten. An dieser entscheidenden Voraussetzung fehlte es im vorliegenden Fall. Gegen den Fahrer konnten nämlich keine derartigen Ansprüche erhoben werden, da die Amtshaftung eintrat: Die Ersatzpflicht für Schäden, die ein Zivildienstleistender in Ausübung des Ersatzdienstes Dritten zugefügt hat, ist regelmäßig auch dann nach Amtshaftungsgrundsätzen zu beurteilen, wenn die anerkannte Beschäftigungsstelle (§ 4 ZDG), in deren Dienst der Schädiger tätig geworden ist, privatrechtlich organisiert ist und von ihrer Rechtsstellung als hoheitlich beliehene Einrichtung abgesehen - privatrechtliche Aufgaben wahrnimmt. Haftende Körperschaft i.S.d. Art. 34 Satz 1 GG ist in solchen Fällen nicht die anerkannte Beschäftigungsstelle, sondern die Bundesrepublik Deutschland (Senatsurteil BGHZ 118, 304). Eine Eintrittspflicht der Streithelferin ließ sich somit nicht unmittelbar aus § 10 Abs. 2 Buchst. c AKB entnehmen, sondern erforderte den weiteren Schritt, diese Bestimmung, sei es in erweiternder Auslegung oder in analoger Anwendung, auf den hier in Rede stehenden Fall zu übertragen, daß der Fahrer als "Beamter" im haftungsrechtlichen Sinne von vornherein von der Haftung befreit worden und die Beklagte als sein Dienstherr im Wege privativer Schuldübernahme als Haftungssubjekt an seine Stelle getreten war.
b) Nach § 10 Abs. 2 Buchst. f AKB gehört zu den mitversicherten Personen auch der öffentliche Dienstherr des Versicherungsnehmers, wenn das versicherte Fahrzeug mit Zustimmung des Versicherungsnehmers für dienstliche Zwecke gebraucht wird. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung betrifft dies jedoch nicht etwa das Verhältnis zwischen dem Malteser-Hilfsdienst und der Bundesrepublik. Der Malteser-Hilfsdienst ist, wie das Berufungsgericht zu Recht ausführt, lediglich nach § 4 ZDG als Beschäftigungsstelle von Zivildienstleistenden anerkannt; diesem gegenüber stehen ihm aufgrund der Beleihung hoheitliche Befugnisse zu. Das ändert aber nichts daran, daß der Malteser-Hilfsdienst ein privatrechtlich organisierter eingetragener Verein ist, der in keinem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur beklagten Bundesrepublik steht. Das Berufungsgericht erwägt, § 10 Abs. 2 Buchst. f AKB erweiternd dahin auszulegen, da für die hier in Rede stehende Fallkonstellation eine Eintrittspflicht des Versicherers zugunsten der Bundesrepublik bejaht wird.
c) Das Berufungsgericht weist jedoch zu Recht darauf hin, daß nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen eine Haftung der Streithelferin nicht besteht. Für eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung der Bestimmungen gibt es, soweit ersichtlich, bislang keine höchst- oder auch nur obergerichtliche Rechtsprechung. Im Gegenteil hatten sowohl das Landgericht im erstinstanzlichen Urteil des vorliegenden Amtshaftungsprozesses als auch ein anderer Senat des Berufungsgerichts in einem anderen Verfahren eine ausdehnende Interpretation abgelehnt.
4. Unmittelbar anwendbar ist § 10 Abs. 2 Buchst. f AKB allerdings im Verhältnis zwischen dem Malteser-Hilfsdienst und der Stadt B.
a) Im Land Nordrhein-Westfalen stellt sich das Führen eines Rettungswagens im rettungsdienstlichen Einsatz als Ausübung eines öffentlichen Amtes i.S.d. Artikels 34 Satz 1 GG dar. Das gilt auch dann, wenn der Kraftfahrzeugführer dem Träger des Rettungsdienstes von einer freiwilligen Hilfsorganisation, wie hier dem Malteser-Hilfsdienst, zur Verfügung gestellt worden ist (Senatsurteil vom 21. März 1991 - III ZR 77/90 = BGHR NW RettG § 9 Personal 1). Daher kommt bei Pflichtverletzungen, die von Rettungssanitätern oder -fahrern im Rahmen dieser Einsätze begangen werden, etwa bei schuldhaft verspätetem Eintreffen beim Notfallpatienten oder (wie hier) bei Verursachung eines Verkehrsunfalls auf der Rettungsfahrt, eine Amtshaftung der für den Rettungsdienst zuständigen kommunalen Körperschaft in Betracht (Senatsurteil vom 21. März 1991 aaO.; Senatsbeschluß vom 26. Oktober 1989 - III ZR 99/88 = BGHR NW RettG § 10 Notarzt 1 m.w.N.)
