Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 03.12.2008) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. Dezember 2008 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen unter Einbeziehung einer anderweit verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit Verfahrensrügen und mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel dringt mit einer Verfahrensrüge durch.
Rz. 2
1. Allerdings wird die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin entgegen dem Vortrag des Beschwerdeführers den Mindestanforderungen an die Konkretisierung der Tatvorwürfe noch gerecht. Das Verfahren war daher nicht wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen.
Rz. 3
2. Mit Recht beanstandet der Angeklagte aber, dass ein Beweisantrag abgelehnt worden ist. Die Verteidigung hatte den Antrag gestellt, die Richterin am Amtsgericht G. u. a. zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass der Hauptbelastungszeuge S. in der Hauptverhandlung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens vom 7. August 2008 vor dem Amtsgericht Weimar ausgesagt habe, er habe in seiner polizeilichen Vernehmung vom 14. Juli 2007 einiges dazu erfunden, was nicht der Wahrheit entspreche. Die Strafkammer hat diesen Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) abgelehnt. Sie wolle den möglichen Schluss nicht ziehen, dass diese Angabe der Wahrheit entspreche. Der Zeuge S. sei in der Hauptverhandlung hierzu umfassend gehört worden. Er habe bekundet, es könne sein, dass er vor dem Amtsgericht Weimar gesagt habe, er habe bei der polizeilichen Vernehmung etwas ausgeschmückt. Dies betreffe aber nicht den „Berliner Komplex”, sondern frühere Geschäfte, die er im Zusammenhang mit seiner begonnenen „Lebensbeichte” genannt habe (Bl. 91 der Anlage II zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 3. Dezember 2008).
Rz. 4
Mit dieser Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden. Die Begründung ist zunächst schon deswegen nicht frei von Widersprüchen, weil die Strafkammer den Schluss auf die Unwahrheit der Aussage im Rahmen der polizeilichen Vernehmung nicht ziehen will, wohingegen sich aus dem Folgenden ergibt, dass der Zeuge nach seiner für glaubhaft erachteten Aussage vor der Strafkammer in seiner polizeilichen Vernehmung tatsächlich die Unwahrheit bekundet hat. Die Verteidigung weist zudem mit Recht auch noch auf Anhaltspunkte hin, wonach die Aussage des Zeugen S. vor dem Landgericht nicht der Wahrheit entspricht. Denn ausweislich des Protokolls über dessen polizeiliche Vernehmung vom 14. Juli 2007 (Bl. 132 ff. der Sachakten) waren Gegenstand der Aussage der „Berliner Komplex” und nicht etwa frühere, sondern spätere Vorgänge. Die Beweisbehauptung war demgemäß für die Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugen S. von Bedeutung. Ihm durfte nicht jeglicher Beweiswert abgesprochen werden. Das Urteil kann auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruhen und unterliegt daher in vollem Umfang der Aufhebung.
Rz. 5
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 6
a) Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten hauptsächlich auf die belastenden Angaben des Zeugen S. …. Der Schuldnachweis gegen den (im Verfahren schweigenden) Angeklagten hängt daher entscheidend von der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben dieses Zeugen ab. In einem Fall, in dem ein Angeklagter zwar nicht allein, aber doch überwiegend durch die Angaben eines selbst tatbeteiligten Zeugen überführt werden soll, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit wesentlichen Umstände erkannt und – auch soweit es die Feststellungen zum Schuldumfang betrifft – in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH StV 1990, 99; 1992, 98; BGH, Beschluss vom 17. März 2009 – 4 StR 662/08). Diesen Anforderungen genügen die durchgehend äußerst knappen, teils auch formelhaften Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht.
Rz. 7
Das neue Tatgericht wird deshalb Einzelheiten zum gesamten Aussageverhalten des Zeugen S. im gegenständlichen Strafverfahren sowie in dem gegen den Zeugen selbst gerichteten Strafverfahren mitzuteilen und insgesamt zu würdigen haben. Es wird näher zu belegen haben, in welchen Details frühere Angaben des Zeugen O. – eine Zentralgestalt der abgeurteilten Taten – S. s Angaben bestätigen, ergänzen oder widersprechen.
Rz. 8
b) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kann nicht offen bleiben, ob die Handelsgeschäfte Haschisch (so UA S. 4, 5, 7) oder Marihuana (so UA S. 6, 8) betreffen. Dies versteht sich schon daraus, dass insoweit andere Durchschnittswerte für die Bestimmung der Qualitätsstufen gelten (BGH NStZ-RR 2006, 350 [Haschisch]; BGH StV 2004, 602 [Marihuana]). Wenn die Strafkammer davon ausgeht, bei einem Wirkstoffgehalt von 10 % THC sei von durchschnittlicher Qualität auszugehen, so entspricht dies für keines der genannten Rauschmittel der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH aaO; Weber, BtMG 3. Aufl. vor § 29a Rdn. 830 ff. sowie Anhang H).
Unterschriften
Basdorf, Schaal, Schneider, Dölp, König
Fundstellen
Haufe-Index 2562581 |
StRR 2010, 173 |