b) Die Revision versucht, aus diesem Umstand eine anderweitige Ersatzmöglichkeit i.S.d. § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zugunsten der beklagten Bundesrepublik wie folgt herzuleiten: Sie meint, als haftpflichtige Körperschaften kämen die Bundesrepublik und die Stadt B. nebeneinander in Betracht. Bei der Stadt B. bestehe indessen unzweifelhaft eine anderweitige Ersatzmöglichkeit in Gestalt des Direktanspruchs gegen die Streithelferin. Auf diese anderweitige Ersatzmöglichkeit müsse sich auch die Bundesrepublik berufen können. Diese Überlegung geht jedoch deshalb fehl, weil sie auf einem unzutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt beruht. Es ist nämlich nicht richtig, daß der vorliegende Unfall eine Amtshaftung der Stadt B. begründet hat. Schuldiger Amtsträger war hier der Zivildienstleistende. Dessen Dienstherr im amtshaftungsrechtlichen Sinne war, wie durch das Senatsurteil BGHZ 118, 304 klargestellt ist, die beklagte Bundesrepublik. Sie ist daher diejenige Körperschaft, die in erster Linie als Haftungssubjekt in Betracht kommt (vgl. zu den Grundsätzen, nach denen die haftende Körperschaft zu ermitteln ist: Senatsurteil vom 31. Januar 1991 - III ZR 184/89 = BGHR GG Art. 34 Körperschaft 5). Nur wenn diese Anknüpfung an die Dienstherrneigenschaft versagt hätte, wäre darauf abzustellen gewesen, wer dem Amtsträger die konkrete Aufgabe, bei deren Erfüllung er die Pflichtverletzung begangen hat, anvertraut hat (Senatsurteil vom 31. Januar 1991 aaO. m.w.N.). Dies bedeutet, daß eine Amtshaftung der Stadt B. für solche Bediensteten in Betracht gekommen wäre, die nicht im Zivildienst standen, bei denen es mithin an einem öffentlichen Dienstherrn im vorbezeichneten Sinne fehlte und bei denen deshalb auf die Stadt B. als diejenige Körperschaft zurückgegriffen werden mußte, die ihnen die rettungsdienstliche Tätigkeit anvertraut hatte. Bei dem Zivildienstleistenden war indessen ein derartiger Rückgriff auf die ihm konkret übertragene Funktion entbehrlich (und auch rechtlich gar nicht möglich), weil er in einem die Amtshaftung primär begründenden öffentlichen Dienstverhältnis zur Bundesrepublik stand und die Anknüpfung an diese Dienstherrneigenschaft bei der Beklagten also gerade nicht "versagte".
5. Wenn das Berufungsgericht in umfassender Beurteilung der Rechtslage und unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Zumutbarkeitskriterien (s.o. Nr. 2) zu dem Ergebnis gelangt ist, daß wegen der Unsicherheit der von ihm zutreffend analysierten Rechtsfragen dem Kläger die vorrangige Inanspruchnahme der Streithelferin nicht zumutbar gewesen ist, so hält dies revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
Fundstellen
Haufe-Index 2993717 |
NJW 1997, 2109 |
BGHR AVB Kraftfahrtversicherung § 10 Abs. 2 Mitvericherte 1 |
BGHR BGB § 839 Abs. 1 S. 2 Zumutbarkeit 2 |
BGHR GG Art. 34 Körperschaft 8 |
DRsp I(147)354d-e |
NVwZ 1997, 931 |
NZV 1997, 301 |
VRS 93, 266 |
VersR 1997, 967 |
ZfS 1997, 286 |
SP 1997, 277 |